Polnische Opfer der Berliner Mauer: Franciszek Piesik und Czesław Kukuczka
Zwei Tage später, in den Nachmittagsstunden des 17. Oktober erreicht er den Anlegeplatz der „Betriebssportgemeinschaft Baumechanik” bei Hennigsdorf, ausgerüstet mit einem Seitenschneider sowie mit einer Kartenskizze mit dem Grenzverlauf in den Gewässern, und entwendet dort ein Motorboot. Anschließen befährt er den Havel-Kanal, um zum Nieder-Neuendorfer See zu gelangen, in dessen Mitte die Grenze verlief. Zu diesem Zweck hätte er zunächst die Landzunge umfahren müssen, die den Kanal vom See trennt. Unter den Einheimischen gilt diese Gegend als äußerst gefährliches Sumpfgebiet. Es bleibt bis heute unbekannt, warum es Franciszek Piesik nur gelingt, an die Landzunge heranzukommen, nicht aber sie zu umfahren, was er wohl ursprünglich plante. Er steigt auf der Landzunge aus und erreicht das Seeufer zu Fuß, wo er seine Jacke und eine Aktentasche mit persönlichen Dokumenten liegen lässt. Von hier aus muss er eine Distanz von ca. 200 bis 300 Meter in ca. 10 Grad kaltem Wasser überwinden. Aus dem Bericht der ostdeutschen Grenzwache geht hervor, dass es dem Mann gelang, die Grenze inmitten des Sees gegen 18:15 Uhr zu überqueren. Die Wachposten intervenierten jedoch nicht, was ihnen später, bei den internen Ermittlungen zu diesem Vorfall, vorgeworfen wurde.
Gleichwohl gelang es Franciszek Piesik nicht, sein ersehntes Ziel zu erreichen. Sein Leichnam wird elf Tage später aus dem westlichen Teil des Sees geborgen. Die Obduktion schließt ein Fremdeinwirken aus. Piesik's Atemwege sind voller Schlamm. Damit bleibt als wahrscheinlichste Version die Annahme, dass er durch Unterkühlung und Ertrinken starb. Die polnische Militärmission stellt den Westberliner Diensten erst zweieinhalb Monate eine Personenbeschreibung und Fingerabdrücke zur endgültigen Identifizierung des Toten zur Verfügung. Ein halbes Jahr nach dem Vorfall wird der Leichnam von Franciszek Piesik auf dem Friedhof in Berlin-Heiligensee beigesetzt. Piesiks Fluchtmotive bleiben im Dunkeln. Heute erinnert eine Stele an das tragische Ereignis. Sie steht an der Stelle des „Berliner Mauerwegs“, wo die Leiche von Piesik gefunden wurde.
Noch dramatischer verlief der Fluchtversuch in den Westen im Falle des Feuerwehrmanns Czesław Kukuczka, geboren 1935 in Kamienica bei Limanowa. Unbekannt ist, wie er nach Berlin hinkommt und was mit ihm bis zum 29. März passiert.
An diesem Tag erscheint Kukuczka gegen 12:30 Uhr im Gebäude der Botschaft der Volksrepublik Polen, die sich damals Unter den Linden befand. Er erklärt dem Pförtner, dass er eine wichtige Mitteilung zu übergeben habe und wird ohne weitere Kontrolle in einen Botschaftsraum geführt. Dort wird er von Oberst Maksymilian Karnowski, einem Mitarbeiter der Berliner Operativgruppe des polnischen Innenministeriums, und einem weiteren Mitarbeiter der Botschaft empfangen.
Kukuczka fordert, dass ihm an diesem Tag bis 15:00 Uhr die Ausreise nach West-Berlin gestattet wird. Anderenfalls werde er die Botschaft sowie mit Hilfe seiner Mittäter drei weitere Gebäude, darunter das Polnische Informations- und Kulturzentrum in Ost-Berlin, in die Luft sprengen. Während er dies sagt, weist er auf eine vollgepackte Aktentasche auf seinen Knien hin, in der sich angeblich eine von ihm gebaute Bombe befände. Aus der Tasche ragt eine Schlinge, die einer Zündschnur ähnelt und die der sichtlich nervöse Mann während des ganzen Gesprächs in der Hand hält. Kukuczka überzeugt seine Gesprächspartner davon, dass er die zur Konstruktion des Sprengstoffes notwendigen Kenntnisse bei seinem Militärdienst erworben habe.