Von polnischen Kumpels, „Polenzechen“ und „Ostarbeitern“ – Ein Blick auf 100 Jahre polnische Arbeitsgeschichte in Bochum (1871–1973)

Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H. “ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer
Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H. “ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer

Für den Bochumer Raum fokussierte sich der Einsatz polnischer Arbeitskräfte insbesondere auf die Bergbau- und Schwerindustrie. Einzelne Bergwerke sind sogar als sogenannte Polenzechen bekannt gewesen: So wurde die Zeche Dannenbaum im Bergrevier Bochum-Süd aufgrund des großen Anteils an polnischen Arbeitskräften als ebensolche bezeichnet und auch in der Kokerei der Zeche Constantin der Große konnten viele Polen verzeichnet werden – im Jahre 1905 waren ganze 88,2 % der Arbeiter in der Kokerei polnischer Herkunft.[7] Beim großen montanindustriellen Konzern Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation (siehe Bild 6) wurden ebenfalls viele Polen eingestellt: 1872/73 lassen sich bereits die ersten slawischen Namen in der Belegschaft nachweisen und im Jahr 1889 waren 11,7 % der Arbeiter beim Bochumer Verein polnischer Herkunft.[8]

Neben der Arbeit gewann Bochum für die polnischen Erwerbsmigranten jedoch vor allem deshalb zunehmend an Bedeutung, da es sich mit den Jahren und Jahrzehnten als Mittelpunkt des kulturellen Lebens der Polen etablierte. „Dass Bochum seit den 1880er-Jahren nach und nach zum Zentrum der organisierten Ruhrpolenbewegung im Deutschen Reich avancierte, war Zufall“[9], denn im Jahre 1884 wurde der Geistliche Józef Szotowski durch das Bistum Paderborn zum Kaplan der Pfarrei St. Peter in Bochum einberufen. Fortan kümmerte er sich um die Seelsorge der polnischen Zuwanderinnen und Zuwanderer. Ab 1890 übernahm Franciszek Liss das Amt, der wie sein Vorgänger im Redemptoristenkloster in Bochum an der Klosterstraße wohnte und sich von dort aus der wachsenden polnischen Gemeinde im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet annahm. Liss war es auch, der Ende 1890 die erste polnischsprachige Zeitschrift des Ruhrgebiets, den Wiarus Polski, gründete. Der Verlags- und Druckort befanden sich in der Malteser Str. in unmittelbarer Nähe des Redemptoristenklosters in der Klosterstraße. Darüber hinaus siedelten sich hier (heute teilweise noch Klosterstraße und Am Kortländer) weitere polnische Organisationen wie beispielsweise die polnische Arbeiterbank (Bank Robotników) oder der 1922 gegründete und bis heute bestehende Bund der Polen in Deutschland (Związek Polaków w Niemczech) an, was den Straßenzug unter dem Begriff der „Bochumer Schmiede“ bekannt werden ließ.[10] Auch die 1902 in Bochum entstandene Polnische Berufsvereinigung (Zjednoczenie Zawodowe Polskie) fand dort ihren Platz. Die Vereinigung enthielt unter anderem eine Bergmannsabteilung, was aus einem aus dem Jahre 1913 erhaltenen Quittungsbuch hervorgeht.

Diese an einem Ort fokussierte Organisation des Ruhrpolentums war der Grund dafür, dass 1909 beim Polizeipräsidium Bochum eine Zentralstelle für Überwachung der Polenbewegung im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet gegründet wurde. Die sogenannte „Polenüberwachungsstelle“ sollte den Handlungen eines vermeintlich staatsfeindlichen Nationalpolentums entgegenwirken und war damit Ausdruck von zu jener Zeit weit verbreiteten sozialen Diskriminierungen sowie staatlichen Repressionsmaßnahmen gegenüber den polnischen Zuwanderinnen und Zuwanderern.[11] Die Ruhrpolen wurden innerhalb der Arbeiterschaft nicht selten als Lohndrücker angesehen und waren immer wieder mit verschiedenen Ressentiments seitens der einheimischen Bevölkerung konfrontiert, die sich insbesondere durch Ausgrenzung und Anfeindung äußerten. Bei den staatlichen Unterdrückungsmethoden sei beispielsweise auf eine systematische Überwachung von polnischen Versammlungen oder auf das zwischenzeitig beschlossene Verbot von Trauung in polnischer Sprache verwiesen.[12] Nicht zuletzt unter dem Druck der restriktiven Maßnahmen durch preußische Behörden zeigten die Ruhrpolen im Laufe der Zeit eine zunehmende Integrationsbereitschaft in die einheimische deutsche Bevölkerung, aus der mit den Jahrzehnten auch Assimilationstendenzen erkennbar wurden.[13]

 

[7] Vgl. Kleßmann, Christoph: Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870-1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, S. 51.

