Auf den Spuren der Kunst nach dem Schrecken von Auschwitz. Nachbericht einer Studienfahrt.

Der Bilderzyklus vertikal ausgerichtet im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.
Der Bilderzyklus vertikal ausgerichtet im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.

Im Anschluss geht es für die Teilnehmenden auf das Gelände des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau/Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau (PMO). Dort durchlaufen sie im Rahmen der Führung die Ausstellung: Dabei geht es nicht nur inhaltlich durch die Lagergeschichte, sondern auch räumlich einmal quer über das Areal. Die roten Backsteinbauten der Baracken leuchten in der Nachmittagssonne – es ist ein merkwürdiger Gegensatz zu der hier ereigneten und gezeigten Geschichte. Die Räume sind jeweils mit verschiedenen Besuchergruppen gefüllt. Zu den „Höhepunkten“ gehören die Räume mit den Sammlungen der persönlichen Gegenstände der Inhaftierten, die ihnen bei ihrer Ankunft in dem Konzentrationslager abgenommen wurden. Die Berge an Koffern, Schuhen oder Kämmen, teilweise beschriftet mit den Namen ihrer Inhaber, treffen die Teilnehmenden auf emotionaler Ebene. Besonders eindrücklich sind die geschorenen Haare der Inhaftierten, die als ein schier endlos scheinender Haufen als Exponat ausgestellt werden.

Weitere Punkte sind das Krematorium und der Block 11 (der Todesblock). Die Spuren der Inhaftierten finden sich in den fotografischen Portraits, in Zeichnungen, ihren Gegenständen.

Anders als die Führung auf dem Gelände im Stammlager Auschwitz gestaltet sich die Tour im drei Kilometer entfernten Birkenau. Gegen die engen Gassen und die aneinander gereihten Backsteinbaracken wirkt die Fläche von Birkenau umso riesiger. Die wenigen Holzbaracken verstärken den Eindruck unvorstellbarer Größe. Spuren der Häftlinge finden sich aber auch hier; in Schnitzereien oder Malereien der inhaftierten Menschen in den Holzwänden der Baracken. Spuren finden sich aber auch in den ehemaligen Effektenlagern, die in der Lagersprache auch „Kanada“ genannt wurden und wo die Ankommenden ihr Hab und Gut abgeben mussten.[7]

Für die Reisegruppe ist der Abschnitt in Birkenau im Hinblick auf Gerhard Richter und seinen Bilderzyklus besonders wichtig: Sie besuchen die Stelle, an denen die heimlichen Fotografien vor über 70 Jahren aufgenommen wurden. Sie erhalten einen Eindruck von dem Areal, welches geradezu friedlich innerhalb der Birken dar liegt. Entsprechende Informationstafeln erinnern an die Verbrechen, die hier stattgefunden haben, und verweisen auch auf die Fotografien, die Gerhard Richter im Jahr 2014 als Vorlage für seine künstlerische Auseinandersetzung verwendet hat. Spätestens hier schließt sich der inhaltliche Kreis der Studienfahrt für die Teilnehmenden. 

Zusätzlich zu der Tour erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienfahrt Einblicke in Kunstsammlung der Gedenkstätte. Diese ist nicht Teil der regulären Dauerausstellung, sondern kann separat gebucht werden.[8] Dort finden sich Kunstwerke vier verschiedener Kategorien: legale Auftragsarbeiten im Lagerkontext, halblegale Bilder für private Zwecke (meist von SS-Männern), private und illegale Werke sowie Werke, die nach dem Kriegsende entstanden. Tausende Objekte sind im Fundus der Gedenkstätte, einige zu wertvoll im ideellen und erinnerungspolitischen Sinne, als dass sie ausgestellt werden können. Dazu gehören Kunstwerke von beruflichen Künstlern genauso wie von Laien-Künstlern, aber auch heimlich gefertigte Kunst, die das Leid der Häftlinge dokumentieren und den Gefangenen als Ventil dienten. Auch Auftragsarbeiten für die SS-Kommandeure und -Männer sind erhalten. Sie werden genauso aufbewahrt und ausgestellt wie Portraits, die von Josef Mengeles[9] Opfern gezeichnet werden mussten.[10] Doch sind die Gegenstände damit noch Kunst? Eine Frage, die von Guide und Teilnehmenden im Angesicht der fraglichen Gegenstände diskutiert wird. Dahinter stehe aber die eigentliche Frage, woran wir Kunst messen. An dem finanziellen Wert oder der Art der Technik, die der oder die Künstler/in angewendet hat? Vielleicht, so regt der Mitarbeiter der Gedenkstätte an, müsse man die Kunstgegenstände, egal welcher Kategorie sie entstammen, eher als Dokumente der Zeit sehen?

