Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?
Das von Goethe angeregte öffentliche Konzert konnte am 4. November „im Saale des Stadthauses, vor einem, nach den hiesigen Verhältnissen, sehr zahlreichen Auditorium“[57] stattfinden, nachdem Großfürstin Maria Pawlowna, die Schwiegertochter von Großherzog Carl August, ihr eigenes Instrument ausgeliehen hatte. Das Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode (PDF 5) berichtete ausführlich über das Konzert, in dem auch Gesangssolisten und Mitglieder der Hofkapelle auftraten. Auf dem Programm standen Beethovens 4. Sinfonie in B-Dur, das Klavierkonzert A-Moll von Hummel, ein Klavierquintett von Beethoven, Gesangsstücke von Ferdinando Paër, ein Klavier-Notturno von John Field sowie ein Rondo aus dem 1. Klavierkonzert von Klengel: „Mit allgemeinem, rauschendsten Beifall sah sich die ausgezeichnete Künstlerin belohnt. Hummel’s schwieriges Concert trug sie mit einer Kraft und Zartheit, Fertigkeit, Präcision und Rundung vor, die alles in Erstaunen setzte, und welcher ohne Zweifel selbst der Meister, der, von jeder unedlen Rücksicht entfernt, seit seinem Petersburger Aufenthalte zugleich ein werther Freund der Künstlerin ist, wäre er zugegen gewesen, gewiß volle Gerechtigkeit würde haben angedeihen lassen.“[58] Die Allgemeine musikalische Zeitung urteilte: „Mad. Szymanowska fand auch wie anderwärts enthusiastische Verehrer, die ihr Spiel in aller Hinsicht weit über das Spiel mancher berühmterer Künstler setzten und in ihm so ziemlich das Höchste erreicht fanden, was zu erreichen menschlicher Kraft möglich sey.“[59]
Kanzler von Müller berichtete von einem anschließenden Souper bei Goethe, bei dem dieser eine schwärmerische Laudatio auf Szymanowska hielt: „Fühlen wir uns nicht alle insgesammt durch diese liebenswürdige, edle Erscheinung, die uns jetzt wieder verlassen will, im Innersten erfrischt, verbessert, erweitert? Nein, sie kann uns nicht entschwinden, sie ist in unser innerstes Selbst übergegangen, sie lebt in uns mit uns fort und fange sie es auch an, wie sie wolle, mir zu entfliehen, ich halte sie immerdar fest in mir.“[60] Möglicherweise war auch der vierzehnjährige Felix Mendelssohn-Bartholdy auf dem Konzert anwesend, der in diesen Tagen bei Goethe und am Weimarer Hof zum wiederholten Mal als eine Art Wunderkind zu Gast war. Denn der Musikschriftsteller und Mendelssohn-Biograph August Reissmann legte dem „Wunderknaben“ ein Zitat in den Mund, in dem er Goethes mehrfach wiederholten Vergleich zwischen Hummel, der kurzzeitig Mendelssohns Lehrer war, und der „Claviervirtuosin Szymanowska, die jener Zeit in Weimar weilte,“ frech kommentierte: „Die Szymanowska wird über Hummel gesetzt. Man hat ihr hübsches Gesicht mit ihrem Spiel verwechselt.“[61]
[57] Madam Szymanowska – zu Weimar. Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Nr. 109, November 1823), Seite 890 (siehe PDF 5), Online-Ressource: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00217576/JLM_1…
[58] Ebenda
[59] Nachrichten. Weimar. April bis Ende 1823, in: Allgemeine musikalische Zeitung, No. 9, Leipzig, 26. Februar 1824, Spalte 139, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10527974?page=88,89
[60] Dienstags, den 4. November. Goethes Unterhaltungen (siehe Anmerkung 38), Seite 72, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11001483?page=88,89
[61] August Reissmann: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sein Leben und seine Werke, Dritte Auflage, Leipzig 1893, Seite 29 f. – Das Zitat vermutlich erstmals in dem Buch des Historikers und Sohns von Mendelssohn, Carl/Karl Mendelssohn Bartholdy: Goethe und Felix Mendelssohn Bartholdy, Leipzig 1871, Seite 17, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11001481?page=26,27&q=Szymanowska – Weitere Kritiken aus Zeitungen und Zeitschriften über Szymanowskas Konzert in Weimar sowie Äußerungen von Zeitgenossen bei Bischler 2017 (siehe Literatur), Seite 75-86