Von polnischen Kumpels, „Polenzechen“ und „Ostarbeitern“ – Ein Blick auf 100 Jahre polnische Arbeitsgeschichte in Bochum (1871–1973)
Polnische Zwangsarbeitende finden in den Quellen und Zeitzeugenberichten zur Bochumer NS-Zwangsarbeit wiederholt Erwähnung. So lassen sich beim ersten Häftlingstransport, welcher aus dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz über Buchenwald geführt wurde und am 21. Juni 1944 mit 446 Menschen in Bochum eintraf, auch polnische Häftlinge nachweisen.[32] Sowohl bei der Produktion von Granaten und Bomben durch weibliche Zwangsarbeiterinnen als auch beim Einsatz von ausländischen Arbeitskräften in der Geschosspresserei in Stahlhausen wurde durch Zeitzeugen auch auf polnische Zwangsarbeitende hingewiesen.[33] Welche drakonischen Strafen NS-Zwangsarbeitende auch in Bochum erfahren mussten, lässt sich beispielhaft an dem Schicksal eines polnischen Landarbeiters in Wattenscheid zeigen: Dieser wurde gehängt, da er einer deutschen Reichsbürgerin Avancen gemacht haben soll.[34] Laut einem Bericht des Landesgerichtspräsidenten in Bochum vom 20. Juni 1941 soll die Exekution zudem öffentlichkeitswirksam unter der Anwesenheit aller polnischen Zwangsarbeitenden aus der Umgebung stattgefunden haben.[35]
Die in Bochum eingesetzten Zwangsarbeitenden hatten insgesamt schwere, teils sogar sklavenähnliche Arbeitsbedingungen sowie in den meisten Lagern auch menschenunwürdige Lebensumstände zu ertragen. Aus vertraulichen Dokumenten des Arbeitsamtes Bochum geht hervor, dass bei Untersuchungen der Unterkünfte und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeitenden wiederholt Misshandlungen, hygienische Missstände, unzureichende Ernährung und vermehrte Krankheitsverbreitung festgestellt werden konnten.[36] Die schweren Arbeits- und Lebensbedingungen führten bei den Zwangsarbeitenden zu Mangelernährung, Krankheiten sowie psychischer und körperlicher Entkräftung, was sowohl kurz- als auch langfristig etliche Todesfälle bedingte. Zusätzlich kamen viele Zwangsarbeitende aufgrund drakonischer Strafen, darunter auch das Todesurteil, ums Leben. Die tatsächliche Anzahl der Todesopfer durch NS-Zwangsarbeit lässt sich aufgrund der Dunkelziffer nicht genau nummerieren. Unter den 1.720 Opfern der Zwangsarbeit, die auf dem Bochumer Hauptfriedhof Freigrafendamm begraben wurden, sind 78 Bürgerinnen und Bürger polnischer Herkunft.[37]
[32] In diesem ersten Transport befanden sich Häftlinge ungarischer, tschechischer, russischer und polnischer Nationalität, viele von ihnen waren Juden;
Vgl. Wölk, Ingrid: Das Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald beim ‚Bochumer Verein‘, S. 44.
[33] Vgl. Gleising, Günter: Bochums Stellung in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des Bochumer Vereins und dessen Zwangsarbeitereinsatz, S. 37 f.
[34] Im Sinne der NS-Ideologie standen Polen auch in Bezug auf den Zwangsarbeitereinsatz weit unten in der nationalsozialistischen „Rassenhierarchie“. Am 8. März 1940 traten die sogenannten Polen-Erlasse in Kraft, welche eine Reihe von diskriminierenden Vorschriften für polnische Zwangsarbeitende, darunter auch die Kennzeichnungspflicht der Arbeitskräfte mit einem „P“ sowie das Verbot des Kontakts von Polen mit der deutschen Bevölkerung, festlegten;
Vgl. Loew, Peter Oliver: Das Zeichen „P“, in: https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/das-zeichen-p?page=1#body-top.
[35] Vgl. Grieger, Manfred: Zwangsarbeit in Bochum – Die Geschichte der ausländischen Arbeiter und KZ-Häftlinge 1939-1945, S. 4.
[36] Vgl. Arbeitsamt Bochum vom 14.07.1943: An alle Betriebsführer, die ausländische Arbeitskräfte beschäftigen. Betrifft: Misshandlungen ausländischer Arbeitskräfte, in: montan.dok/BBA 40/492;
Vgl. Arbeitsamt Bochum vom 31.05.1944: An alle Betriebe, die ausländische Arbeitskräfte beschäftigen. Betrifft: Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte, in: montan.dok/BBA 40/487.
[37] Vgl. Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte (Hrsg.): "Wir gedenken der Opfer der Zwangsarbeit in Bochum, 1941 bis 1945, Letzte Ruhestätte: Hauptfriedhof Freigrafendamm". Bearbeitung und Zusammenstellung durch Ursula Jennemann-Henke, unter Mitwirkung von Angelika Karg und Angelika Schäfer – Stadtarchiv, Bochum 2002.