Auf den Spuren der Kunst nach dem Schrecken von Auschwitz. Nachbericht einer Studienfahrt.

Der Bilderzyklus vertikal ausgerichtet im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.
Der Bilderzyklus vertikal ausgerichtet im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.

Station 2: Oświęcim oder: Kunst ist Dokumentation ist Emotion

Die Diskussionen um die erste Station der Reise können auf der langen Busfahrt von Berlin nach Oświęcim ausgiebig erörtert werden. Der in Kleinpolen gelegene Ort an dem Fluss Soła ist heute dafür bekannt, dass die deutschen Nationalsozialisten am Westrand der Stadt ab 1940 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau betrieben haben. Die Verknüpfung des Ortes mit dem Konzentrationslager, welches im öffentlichen Gedächtnis stellvertretend für den Holocaust und die nationalsozialistischen Verbrechen an der Menschlichkeit steht, ist eng.

Die deutsch-jüdisch-polnische Geschichte der Stadt beginnt aber nicht erst mit der Errichtung des Lagers 1940 – deswegen besuchen die Teilnehmenden zunächst den Ort selbst mit seinem Stadtkern und der aus dem Mittelalter stammenden Burg. Dort findet sich das Centrum Żydowskie w Oświęcimiu (Jüdisches Zentrum in Oświęcim) mit der Chewra Lomdei Misznajot Synagoge, die Begegnung-, Gebets- und Informationsstätte in einem sind.[4] Bei der Führung erfahren die Teilnehmenden von der jüdischen Besiedlung seit dem 16. Jahrhundert und dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zum Ort, den sie selbst Oshpitzin nannten. Sie erfahren auch von dem dunklen Kapitel der Stadt mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und der Besetzung des Landkreises durch die deutsche Wehrmacht – und schließlich der systematischen Vernichtung von über einer Million Menschen ab 1941 im KZ Auschwitz. Im Jahr 2000 verstarb der letzte in Oświęcim lebende Jude. Seitdem existiert keine eigene Gemeinde in der Stadt.[5] Die Menschen, die heutzutage zum Gebet in die Synagoge kommen, sind Touristen und Besucher der Stadt – also zumeist der Gedenkstätte. Die Reiseteilnehmenden sind sichtlich betroffen von dem, was sie da hören; vor allem von den Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte. Zahlreiche Dokumente der Bewohnerinnen und Bewohner geben Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Besitzer.

Der zweite Tag beginnt sehr früh und diesig. Es soll auf das Gelände der Gedenkstätte gehen. Innerhalb der Tour erhalten die Teilnehmenden einen Einblick in die Lagerstruktur, die Umstände der Unterbringung und der Ermordung der KZ-Häftlinge. Bevor es jedoch dorthin geht, führen Bartholomäus Fujak, pädagogischer Mitarbeiter des IBB, gemeinsam mit dem aus dem Ort stammenden Busfahrer die Gruppe in den angegliederten Stadtteil Harmęże. Es geht vorbei an morgendlich-verschlafenen Häusern und spätsommerlichem Grün.

Die Gruppe hält einige Minuten später vor einer Kirche. In der Franziskanerkirche befindet sich eine wahre Perle: die Ausstellung des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej. Kołodziej hat seine Erfahrungen im Lager – er kam als einer der Ersten dorthin und überlebte Auschwitz – in zahlreichen Bildern verarbeitet.[6] Es sind Bleistift- und Grafitzeichnungen, die auf verschieden großen Untergründen gemalt worden sind. Die Ausstellung befindet sich in einem engen Kellergewölbe. Das Licht offenbart die verzehrten, hageren Gesichtszüge so vieler Gefangener, die als Schatten ihrer Selbst oftmals den als wilde Tiere dargestellten SS-Mitgliedern gegenübergestellt sind. Einige Portraits zeigen Kołodziej selbst, erkennbar an seiner tätowierten Häftlingsnummer: 432. Kołodziej wollte mit seinen Bildern nicht nur Zeugnis ablegen, sondern den Häftlingen des KZs auch ihre Identität und Existenz zurückgeben. Nach der Führung haben die Teilnehmenden auch hier Zeit, alleine durch die Ausstellung zu gehen. In den anschließenden Gesprächen auf dem Weg zum Bus und der Fahrt zur Gedenkstätte schwankt der allgemeine Eindruck zwischen Erschlagenheit aufgrund der Menge an Eindrücken und Bewunderung für den Künstler.

 

[4] Weitere Informationen zu der Institution finden sich auf der Webpräsenz des Zentrums: https://ajcf.pl/en/museum/, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.

[5] Vgl. Olga Mielnikiewicz: Oświęcim. Historia społeczności, Link: https://sztetl.org.pl/pl/miejscowosci/o/546-oswiecim/99-historia-spolecznosci/137813-historia-spolecznosci, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.

[6] Vgl. ausführliches Portrait des Überlebenden und Künstlers Kołodziej: Monika Mokrzycka-Pokora: Marian Kołodziej, in: culture.pl, Link: https://culture.pl/pl/tworca/marian-kolodziej, zuletzt abgerufen am 7.1.2020.

