Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?

Walenty Wańkowicz (1799-1842): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, 1828. Öl auf Leinwand, Bibliothèque polonaise de Paris/Biblioteka Polska w Paryżu
Walenty Wańkowicz (1799-1842): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, 1828. Öl auf Leinwand, Bibliothèque polonaise de Paris/Biblioteka Polska w Paryżu

Weshalb Szymanowska Goethes Bekanntschaft suchte, ist nicht bekannt. Jedenfalls reisten sie und ihre Geschwister am 8. August nach Marienbad weiter. Marienbad im österreichischen Kronland Böhmen war zu dieser Zeit ein aufstrebender und noch in der Entwicklung befindlicher Kurort. 1808 war auf Initiative des Prämonstratenser-Stiftes Tepl an der vierzehn Kilometer westlich gelegenen schwefligen Marienquelle, die mit den umliegenden Heilquellen seit dem Mittelalter bekannt war, ein erstes Badehaus gebaut worden. Nach Veröffentlichungen des Klosterarztes über die Heilwirkung der Quellen wurde ab 1813 ein Kurort errichtet, der zunächst aus wenigen Fachwerkhäusern bestand (Abb. 3). In der ersten Saison 1815 konnten den Gästen sieben Gebäude als Unterkünfte angeboten werden.[18] 1818 wurde der Kurort, der nach der Quelle den Namen Marienbad erhielt, offiziell anerkannt. Bis 1820 waren an den Brunnen und an den Aussichtspunkten klassizistische Pavillons entstanden, Parks wurden angelegt und repräsentative Kurhäuser und Gasthöfe gebaut (Abb. 4). Die ursprüngliche Idylle des Tals im Kaiserwald konnte man aber immer noch erleben (Abb. 5). 1824 bestand der Ort bereits aus vierzig Gebäuden und hatte einen guten Ruf als Heilstätte bei Gästen, die auch in das nahe gelegene und weitaus ältere Karlsbad oder in die anderen rund um Eger gelegenen Orte zur Kur fuhren.[19]

In der fraglichen Zeit verkehrte in Marienbad eine hochrangige europäische Gesellschaft aus jährlich rund achthundert Kurgästen. Zu ihnen gehörten im August 1823 beispielsweise Ludwig Freiherr von Mannsbach, Regierungsassessor aus Greiz, der polnische Divisionsgeneral Jan Nepomucen Umiński aus Posen, die „russische wirkliche Staatsrathsgemahlinn aus Kurland“, Charlotte Baronin von Hahn, Freiin Bernhardine von Aachen aus Westfalen, ein Kajetan von Szydłowsky, „Gutsbesitzer und Ritter der pohlnischen Orden, aus Warschau“, Ferdinand Baron von Reiboldt, „k. sächsis. geheimer Finanzrath, mit Frau Gemahlinn, gebornen Baronesse Pflugk, und Tochter, aus Dresden“, ein bayerischer Leutnant, ein Hauslehrer aus Greiz, ein königlich bayerischer Oberappellations-Gerichtsrat mit Frau aus München, Kaufleute und Adlige aus Prag und Berlin, der „k.k. Kämmerer und Herrschaftsbesitzer“ Leopold Graf Kinsky von Wchinitz und Tettau aus Wien, ein Advokat mit Gattin aus Budweis, ein Graf von Mycielski, Gutsbesitzer aus Posen, ein Baron Skórzewski, „Gutsbesitzer aus Ekelmo (sic!, vermutlich Chełmno) in Pohlen“ und die aus Berlin angereiste Opernsängerin Anna Milder-Hauptmann um nur einige der Gäste aus den ersten elf Augusttagen der Ankunftszeit von Maria Szymanowska und ihren Geschwistern zu nennen. Man wohnte wahlweise in den Gasthöfen Zum Stern, Zum Prinzen, Zur Goldenen Sonne, Zur Goldenen Krone, Zum Schwarzen Adler, Zur Goldenen Traube, Zum Goldenen Falken, Zum Goldenen Löwen, Zum Weißen Schwan, wie Szymanowska und ihre Geschwister in Klingers Gasthof, im Sächsischen oder im Russischen Hause, in den Hotels Zum Römer, Zur Stadt Dresden, Zum Grünen Kreuze oder im Badehaus.[20]

[18] Gersdorff 2005 (siehe Literatur), Seite 9

[19] „Marienbad in Böhmen, das neben Töplitz, Carlsbad und Franzensbrunn einen Rang zu behaupten sucht …“ (Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexicon.) 6. Auflage, 6. Band, Leipzig 1824, Seite 146, Online-Ressource: https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10710725/bsb:1014601?queries=Marienbad&language=de&c=default )

