Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?

Walenty Wańkowicz (1799-1842): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, 1828. Öl auf Leinwand, Bibliothèque polonaise de Paris/Biblioteka Polska w Paryżu
Walenty Wańkowicz (1799-1842): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, 1828. Öl auf Leinwand, Bibliothèque polonaise de Paris/Biblioteka Polska w Paryżu

1819/20 erschienen bei Breitkopf & Härtel sechs Alben mit insgesamt neunundsechzig von ihr komponierten Stücken für Klavier,[12] die Verwandten, Bekannten, anderen Komponisten oder hochgestellten Persönlichkeiten gewidmet waren, darunter dem in Berlin ansässigen polnischen Fürsten Anton Heinrich Radziwill/Antoni Henryk Radziwiłł, preußischer Statthalter in Posen und Mitglied des preußischen Staatsrates (Abb. 2). Radziwill war selbst engagierter Cellist und Komponist und arbeitete seit etwa 1810 an einer Vertonung von Goethes „Faust“, die ihm offenbar Goethes Freund Zelter angetragen hatte. Die italienische Opernsängerin Angelica Catalani, die im November 1819 in Warschau auftrat, soll Szymanowska darin bestärkt haben, sich gegen die Ehe und für eine musikalische Karriere zu entscheiden, woraufhin diese sich scheiden ließ. Zwei Jahre lang arbeitete sie an ihrer Klaviertechnik und erweiterte ihr Repertoire, gab Konzerte und Unterricht. 1822 gastierte sie in St. Petersburg, wo sie nach einem Auftritt in der Sommerresidenz des Zaren den Titel einer Ersten Hofpianistin der Zarenmutter und der Zarin Elisabeth Alexejewna erhielt, welcher ihr nicht nur beträchtliches Ansehen, sondern auch einen festen jährlichen Unterhalt einbrachte.[13] (PDF 2)

Im Februar 1823 absolvierte sie eine Konzertreise durch die ukrainischen Städte Kiew, Tultschyn, Schytomyr, Dubno, Kremenez und Lemberg. Nach vorübergehender Rückkehr nach Warschau und einem dortigen Konzert im Mai ging sie auf eine Tournee durch Europa, auf der sie ihre Schwester und ihr Bruder begleiteten, welcher für die Organisation der Reisen und der Konzerte zuständig war. Bis zum Ende des Jahres konzertierte sie in Deutschland: im Januar in Dresden, im Herbst in Leipzig und in den Wintermonaten in Weimar, Dessau, Braunschweig und Berlin. Zu Beginn ihrer Konzerttournee, die am Ende drei Jahre dauern sollte, reiste sie ins preußische Posen, wo sie am 29. und 30. Juni ein Konzert von Johann Nepomuk Hummel und eine eigene „Fantasie“ gespielt haben soll, wie eine Warschauer Zeitung berichtete.[14]

Anschließend reiste sie ins böhmische Karlsbad, das schon in diesen Jahren als einer der berühmtesten Badeorte Europas galt[15] und wo sie am 6. Juli eintraf. Vierzehn Tage später, am 21. Juli, konzertierte sie dort, wie die Warschauer Tageszeitung Kurjer Warszawski zwei Wochen später berichtete, vor herausragenden Persönlichkeiten, unter anderem der Prinzessin von Cumberland und rund fünfzig Herzoginnen und Herzögen. Die Zahl der beim Konzert anwesenden Polen, ebenfalls Besucher des Kurortes, sei nicht weniger als zweimal so hoch gewesen. Stürmischer Applaus sei auf jeden Vortrag der außerordentlich talentierten Künstlerin gefolgt. Auch der berühmte Hummel habe zuvor in Karlsbad konzertiert, jedoch weniger Besucherinnen und Besucher angezogen (PDF 3).[16] Eigentlich galt der Aufenthalt in Karlsbad jedoch einer Kur von Szymanowskas Schwester Kazimiera, die dort wegen eines Leidens in der Seite Bäder einnahm, wie Szymanowska in einem Brief an den in Moskau lebenden Fürsten, Schriftsteller und Freund von Alexander Puschkin, Pjotr Andrejewitsch Wjasemski, berichtete. Ihm schrieb sie auch, dass sie anschließend plane, Goethe in Marienbad zu treffen und dann nach Dresden und Berlin weiterzureisen.[17]

[12] Kijas 2010 (siehe Literatur), Seite 17; diverse Ausgaben in der Nationalbibliothek Warschau/Biblioteka Narodowa w Warszawie auf polona.pl, https://polona.pl/search/?filters=creator:%22Szymanowska,_Maria_(1789--1831)%22,public:0. – Insgesamt sind von Szymanowska 97 Klavier- und 30 Vokalwerke erhalten (Bischler 2017, siehe Literatur, Seite 213, 403). 

[13] Die Warschauer Tageszeitung Kurjer Warszawski berichtete, dass ein privates Konzert vor der Zarenfamilie der Pianistin höchste Anerkennung eingebracht habe. Das nachfolgende öffentliche Konzert am 18. März in der Petersburger Philharmonie habe vor ausverkauftem Haus stattgefunden und bei einem Eintrittspreis von 10 Rubel einen Erlös von 14.000 Rubel eingebracht. Szymanowska habe unter anderem ein Adagio gespielt, das Himel (sic!, gemeint ist Johann Nepomuk Hummel), Orchesterdirektor der Großfürstin Maria Pawlowna in Weimar, in St. Petersburg für die Pianistin komponiert habe. (Nowosci Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 77, 31. März 1822, Seite 1 (siehe PDF 2), Online-Ressource: https://jbc.bj.uj.edu.pl/dlibra/publication/744066/edition/705906/content) – Vergleiche auch Kijas 2010 (siehe Literatur), Seite 44 f.

