Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?
Die Allgemeine musikalische Zeitung berichtete: „Am 20sten October verschaffte uns Mad. Szymanowska, erste Pianofortistin Ihrer Maj. der Kaiserinnen von Russland, den herrlichsten Genuss. […] Mad. Szym. ist auf ihrem Instrumente Meisterin im ganzen Sinne des Wortes. Fertigkeit und musikalischer Geist sind gleich stark in ihr. […] Darauf wurde das neueste Rondo brillant von Hummel, eine sehr dankbare Composition, mit einer solchen Sicherheit im Starken und Zarten von ihr vorgetragen, dass der ganze Saal vom rauschendsten Beyfall wiederhallte. Ihr Spiel hat nicht Ueberladenes; jeder Ton ist, wie er eben seyn soll …“ (PDF 4).[49] Die in Dresden erscheinende Abend-Zeitung schrieb über die beiden Leipziger Konzerte: „Mad. Maria Szymanowska … trat … zuerst in einem Abonnement-Concerte auf und erwarb sich durch ihr treffliches Spiel so viel Ruf, daß bei dem später selbst arrangirten Concerte der Saal kaum die herbeigeströmte Menge fassen konnte, ein Fall, der in Leipzig, wo man mit Musik überfüttert wird, höchst selten ist. Laien und Kenner waren von der Präcision und dem Ausdrucke ihres Spiels in gleichem Grade entzückt und letztere behaupten, einen noch höheren Genuß gewähre es, sie spielen zu sehen, die Behendigkeit ihrer Finger und ihre, ganz von den gewöhnlichen Regeln abweichende, originelle Applikatur in der Nähe zu bewundern. In Privatzirkeln soll Mad. Szymanowska auch durch geistreiche Fantasieen auf dem Pianoforte bezaubert haben …“[50]
Am 24. Oktober 1823 traf Szymanowska mit Schwester und Bruder „von Dresden und Leipzig kommend“, wie Goethe in seinem Tagebuch vermerkte,[51] in Weimar ein und erregte auch hier Aufsehen. Kanzler von Müller notierte: „Goethe gab eine große Abendgesellschaft jener interessanten polnischen Virtuosin, Mad. Marie Szymanowska zu Ehren, von der er uns schon so viel erzählt hatte und die gestern ihn zu besuchen mit ihrer Schwester, Casimira Wolowska hier angelangt war. Auf sie hat er zu Carlsbad (sic! richtig: Marienbad) die schönen gemüthvollen Stanzen gedichtet, die er uns kürzlich vorgelesen und die seinen Dank dafür aussprechen, daß ihr seelenvolles Spiel seinem Gemüthe zuerst wieder Beruhigung schaffte, als die Trennung von Levezows ihm eine so tiefe Wunde schlug. Goethe war den ganzen Abend hindurch sehr heiter und galant, er weidete sich an dem allgemeinen Beifall, den Mad. Szymanowska eben so sehr durch ihre Persönlichkeit, als durch ihr seelenvolles Spiel fand.“[52]
Jeden Mittag aßen Szymanowska und ihre Geschwister bei Goethe, während die Pianistin sich mit Tafelmusiken revanchierte. Am 27. Oktober lud Goethe erneut zu einer musikalischen Soiree ein: „Vorbereitung zu dem abendlichen Concert. […] Die Gesellschaft kam nach und nach an. Madame Szymanowska spielte. Madame Eberwein sang, von Saiten- und Blasinstrumenten accompagnirt. Blieben bis gegen 10 Uhr“, schrieb Goethe in sein Tagebuch.[53] Eckermann vermerkte: „Am andern Tag erzählte man mir, daß die junge polnische Dame, Madame Szymanowska, der zu Ehren der festliche Abend veranstaltet worden, den Flügel ganz meisterhaft gespielt habe, zum Entzücken der ganzen Gesellschaft.“[54] Am Tag darauf, so Kanzler von Müller, war wieder „Concert bei Goethe. Ein Quartett von der Composition des Prinzen Louis Ferdinand und gespielt von Mad. Szymanowska gab Goethen zu den interessantesten Bemerkungen Anlaß. Er faßt, wie wohl ganz schüchtern, den Gedanken, daß die Künstlerin ein öffentliches Concert geben sollte, und forderte Schmidt, Coudray und mich auf, es auf alle Weise zu befördern.“[55] Auch am 30. Oktober gab es „Abends Concert bei Goethe.“[56]
[49] Nachrichten. Leipzig, vom Michael 1823 bis zum März 1824, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 13, Leipzig, 25. März 1824, Spalte 204 (siehe PDF 4), Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10528025?page=128,129
[50] Correspondenz-Nachrichten. Aus Leipzig, in: Abend-Zeitung, Nr. 268, Dresden, 8.11.1823, Seite 1072, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10530367_00463_u001?q=Szymanowska&page=4
[51] 24. Oktober 1823. Goethe: Tagebücher (siehe Anmerkung 28), Seite 132
[52] Freitags, den 24. October. Goethes Unterhaltungen (siehe Anmerkung 38), Seite 71, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11001483?page=86,87
[53] 27. Oktober 1823. Goethe: Tagebücher (siehe Anmerkung 28), Seite 134
[54] Montag, den 27. Oktober 1823. Eckermann: Gespräche (siehe Anmerkung 38), Seite 72, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10068560?page=92,93
[55] Dienstags, 28. October. Goethes Unterhaltungen, Seite 71 (siehe Anmerkung 52). – Clemens Wenzeslaus Coudray, Architekt, arbeitete von 1816 bis zu seinem Tod 1845 als Oberbaudirektor in Weimar. 1832 begleitete er Goethe in dessen drei letzten Lebenstagen und fertigte darüber Notizen an, die später veröffentlicht wurden.
[56] Donnerstags, den 30. October. Goethes Unterhaltungen, Seite 71 (siehe Anmerkung 52)