Von polnischen Kumpels, „Polenzechen“ und „Ostarbeitern“ – Ein Blick auf 100 Jahre polnische Arbeitsgeschichte in Bochum (1871–1973)

Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H. “ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer
Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H. “ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer

Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit
 

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich der Ruhrkohlenbergbau bis zum Kriegsausbruch weiterentwickelt, sodass der Arbeitskräftebedarf im Bergbau und im Hüttenwesen des Ruhrgebiets kontinuierlich anstieg – auch Bochum verzeichnete, genau wie alle weiteren Bergreviere des Oberbergamtes Dortmund, steigende Zahlen bei den Zechenbelegschaften.[14] Seit Beginn des 20. Jahrhunderts konnten bei der ruhpolnischen Bevölkerung jedoch auch vermehrt Berufe im Handwerk und im Gewerbe, beispielsweise Schneider, Schuster, Hebammen, Anstreicher oder auch Friseure, festgestellt werden.[15] Dennoch blieb der Großteil der ruhrpolnischen Bevölkerung weiterhin im Bergbau sowie in der Eisen- und Schwerindustrie beschäftigt.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges änderte sich der zunehmende wirtschaftliche Aufschwung jedoch grundlegend, denn die allgemeine Mobilmachung hatte zur Folge, dass die Mehrzahl der wehrpflichtigen Belegschaftsjahrgänge für den Krieg eingezogen wurde und insbesondere die Bergbauzechen und Fabriken der Schwerindustrie bereits im Herbst 1914 einen immensen Arbeitskräfte- aber vor allem auch Facharbeitermangel zu beklagen hatten.[16] Der Bochumer Kommunalpolitiker und Beamte in der Stadtverwaltung Paul Küppers lieferte in seiner umfassenden Monografie über die Kriegsarbeit der Stadt trotz der widrigen Umstände eine geradezu euphorische Beschreibung der städtischen Arbeitssituation während des Ersten Weltkrieges:

„Dröhnender Hammerschlag vermischt sich mit dem Surren der Maschinen zum Grundklang in der großen Sinfonie der Arbeit. (…) In reinen Akkorden verkünden Bochumer Gußstahlglocken das Lob des heimischen Gewerbefleißes (…) Und während draußen die Schlacht entbrannte, schlossen sich bei uns die Reihen der Daheimgebliebenen zusammen, um in westfälischer Art, zäh und fest, den Aufgaben gerecht zu werden, in welchen der Kampf hinter der Front sieghaft zu führen ist. Da wurde mit doppeltem Eifer die kraft- und lichtspendende Kohle gefördert; da reckte der Märker das Eisen, da wurde der Stahl geglüht und geformt zu den vernichtenden Waffen (…).“[17]

Diese beinahe schon poetische Darstellung der Arbeitsmoral von Bochumer Beschäftigten in der Montanindustrie weist einerseits auf die bei einem Teil der deutschen Bevölkerung vorhandene Kriegsbegeisterung hin, andererseits werden bei dieser Beschreibung die ausländischen Arbeiter, die einen wesentlichen Teil der Arbeitskraft ausgemacht haben, vollständig weggelassen. Doch gerade die polnischen Arbeitskräfte trugen maßgeblich dazu bei, die Fortführung des Bergbaus sowie der Rüstungsindustrie während des Ersten Weltkrieges aufrechtzuerhalten.[18]

Im Verlauf des Krieges kamen deshalb zusätzlich über eine halbe Million Polen als Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende in das Deutsche Reich hinzu, um in den kriegswirtschaftlich wichtigen Rüstungs- und Industriezweigen eingesetzt zu werden.[19] Die quantitative Bestimmung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen stellt sich aufgrund fehlender statistischer Angaben allerdings als schwierig dar.[20]

Die Zeit des Ersten Weltkrieges war von einer (zwangsweisen) Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, darunter einem großen Teil an Polen, geprägt. Nach Kriegsende verließen viele dieser polnischen Arbeitskräfte jedoch die deutschen Reichsgrenzen wieder. Mit dem wiedergegründeten polnischen Staat im Jahre 1918 kehrten nicht nur die im Kriegsverlauf angeworbenen Arbeitenden in ihre Heimat zurück, sondern auch die bereits seit Jahrzehnten im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet angesiedelten Ruhrpolen wanderten vermehrt aus dem Ruhrgebiet aus. Während ein Teil dieser ruhrpolnischen Bevölkerung mit Hoffnung auf bessere Arbeitsmöglichkeiten in französische und belgische Kohlereviere weiterzog, kehrten etwa 150.000 Ruhrpolen in ihre nach 1918 wieder zum polnischen Staat zugehörigen Herkunftsgebiete zurück.[21]

 

[14] Vgl. Rawe, Kai: „…wir werden sie schon zur Arbeit bringen!“. Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im Ruhrkohlenbergbau während des Ersten Weltkrieges, S. 47;
Vgl. Küppers, Paul: Die Kriegsarbeit der Stadt Bochum 1914-1918, S. 47.

