Auf den Spuren der Kunst nach dem Schrecken von Auschwitz. Nachbericht einer Studienfahrt.
Station 2: Oświęcim oder: Kunst ist Dokumentation ist Emotion
Die Diskussionen um die erste Station der Reise können auf der langen Busfahrt von Berlin nach Oświęcim ausgiebig erörtert werden. Der in Kleinpolen gelegene Ort an dem Fluss Soła ist heute dafür bekannt, dass die deutschen Nationalsozialisten am Westrand der Stadt ab 1940 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau betrieben haben. Die Verknüpfung des Ortes mit dem Konzentrationslager, welches im öffentlichen Gedächtnis stellvertretend für den Holocaust und die nationalsozialistischen Verbrechen an der Menschlichkeit steht, ist eng.
Die deutsch-jüdisch-polnische Geschichte der Stadt beginnt aber nicht erst mit der Errichtung des Lagers 1940 – deswegen besuchen die Teilnehmenden zunächst den Ort selbst mit seinem Stadtkern und der aus dem Mittelalter stammenden Burg. Dort findet sich das Centrum Żydowskie w Oświęcimiu (Jüdisches Zentrum in Oświęcim) mit der Chewra Lomdei Misznajot Synagoge, die Begegnung-, Gebets- und Informationsstätte in einem sind.[4] Bei der Führung erfahren die Teilnehmenden von der jüdischen Besiedlung seit dem 16. Jahrhundert und dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zum Ort, den sie selbst Oshpitzin nannten. Sie erfahren auch von dem dunklen Kapitel der Stadt mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und der Besetzung des Landkreises durch die deutsche Wehrmacht – und schließlich der systematischen Vernichtung von über einer Million Menschen ab 1941 im KZ Auschwitz. Im Jahr 2000 verstarb der letzte in Oświęcim lebende Jude. Seitdem existiert keine eigene Gemeinde in der Stadt.[5] Die Menschen, die heutzutage zum Gebet in die Synagoge kommen, sind Touristen und Besucher der Stadt – also zumeist der Gedenkstätte. Die Reiseteilnehmenden sind sichtlich betroffen von dem, was sie da hören; vor allem von den Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte. Zahlreiche Dokumente der Bewohnerinnen und Bewohner geben Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Besitzer.
Der zweite Tag beginnt sehr früh und diesig. Es soll auf das Gelände der Gedenkstätte gehen. Innerhalb der Tour erhalten die Teilnehmenden einen Einblick in die Lagerstruktur, die Umstände der Unterbringung und der Ermordung der KZ-Häftlinge. Bevor es jedoch dorthin geht, führen Bartholomäus Fujak, pädagogischer Mitarbeiter des IBB, gemeinsam mit dem aus dem Ort stammenden Busfahrer die Gruppe in den angegliederten Stadtteil Harmęże. Es geht vorbei an morgendlich-verschlafenen Häusern und spätsommerlichem Grün.
Die Gruppe hält einige Minuten später vor einer Kirche. In der Franziskanerkirche befindet sich eine wahre Perle: die Ausstellung des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej. Kołodziej hat seine Erfahrungen im Lager – er kam als einer der Ersten dorthin und überlebte Auschwitz – in zahlreichen Bildern verarbeitet.[6] Es sind Bleistift- und Grafitzeichnungen, die auf verschieden großen Untergründen gemalt worden sind. Die Ausstellung befindet sich in einem engen Kellergewölbe. Das Licht offenbart die verzehrten, hageren Gesichtszüge so vieler Gefangener, die als Schatten ihrer Selbst oftmals den als wilde Tiere dargestellten SS-Mitgliedern gegenübergestellt sind. Einige Portraits zeigen Kołodziej selbst, erkennbar an seiner tätowierten Häftlingsnummer: 432. Kołodziej wollte mit seinen Bildern nicht nur Zeugnis ablegen, sondern den Häftlingen des KZs auch ihre Identität und Existenz zurückgeben. Nach der Führung haben die Teilnehmenden auch hier Zeit, alleine durch die Ausstellung zu gehen. In den anschließenden Gesprächen auf dem Weg zum Bus und der Fahrt zur Gedenkstätte schwankt der allgemeine Eindruck zwischen Erschlagenheit aufgrund der Menge an Eindrücken und Bewunderung für den Künstler.
[4] Weitere Informationen zu der Institution finden sich auf der Webpräsenz des Zentrums: https://ajcf.pl/en/museum/, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.
[5] Vgl. Olga Mielnikiewicz: Oświęcim. Historia społeczności, Link: https://sztetl.org.pl/pl/miejscowosci/o/546-oswiecim/99-historia-spolecznosci/137813-historia-spolecznosci, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.
[6] Vgl. ausführliches Portrait des Überlebenden und Künstlers Kołodziej: Monika Mokrzycka-Pokora: Marian Kołodziej, in: culture.pl, Link: https://culture.pl/pl/tworca/marian-kolodziej, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.