Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?
Weshalb Szymanowska Goethes Bekanntschaft suchte, ist nicht bekannt. Jedenfalls reisten sie und ihre Geschwister am 8. August nach Marienbad weiter. Marienbad im österreichischen Kronland Böhmen war zu dieser Zeit ein aufstrebender und noch in der Entwicklung befindlicher Kurort. 1808 war auf Initiative des Prämonstratenser-Stiftes Tepl an der vierzehn Kilometer westlich gelegenen schwefligen Marienquelle, die mit den umliegenden Heilquellen seit dem Mittelalter bekannt war, ein erstes Badehaus gebaut worden. Nach Veröffentlichungen des Klosterarztes über die Heilwirkung der Quellen wurde ab 1813 ein Kurort errichtet, der zunächst aus wenigen Fachwerkhäusern bestand (Abb. 3). In der ersten Saison 1815 konnten den Gästen sieben Gebäude als Unterkünfte angeboten werden.[18] 1818 wurde der Kurort, der nach der Quelle den Namen Marienbad erhielt, offiziell anerkannt. Bis 1820 waren an den Brunnen und an den Aussichtspunkten klassizistische Pavillons entstanden, Parks wurden angelegt und repräsentative Kurhäuser und Gasthöfe gebaut (Abb. 4). Die ursprüngliche Idylle des Tals im Kaiserwald konnte man aber immer noch erleben (Abb. 5). 1824 bestand der Ort bereits aus vierzig Gebäuden und hatte einen guten Ruf als Heilstätte bei Gästen, die auch in das nahe gelegene und weitaus ältere Karlsbad oder in die anderen rund um Eger gelegenen Orte zur Kur fuhren.[19]
In der fraglichen Zeit verkehrte in Marienbad eine hochrangige europäische Gesellschaft aus jährlich rund achthundert Kurgästen. Zu ihnen gehörten im August 1823 beispielsweise Ludwig Freiherr von Mannsbach, Regierungsassessor aus Greiz, der polnische Divisionsgeneral Jan Nepomucen Umiński aus Posen, die „russische wirkliche Staatsrathsgemahlinn aus Kurland“, Charlotte Baronin von Hahn, Freiin Bernhardine von Aachen aus Westfalen, ein Kajetan von Szydłowsky, „Gutsbesitzer und Ritter der pohlnischen Orden, aus Warschau“, Ferdinand Baron von Reiboldt, „k. sächsis. geheimer Finanzrath, mit Frau Gemahlinn, gebornen Baronesse Pflugk, und Tochter, aus Dresden“, ein bayerischer Leutnant, ein Hauslehrer aus Greiz, ein königlich bayerischer Oberappellations-Gerichtsrat mit Frau aus München, Kaufleute und Adlige aus Prag und Berlin, der „k.k. Kämmerer und Herrschaftsbesitzer“ Leopold Graf Kinsky von Wchinitz und Tettau aus Wien, ein Advokat mit Gattin aus Budweis, ein Graf von Mycielski, Gutsbesitzer aus Posen, ein Baron Skórzewski, „Gutsbesitzer aus Ekelmo (sic!, vermutlich Chełmno) in Pohlen“ und die aus Berlin angereiste Opernsängerin Anna Milder-Hauptmann um nur einige der Gäste aus den ersten elf Augusttagen der Ankunftszeit von Maria Szymanowska und ihren Geschwistern zu nennen. Man wohnte wahlweise in den Gasthöfen Zum Stern, Zum Prinzen, Zur Goldenen Sonne, Zur Goldenen Krone, Zum Schwarzen Adler, Zur Goldenen Traube, Zum Goldenen Falken, Zum Goldenen Löwen, Zum Weißen Schwan, wie Szymanowska und ihre Geschwister in Klingers Gasthof, im Sächsischen oder im Russischen Hause, in den Hotels Zum Römer, Zur Stadt Dresden, Zum Grünen Kreuze oder im Badehaus.[20]
[18] Gersdorff 2005 (siehe Literatur), Seite 9
[19] „Marienbad in Böhmen, das neben Töplitz, Carlsbad und Franzensbrunn einen Rang zu behaupten sucht …“ (Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexicon.) 6. Auflage, 6. Band, Leipzig 1824, Seite 146, Online-Ressource: https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10710725/bsb:1014601?queries=Marienbad&language=de&c=default )
[20] Liste 1823 (vergleiche Anmerkung 9, siehe PDF 1), Nr. 618-685, 1.-11. August 1823