[14] Gazeta Korrespondenta Warszawskiego i Zagranicznego Nr. 107 vom 7. Juli 1823, Seite 1227, Online-Ressource: https://polona.pl/item/gazeta-korrespondenta-warszawskiego-y-zagranicznego-1823-nr-107-7-lipca-dodatek,MTA0NjcwOTQ1/0/#info:metadata

[15] Carlsbad, in: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexicon.), 6. Auflage, 2. Band, Leipzig 1824, Seite 335, Online-Ressource: https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10710721/bsb:1014597?queries=Carlsbad&language=de&c=default

[16] Nowosci Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 183, Warschau, 3. August 1823, Seite 1, Spalte 2 (siehe PDF 3), Online-Ressource: https://jbc.bj.uj.edu.pl/dlibra/publication/744468/edition/706308/content) – Vergleiche auch Kijas 2010 (siehe Literatur), Seite 49

[17] Bischler 2017 (siehe Literatur), Seite 63

Mediathek
  • Abb. 1: Szymanowska, 1816

    Zofia Woyno (um 1810-1830): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, Miniatur, 1816. Gouache über Bleistift auf Papier, 14 x 10,4 cm, Inv. Nr. Min.628 MNW, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Wa...
  • Abb. 2: Serenade für Anton Radziwiłł, 1819

    Marie Szymanowska: Serenade für Klavier und begleitendem Violoncello, komponiert für und gewidmet seiner Hoheit, dem Prinzen Anton Radziwiłł, Leipzig: Breitkopf und Härtel 1819, Nationalbibliothek War...
  • Abb. 3: Marienbad um 1815

    Der Kreuzbrunnen zu Marienbad, um 1815. Aus: Franz Satori, Oesterreichs Tibur, oder Natur- und Kunstgemählde aus dem oesterreichischen Kaiserthume, Wien 1819, Frontispiz, Österreichische Nationalbibli...
  • Abb. 4: Marienbad um 1820

    Ansicht von Marienbad, um 1820. Kupferstich, 8 x 13 cm. Titelblatt zu: Liste der angekommenen respectiven Brunnengäste zu Marienbad im Jahre 1823, Eger 1823
  • Abb. 5: Marienbad um 1820

    Ludwig Ernst von Buquoy (1783-1834): Ansicht von Marienbad, um 1820. Kupferstich, koloriert, 28,5 x 44 cm, Privatbesitz
  • Abb. 6: Goethe, 1823

    Orest Adamowitsch Kiprensky (1782-1836): Porträt Johann Wolfgang von Goethe, Marienbad 1823. Lithographie nach einer Bleistiftzeichnung
  • Abb. 7: Goethe, 1823/26

    Henri Grévedon (1776-1860): Porträt Johann Wolfgang von Goethe, Paris 1826. Nach einer Zeichnung von Orest Adamowitsch Kiprensky (1782-1836) von 1823, Lithographie, Inv. Nr. his-Port-G-0077, Universit...
  • Abb. 8: Goethe, 1828

    Joseph Karl Stieler (1781-1858): Johann Wolfgang von Goethe, 1828. Öl auf Leinwand, 78 x 63,8 cm, Inv. Nr. WAF 1048, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München
  • Abb. 9: Brösigke’sches Haus, um 1821

    Unbekannt: Brösigke’sches Haus (Palais Klebelsberg) in Marienbad, um 1821, kolorierte Lithographie, 44,9 x 65,1 cm, Klassik Stiftung Weimar
  • Abb. 10: Ulrike von Levetzow, um 1821

    Unbekannt: Bildnis Theodore Ulrike Sophie von Levetzow, um 1821. Pastell, 43,4 x 33,5 cm, Klassik Stiftung Weimar
  • Abb. 11: Szymanowska, 1825

    Aleksander Kokular: Bildnis Maria Szymanowska/Portret Marii Szymanowskiej, 1825. Öl auf Leinwand, Inv. Nr. K.839, Muzeum Literatury im. Adama Mickiewicza, Warschau
  • PDF 1: Liste der Marienbader Kurgäste, 1823

    Liste der angekommenen respectiven Brunnengäste zu Marienbad im Jahre 1823, Eger 1823 (Titelblatt fehlt), Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar
  • PDF 2: Kurjer Warszawski, 1822

    Nowości Warszawskie. Kurjer Warszawski, Nr. 77, 31. März 1822, Seite 1, Biblioteka Jagiellońska w Krakowie
  • PDF 3: Kurjer Warszawski, 1823

    Nowości Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 183, 3. August 1823, Seite 1, Spalte 2, Biblioteka Jagiellońska w Krakowie
  • PDF 4: Allgemeine musikalische Zeitung, 1824

    Nachrichten. Leipzig, vom Michael 1823 bis zum März 1824, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 13, 25. März 1824, Spalte 204, Münchner Digitalisierungs-Zentrum
  • PDF 5: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, 1823

    Madam Szymanowska – zu Weimar. Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Jahrgang 38, Nr. 109, November 1823, Seite 889-892, Klassik Stiftung Weimar
  • PDF 6: Kurjer Warszawski, 1824

    Nowości Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 14, 16. Januar 1824, Seite 1, Spalte 1 f., Biblioteka Jagiellońska w Krakowie