 

[7] Vgl. Israel Gutman, Michael Berenbaum:  Anatomy oft he Auschwitz Death Camp, Washington D.C 1994, S. 251f.

[8] Vgl. Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: Wystawa sztuki w byłej kuchni obozowej, Link: http://auschwitz.org/muzeum/zbiory-historyczne/wystawa-sztuki-w-bylej-kuchni-obozowej/, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.

[9] Josef Mengele (1911-1979) war KZ-Arzt für das sog. Zigeuner-Lager sowie das Frauenlager. Dort war er unter anderem an der Selektion beteiligt und schickte auf diese Weise Tausende in den Tod.  Er führte darüber hinaus pseudomedizinische Experimente an KZ-Häftlingen durch, die ebenfalls häufig tödlich endeten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelang ihm die Flucht dank eines Pseudonyms nach Südamerika. Vgl. hierzu Franz Menges: Art. Mengele, Josef, in: NDB 17 (1994), S. 69-71.

[10] Weitere Informationen zu den Exponattypen finden Sie hier: http://auschwitz.org/muzeum/zbiory-historyczne/sztuka/, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.

Mediathek
  • Das Reichstagsgebäude

    Das Reichstagsgebäude in Berlin war die erste Station der gemeinsamen Studienfahrt von IBB und Porta Polonica, 2019.
  • Fotografische Vorlagen zu Gerhard Richters monumentalem Bilderzyklus "Birkenau"

    Die vier fotografischen Vorlagen zu Gerhard Richters monumentalem Bilderzyklus "Birkenau" werden ebenfalls im Besucherfoyer des Bundestages präsentiert, 2019.
  • H.D. Buchlohs Buch “Gerhard Richters Birkenau-Gemälde”

    Parallel zur offiziellen Eröffnung der Ausstellung des Bilderzyklus publizierte der Kunsthistoriker Benjamin H.D. Buchloh sein Buch “Gerhard Richters Birkenau-Gemälde”, 2019.
  • Seminarauftakt mit Dr. Jacek Barski

    Dr. Jacek Barski, Leiter von Porta Polonica, gibt eine Einführung zum Künstler Gerhard Richter und dessen Werk „Birkenau“, Berlin 2019.
  • Im Gespräch mit den Teilnehmenden

    Bartholomäus Fujak, pädagogischer Mitarbeiter des IBB, im Gespräch mit den Teilnehmenden der Studienfahrt, Berlin 2019.
  • Aus dem Zyklus "Birkenau"

    Eines der vier großformatigen Bilder des Zyklus "Birkenau", Berlin 2019.
  • Bilderzyklus "Birkenau" im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes

    Der Bilderzyklus vertikal ausgerichtet im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.
  • Teilnehmende der Studienfahrt 

    Teilnehmende der Studienfahrt vor den historischen Fotografien, die Gerhard Richter als Vorlage für seinen "Birkenau"-Zyklus dienten, Berlin 2019.
  • Die Reichstagskuppel

    Besucherinnen und Besucher in der Kuppel des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.
  • Im Jüdischen Zentrum in Oświęcim