[20] Liste 1823 (vergleiche Anmerkung 9, siehe PDF 1), Nr. 618-685, 1.-11. August 1823

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  • Abb. 1: Szymanowska, 1816

    Zofia Woyno (um 1810-1830): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, Miniatur, 1816. Gouache über Bleistift auf Papier, 14 x 10,4 cm, Inv. Nr. Min.628 MNW, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Wa...
  • Abb. 2: Serenade für Anton Radziwiłł, 1819

    Marie Szymanowska: Serenade für Klavier und begleitendem Violoncello, komponiert für und gewidmet seiner Hoheit, dem Prinzen Anton Radziwiłł, Leipzig: Breitkopf und Härtel 1819, Nationalbibliothek War...
  • Abb. 3: Marienbad um 1815

    Der Kreuzbrunnen zu Marienbad, um 1815. Aus: Franz Satori, Oesterreichs Tibur, oder Natur- und Kunstgemählde aus dem oesterreichischen Kaiserthume, Wien 1819, Frontispiz, Österreichische Nationalbibli...
  • Abb. 4: Marienbad um 1820

    Ansicht von Marienbad, um 1820. Kupferstich, 8 x 13 cm. Titelblatt zu: Liste der angekommenen respectiven Brunnengäste zu Marienbad im Jahre 1823, Eger 1823
  • Abb. 5: Marienbad um 1820

    Ludwig Ernst von Buquoy (1783-1834): Ansicht von Marienbad, um 1820. Kupferstich, koloriert, 28,5 x 44 cm, Privatbesitz
  • Abb. 6: Goethe, 1823

    Orest Adamowitsch Kiprensky (1782-1836): Porträt Johann Wolfgang von Goethe, Marienbad 1823. Lithographie nach einer Bleistiftzeichnung
  • Abb. 7: Goethe, 1823/26

    Henri Grévedon (1776-1860): Porträt Johann Wolfgang von Goethe, Paris 1826. Nach einer Zeichnung von Orest Adamowitsch Kiprensky (1782-1836) von 1823, Lithographie, Inv. Nr. his-Port-G-0077, Universit...
  • Abb. 8: Goethe, 1828

    Joseph Karl Stieler (1781-1858): Johann Wolfgang von Goethe, 1828. Öl auf Leinwand, 78 x 63,8 cm, Inv. Nr. WAF 1048, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München
  • Abb. 9: Brösigke’sches Haus, um 1821

    Unbekannt: Brösigke’sches Haus (Palais Klebelsberg) in Marienbad, um 1821, kolorierte Lithographie, 44,9 x 65,1 cm, Klassik Stiftung Weimar
  • Abb. 10: Ulrike von Levetzow, um 1821

    Unbekannt: Bildnis Theodore Ulrike Sophie von Levetzow, um 1821. Pastell, 43,4 x 33,5 cm, Klassik Stiftung Weimar
  • Abb. 11: Szymanowska, 1825

    Aleksander Kokular: Bildnis Maria Szymanowska/Portret Marii Szymanowskiej, 1825. Öl auf Leinwand, Inv. Nr. K.839, Muzeum Literatury im. Adama Mickiewicza, Warschau
  • PDF 1: Liste der Marienbader Kurgäste, 1823

    Liste der angekommenen respectiven Brunnengäste zu Marienbad im Jahre 1823, Eger 1823 (Titelblatt fehlt), Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar
  • PDF 2: Kurjer Warszawski, 1822

    Nowości Warszawskie. Kurjer Warszawski, Nr. 77, 31. März 1822, Seite 1, Biblioteka Jagiellońska w Krakowie
  • PDF 3: Kurjer Warszawski, 1823

    Nowości Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 183, 3. August 1823, Seite 1, Spalte 2, Biblioteka Jagiellońska w Krakowie
  • PDF 4: Allgemeine musikalische Zeitung, 1824

    Nachrichten. Leipzig, vom Michael 1823 bis zum März 1824, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 13, 25. März 1824, Spalte 204, Münchner Digitalisierungs-Zentrum
  • PDF 5: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, 1823

    Madam Szymanowska – zu Weimar. Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Jahrgang 38, Nr. 109, November 1823, Seite 889-892, Klassik Stiftung Weimar
  • PDF 6: Kurjer Warszawski, 1824

    Nowości Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 14, 16. Januar 1824, Seite 1, Spalte 1 f., Biblioteka Jagiellońska w Krakowie