Mediathek
  • Das Reichstagsgebäude

    Das Reichstagsgebäude in Berlin war die erste Station der gemeinsamen Studienfahrt von IBB und Porta Polonica, 2019.
  • Fotografische Vorlagen zu Gerhard Richters monumentalem Bilderzyklus "Birkenau"

    Die vier fotografischen Vorlagen zu Gerhard Richters monumentalem Bilderzyklus "Birkenau" werden ebenfalls im Besucherfoyer des Bundestages präsentiert, 2019.
  • H.D. Buchlohs Buch “Gerhard Richters Birkenau-Gemälde”

    Parallel zur offiziellen Eröffnung der Ausstellung des Bilderzyklus publizierte der Kunsthistoriker Benjamin H.D. Buchloh sein Buch “Gerhard Richters Birkenau-Gemälde”, 2019.
  • Seminarauftakt mit Dr. Jacek Barski

    Dr. Jacek Barski, Leiter von Porta Polonica, gibt eine Einführung zum Künstler Gerhard Richter und dessen Werk „Birkenau“, Berlin 2019.
  • Im Gespräch mit den Teilnehmenden

    Bartholomäus Fujak, pädagogischer Mitarbeiter des IBB, im Gespräch mit den Teilnehmenden der Studienfahrt, Berlin 2019.
  • Aus dem Zyklus "Birkenau"

    Eines der vier großformatigen Bilder des Zyklus "Birkenau", Berlin 2019.
  • Bilderzyklus "Birkenau" im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes

    Der Bilderzyklus vertikal ausgerichtet im Besucherfoyer des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.
  • Teilnehmende der Studienfahrt 

    Teilnehmende der Studienfahrt vor den historischen Fotografien, die Gerhard Richter als Vorlage für seinen "Birkenau"-Zyklus dienten, Berlin 2019.
  • Die Reichstagskuppel

    Besucherinnen und Besucher in der Kuppel des Reichstagsgebäudes, Berlin 2019.
  • Im Jüdischen Zentrum in Oświęcim

    Das Centrum Żydowskie (Jüdisches Zentrum) in Oświęcim mit der Chewra Lomdei Misznajot Synagoge erzählt von der jüdischen Besiedlung seit dem 16. Jahrhundert und dem Verhältnis der jüdischen Bevölkerun...
  • Im Jüdischen Zentrum in Oświęcim

    Die Teilnehmenden der Studienfahrt im Centrum Żydowskie (Jüdisches Zentrum) in Oświęcim, 2019.
  • Im Museum des Jüdischen Zentrums in Oświęcim

    Teilnehmende der Studienreise im Museum des Jüdischen Zentrums in Oświęcim, 2019.
  • In der Ausstellung des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej

    In der Ausstellung des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej im Kellergewölbe der Franziskanerkirche in Oświęcim, 2019.
  • Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej

    Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej

    Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej

    Einblicke in die Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • Teilnehmende der Studienreise in der Ausstellung von Marian Kołodziej

    Teilnehmende der Studienreise rezipieren die gezeichneten Porträts mit den verzerrten, hageren Gesichtszüge der KZ-Insassen in der Ausstellung von Marian Kołodziej, Oświęcim 2019.
  • "Antisemitismus ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschlichkeit"

    Graffiti mit Papst Johannes Paul II in Oświęcim: "Antisemitismus ist ein Verbrechen gegen Gott und die Menschlichkeit", Oświęcim 2019.
  • Stadtansicht Oświęcim

    Stadtansicht Oświęcim, 2019.
  • Das Tor des Stammlagers Auschwitz mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei"

    Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau/Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau (PMO). Besuchergruppen gehen auf das Gelände durch das Tor des Stammlagers Auschwitz, Oświęcim 2019.
  • Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau

    Blick auf des Gelände des Stammlagers Auschwitz, Oświęcim 2019.
  • Das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau

    Backsteinbauten der Baracken des Stammlagers Auschwitz, Oświęcim 2019.
  • Eine der historischen Vorlagen für Richters "Birkenau"

    Eine der historischen Fotografien, die Gerhard Richter als Vorlage für seinen Bilderzyklus diente. Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • Die historischen Vorlagen für Richters "Birkenau"

    Die historischen Vorlagen für Richters "Birkenau" finden sich in der Ausstellung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • Die Kunstsammlung der Gedenkstätte

    Die Kunstsammlung der Gedenkstätte Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: In der Ausstellung finden sich verschiedene Kunstwerke, Oświęcim 2019.
  • Die Kunstsammlung der Gedenkstätte

    Die Kunstsammlung der Gedenkstätte Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: In der Ausstellung finden sich finden sich verschiedene Kunstwerke, Oświęcim 2019.
  • Auschwitz II (Vernichtungslager Birkenau)

    Das Gelände des Auschwitz II (Vernichtungslager Birkenau), Oświęcim 2019.
  • Wohnbaracken in Auschwitz II

    Wohnbaracken mit dreistöckigen Bettgestellen in Auschwitz II (Vernichtungslager Birkenau), Oświęcim 2019.
  • Schnitzerei der inhaftierten Menschen

    Schnitzereien oder Malereien der inhaftierten Menschen finden sich auch in den Holzwänden und Bettgestellen der Wohnbaracken in Auschwitz II, Oświęcim 2019.
  • Das Einfahrtsgebäude des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

    Blick auf das Einfahrtsgebäude des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • In der Ausstellung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

    Blick in die Ausstellung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 2019.
  • Die fotografische Vorlage für Richters Bilderzyklus am authentischen Ort

    Die fotografische Vorlage für Richters Bilderzyklus wird in Auschwitz-Birkenau am authentischen Ort mit entsprechenden Besucherinformationen ausgestellt, Oświęcim 2019.
  • Kraków

    In der Altstadt von Kraków, 2019.
  • Kraków

    Die Teilnehmenden der Studienreise in der Altstadt von Kraków, 2019.
  • Graffiti mit hebräischer Schrift

    Graffiti mit hebräischer Schrift in Kraków, 2019
  • Kraków

    Die Teilnehmenden der Studienreise in Kraków, 2019.
  • Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienreise

    Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienreise "‚Birkenau‘ von Gerhard Richter – Ein Ortstermin“, 2019.