Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?
1819/20 erschienen bei Breitkopf & Härtel sechs Alben mit insgesamt neunundsechzig von ihr komponierten Stücken für Klavier,[12] die Verwandten, Bekannten, anderen Komponisten oder hochgestellten Persönlichkeiten gewidmet waren, darunter dem in Berlin ansässigen polnischen Fürsten Anton Heinrich Radziwill/Antoni Henryk Radziwiłł, preußischer Statthalter in Posen und Mitglied des preußischen Staatsrates (Abb. 2). Radziwill war selbst engagierter Cellist und Komponist und arbeitete seit etwa 1810 an einer Vertonung von Goethes „Faust“, die ihm offenbar Goethes Freund Zelter angetragen hatte. Die italienische Opernsängerin Angelica Catalani, die im November 1819 in Warschau auftrat, soll Szymanowska darin bestärkt haben, sich gegen die Ehe und für eine musikalische Karriere zu entscheiden, woraufhin diese sich scheiden ließ. Zwei Jahre lang arbeitete sie an ihrer Klaviertechnik und erweiterte ihr Repertoire, gab Konzerte und Unterricht. 1822 gastierte sie in St. Petersburg, wo sie nach einem Auftritt in der Sommerresidenz des Zaren den Titel einer Ersten Hofpianistin der Zarenmutter und der Zarin Elisabeth Alexejewna erhielt, welcher ihr nicht nur beträchtliches Ansehen, sondern auch einen festen jährlichen Unterhalt einbrachte.[13] (PDF 2)
Im Februar 1823 absolvierte sie eine Konzertreise durch die ukrainischen Städte Kiew, Tultschyn, Schytomyr, Dubno, Kremenez und Lemberg. Nach vorübergehender Rückkehr nach Warschau und einem dortigen Konzert im Mai ging sie auf eine Tournee durch Europa, auf der sie ihre Schwester und ihr Bruder begleiteten, welcher für die Organisation der Reisen und der Konzerte zuständig war. Bis zum Ende des Jahres konzertierte sie in Deutschland: im Januar in Dresden, im Herbst in Leipzig und in den Wintermonaten in Weimar, Dessau, Braunschweig und Berlin. Zu Beginn ihrer Konzerttournee, die am Ende drei Jahre dauern sollte, reiste sie ins preußische Posen, wo sie am 29. und 30. Juni ein Konzert von Johann Nepomuk Hummel und eine eigene „Fantasie“ gespielt haben soll, wie eine Warschauer Zeitung berichtete.[14]
Anschließend reiste sie ins böhmische Karlsbad, das schon in diesen Jahren als einer der berühmtesten Badeorte Europas galt[15] und wo sie am 6. Juli eintraf. Vierzehn Tage später, am 21. Juli, konzertierte sie dort, wie die Warschauer Tageszeitung Kurjer Warszawski zwei Wochen später berichtete, vor herausragenden Persönlichkeiten, unter anderem der Prinzessin von Cumberland und rund fünfzig Herzoginnen und Herzögen. Die Zahl der beim Konzert anwesenden Polen, ebenfalls Besucher des Kurortes, sei nicht weniger als zweimal so hoch gewesen. Stürmischer Applaus sei auf jeden Vortrag der außerordentlich talentierten Künstlerin gefolgt. Auch der berühmte Hummel habe zuvor in Karlsbad konzertiert, jedoch weniger Besucherinnen und Besucher angezogen (PDF 3).[16] Eigentlich galt der Aufenthalt in Karlsbad jedoch einer Kur von Szymanowskas Schwester Kazimiera, die dort wegen eines Leidens in der Seite Bäder einnahm, wie Szymanowska in einem Brief an den in Moskau lebenden Fürsten, Schriftsteller und Freund von Alexander Puschkin, Pjotr Andrejewitsch Wjasemski, berichtete. Ihm schrieb sie auch, dass sie anschließend plane, Goethe in Marienbad zu treffen und dann nach Dresden und Berlin weiterzureisen.[17]
[12] Kijas 2010 (siehe Literatur), Seite 17; diverse Ausgaben in der Nationalbibliothek Warschau/Biblioteka Narodowa w Warszawie auf polona.pl, https://polona.pl/search/?filters=creator:%22Szymanowska,_Maria_(1789--1831)%22,public:0. – Insgesamt sind von Szymanowska 97 Klavier- und 30 Vokalwerke erhalten (Bischler 2017, siehe Literatur, Seite 213, 403).
[13] Die Warschauer Tageszeitung Kurjer Warszawski berichtete, dass ein privates Konzert vor der Zarenfamilie der Pianistin höchste Anerkennung eingebracht habe. Das nachfolgende öffentliche Konzert am 18. März in der Petersburger Philharmonie habe vor ausverkauftem Haus stattgefunden und bei einem Eintrittspreis von 10 Rubel einen Erlös von 14.000 Rubel eingebracht. Szymanowska habe unter anderem ein Adagio gespielt, das Himel (sic!, gemeint ist Johann Nepomuk Hummel), Orchesterdirektor der Großfürstin Maria Pawlowna in Weimar, in St. Petersburg für die Pianistin komponiert habe. (Nowosci Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 77, 31. März 1822, Seite 1 (siehe PDF 2), Online-Ressource: https://jbc.bj.uj.edu.pl/dlibra/publication/744066/edition/705906/content) – Vergleiche auch Kijas 2010 (siehe Literatur), Seite 44 f.
[14] Gazeta Korrespondenta Warszawskiego i Zagranicznego Nr. 107 vom 7. Juli 1823, Seite 1227, Online-Ressource: https://polona.pl/item/gazeta-korrespondenta-warszawskiego-y-zagranicznego-1823-nr-107-7-lipca-dodatek,MTA0NjcwOTQ1/0/#info:metadata
[15] Carlsbad, in: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexicon.), 6. Auflage, 2. Band, Leipzig 1824, Seite 335, Online-Ressource: https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10710721/bsb:1014597?queries=Carlsbad&language=de&c=default
[16] Nowosci Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 183, Warschau, 3. August 1823, Seite 1, Spalte 2 (siehe PDF 3), Online-Ressource: https://jbc.bj.uj.edu.pl/dlibra/publication/744468/edition/706308/content) – Vergleiche auch Kijas 2010 (siehe Literatur), Seite 49
[17] Bischler 2017 (siehe Literatur), Seite 63