[15] Vgl. Murzynowska, Krystyna: Die polnischen Erwerbsauswanderer im Ruhrgebiet während der Jahre 1880-1914, S. 59 f.

[16] Vgl. Rawe, Kai: „…wir werden sie schon zur Arbeit bringen!“. Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im Ruhrkohlenbergbau während des Ersten Weltkrieges, S. 47;
Vgl. Küppers, Paul: Die Kriegsarbeit der Stadt Bochum 1914-1918, S. 263.

[17] Küppers, Paul: Die Kriegsarbeit der Stadt Bochum 1914-1918, S. 301 f.

[18] Vgl. Molenda, Jan: Polnische Arbeiter im Ruhrgebiet während des Ersten Weltkrieges, S. 198.

[19] Vgl. Rawe, Kai: „…wir werden sie schon zur Arbeit bringen!“. Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im Ruhrkohlenbergbau während des Ersten Weltkrieges, S. 155 f.

[20] Nach aktuellem Forschungsstand lässt sich von zwischen 14.000 und 16.000 polnischen Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeitern ausgehen, die im Verlauf des Ersten Weltkriegs allein im Ruhrbergbau eingesetzt wurden. Bei den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitenden lassen sich die quantitativen Dimensionen und Einsatzorte nicht verlässlich bestimmen, da nicht alle Betriebe gleichermaßen deren Einsatz dokumentiert haben. Deren Zahl kann jedoch deutlich höher als die der Zivilarbeitenden gewesen sein;
Vgl. Molenda, Jan: Polnische Arbeiter im Ruhrgebiet während des Ersten Weltkrieges, S. 185.

Mediathek
  • Bild 1: „Bank Robotników“

    Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H.“ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer
  • Bild 2: Nahaufnahme der Aufschrift „Bank Robotników“

    Nahaufnahme der Aufschrift „Bank Robotników e.G.m.b.H.“ (Polnische Arbeiterbank) in der Straße Am Kortländer
  • Bild 3: Informationstafel zur Erwerbsmigration im Kaiserreich

    Informationstafel der Stadt Bochum zur Erwerbsmigration im Kaiserreich mit einem Bild des polnischen Vereins Heiliger Josef im Stadtteil Dahlhausen
  • Bild 4: St. Joseph Kirche an der Stühmeyerstraße

    St. Joseph Kirche an der Stühmeyerstraße
  • Bild 5: Kruzifix mit polnischer Inschrift

    Kruzifix mit polnischer Inschrift vor der St. Joseph Kirche an der Stühmeyerstraße
  • Bild 6: Gußstahlglocke des Bochumer Vereins für die Weltausstellung in Paris 1867

    Gußstahlglocke des Bochumer Vereins für die Weltausstellung in Paris 1867 am Willy-Brandt-Platz vor dem Bochumer Rathaus
  • Bild 7: Fotografie einer Kundgebung auf der Zeche Hannibal, 1943

    Fotografie einer Kundgebung auf der Zeche Hannibal in Bochum aus dem Jahre 1943
  • Bild 8: Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender

    Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender während des Zweiten Weltkrieges im Stadtteil Bergen an der Bergener Straße
  • Bild 9: Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender

    Barackensiedlung ehemaliger Zwangsarbeitender während des Zweiten Weltkrieges im Stadtteil Bergen an der Bergener Straße
  • Bild 10: Stolperschwelle

    Stolperschwelle zur Erinnerung an das KZ-Außenlager an der Kreuzung Kohlenstraße Höhe Obere Stahlindustrie
  • Bild 11: Kolonie Dahlhauser Heide

    Kolonie Dahlhauser Heide im Bochumer Stadtteil Hordel
  • Bild 12: Gestiftete Seilscheibe in der Kolonie Dahlhauser Heide

    Eine von der IGBE-Ortsgruppe Oberhordel und dem Förderverein Hannover zur Erinnerung an den Bergbau in Hordel gestiftete Seilscheibe in der Kolonie Dahlhauser Heide
  • Bild 13: Arbeiterhäuser

    Am Rübenkamp 4 – Sitz der Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland Porta Polonica
  • Bild 14: LWL-Industriemuseum Zeche Hannover

    Malakowturm mit angrenzender Maschinenhalle der Zeche Hannover / LWL-Industriemuseum im Bochumer Stadtteil Hordel
  • Bild 15: Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße

    Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße in Bochum, Aufnahme vom 19. Juni 1950.
  • Bild 16: Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße

    Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße in Bochum, 1954.
  • Bild 17: Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße

    Ehemaliges KZ-Außenlager an der Brüllstraße in Bochum. Aufnahme vom 05. Februar 1954.
  • Schriftzug Bank „Robotników eGmbH”, Dom Polski in Bochum

    Der verblichene Schriftzug Bank „Robotników eGmbH” erinnert an die Vergangenheit des Viertels als Zentrum polnischer Institutionen im Ruhrgebiet.
  • Schriftzug Bank „Robotników eGmbH”

    Der verblichene Schriftzug Bank „Robotników eGmbH” erinnert an die Vergangenheit des Viertels als Zentrum polnischer Institutionen im Ruhrgebiet.