[8] Vgl. Rudzinski, Marco: Ein Unternehmen und „seine“ Stadt. Der Bochumer Verein und Bochum vor dem Ersten Weltkrieg, S. 103.

[9] Bleidick, Dietmar: Bochum, das institutionelle Zentrum der Polen in Deutschland, S. 4.

[10] Vgl. Bleidick, Dietmar: Bochum, das institutionelle Zentrum der Polen in Deutschland, S. 6.

[11] Vgl. Kleßmann, Christoph: Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870-1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, S. 93;
Vgl. Stefanski, Valentina Maria: „… und bin sehr dankbar für die Gelegenheit an der Bekämpfung des Polenthums mitarbeiten zu können“. Polnische Arbeitsmigranten und die preußische Obrigkeit, S. 42 f.

[12] Vgl. Stefanski, Valentina Maria: „… und bin sehr dankbar für die Gelegenheit an der Bekämpfung des Polenthums mitarbeiten zu können“. Polnische Arbeitsmigranten und die preußische Obrigkeit, S. 38; S. 42 ff.

Mediathek
  • Bild 1: „Bank Robotników“

    Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H.“ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer
  • Bild 2: Nahaufnahme der Aufschrift „Bank Robotników“

    Nahaufnahme der Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H.“ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer
  • Bild 3: Informationstafel zur Erwerbsmigration im Kaiserreich

    Informationstafel der Stadt Bochum zur Erwerbsmigration im Kaiserreich mit einem Bild des polnischen Vereins Heiliger Josef im Stadtteil Dahlhausen
  • Bild 4: St. Joseph Kirche an der Stühmeyerstraße

    St. Joseph Kirche an der Stühmeyerstraße
  • Bild 5: Kruzifix mit polnischer Inschrift

    Kruzifix mit polnischer Inschrift vor der St. Joseph Kirche an der Stühmeyerstraße
  • Bild 6: Gußstahlglocke des Bochumer Vereins für die Weltausstellung in Paris 1867

    Gußstahlglocke des Bochumer Vereins für die Weltausstellung in Paris 1867 am Willy-Brandt-Platz vor dem Bochumer Rathaus
  • Bild 7: Fotografie einer Kundgebung auf der Zeche Hannibal, 1943

    Fotografie einer Kundgebung auf der Zeche Hannibal in Bochum aus dem Jahre 1943
  • Bild 8: Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender

    Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender während des Zweiten Weltkrieges im Stadtteil Bergen an der Bergener Straße
  • Bild 9: Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender

    Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender während des Zweiten Weltkrieges im Stadtteil Bergen an der Bergener Straße
  • Bild 10: Stolperschwelle

    Stolperschwelle zur Erinnerung an das KZ-Außenlager an der Kreuzung Kohlenstraße Höhe Obere Stahlindustrie
  • Bild 11: Kolonie Dahlhauser Heide

    Kolonie Dahlhauser Heide im Bochumer Stadtteil Hordel
  • Bild 12: Gestiftete Seilscheibe in der Kolonie Dahlhauser Heide

    Eine von der IGBE-Ortsgruppe Oberhordel und dem Förderverein Hannover zur Erinnerung an den Bergbau in Hordel gestiftete Seilscheibe in der Kolonie Dahlhauser Heide
  • Bild 13: Arbeiterhäuser

    Am Rübenkamp 4 – Sitz der Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland Porta Polonica
  • Bild 14: LWL-Industriemuseum Zeche Hannover

    Malakowturm mit angrenzender Maschinenhalle der Zeche Hannover / LWL-Industriemuseum im Bochumer Stadtteil Hordel
  • Bild 15: Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße

    Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße in Bochum, Aufnahme vom 19. Juni 1950.
  • Bild 16: Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße

    Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße in Bochum, 1954.
  • Bild 17: Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße

    Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße in Bochum. Aufnahme vom 05. Februar 1954.
  • Schriftzug Bank „Robotników eGmbH”, Dom Polski in Bochum

    Der verblichene Schriftzug Bank „Robotników eGmbH” erinnert an die Vergangenheit des Viertels als Zentrum polnischer Institutionen im Ruhrgebiet.
  • Schriftzug Bank „Robotników eGmbH”

    Der verblichene Schriftzug Bank „Robotników eGmbH” erinnert an die Vergangenheit des Viertels als Zentrum polnischer Institutionen im Ruhrgebiet.