    Das Centrum Żydowskie (Jüdisches Zentrum) in Oświęcim mit der Chewra Lomdei Misznajot Synagoge erzählt von der jüdischen Besiedlung seit dem 16. Jahrhundert und dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerun...
  • Im Jüdischen Zentrum in Oświęcim

    Die Teilnehmenden der Studienfahrt im Centrum Żydowskie (Jüdisches Zentrum) in Oświęcim, 2019.
  • Im Museum des Jüdischen Zentrums in Oświęcim

    Teilnehmende der Studienreise im Museum des Jüdischen Zentrums in Oświęcim, 2019.
  • In der Ausstellung des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej

    In der Ausstellung des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej im Kellergewölbe der Franziskanerkirche in Oświęcim, 2019.
  • Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej

    Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej

    Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej

    Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • Teilnehmende der Studienreise in der Ausstellung von Marian Kołodziej

    Teilnehmende der Studienreise rezipieren die gezeichneten Porträts mit den verzerrten, hageren Gesichtszüge der KZ-Insassen in der Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • "Antisemitismus ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschlichkeit"

    Graffiti mit Papst Johannes Paul II in Oświęcim: "Antisemitismus ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschlichkeit", Oświęcim 2019.
  • Stadtansicht Oświęcim

    Stadtansicht Oświęcim, 2019.
  • Das Tor des Stammlagers Auschwitz mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei"

    Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau/Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau (PMO). Besuchergruppen gehen auf das Gelände durch das Tor des Stammlagers Auschwitz, Oświęcim 2019.
  • Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau

    Blick auf des Gelände des Stammlagers Auschwitz, Oświęcim 2019.
  • Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau

    Backsteinbauten der Baracken des Stammlagers Auschwitz, Oświęcim 2019.
  • Eine der historischen Vorlagen für Richters "Birkenau"

    Eine der historischen Fotografien, die Gerhard Richter als Vorlage für seinen Bilderzyklus diente. Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • Die historischen Vorlagen für Richters "Birkenau"

    Die historischen Vorlagen für Richters "Birkenau" finden sich in der Ausstellung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • Die Kunstsammlung der Gedenkstätte

    Die Kunstsammlung der Gedenkstätte Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: In der Ausstellung finden sich verschiedene Kunstwerke, Oświęcim 2019.
  • Die Kunstsammlung der Gedenkstätte

    Die Kunstsammlung der Gedenkstätte Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: In der Ausstellung finden sich finden sich verschiedene Kunstwerke, Oświęcim 2019.
  • Auschwitz II (Vernichtungslager Birkenau)

    Das Gelände des Auschwitz II (Vernichtungslager Birkenau), Oświęcim 2019.
  • Wohnbaracken in Auschwitz II

    Wohnbaracken mit dreistöckigen Bettgestellen in Auschwitz II (Vernichtungslager Birkenau), Oświęcim 2019.
  • Schnitzerei der inhaftierten Menschen

    Schnitzereien oder Malereien der inhaftierten Menschen finden sich auch in den Holzwänden und Bettgestellen der Wohnbaracken in Auschwitz II, Oświęcim 2019.
  • Das Einfahrtsgebäude des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

    Blick auf das Einfahrtsgebäude des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • In der Ausstellung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

    Blick in die Ausstellung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • Die fotografische Vorlage für Richters Bilderzyklus am authentischen Ort

    Die fotografische Vorlage für Richters Bilderzyklus wird in Auschwitz-Birkenau am authentischen Ort mit entsprechenden Besucherinformationen ausgestellt, Oświęcim 2019.
  • Kraków

    In der Altstadt von Kraków, 2019.
  • Kraków

    Die Teilnehmenden der Studienreise in der Altstadt von Kraków, 2019.
  • Graffiti mit hebräischer Schrift

    Graffiti mit hebräischer Schrift in Kraków, 2019
  • Kraków

    Die Teilnehmenden der Studienreise in Kraków, 2019.
  • Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienreise

    Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienreise "‚Birkenau‘ von Gerhard Richter – Ein Ortstermin“, 2019.