Auf den Spuren der Kunst nach dem Schrecken von Auschwitz. Nachbericht einer Studienfahrt.
Station 1: Berlin oder: der Anfang der Fahrt liegt in der Gegenwart
Es ist schwül an diesem Septembertag in Berlin. Das Wetter scheint zu sagen: Den zwölf Teilnehmenden der Studienreise liegen anstrengende Tage bevor. Innerhalb einer knappen Woche werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über 600 km hinter sich bringen und an drei Orten – Berlin, Oświęcim und Kraków[3] – über die Zusammenhänge von Auschwitz und Kunst sprechen. Was sind das für Menschen, die sich in einem Seminarraum hinter dem Berliner Invalidenpark bei abenteuerlicher Sommerhitze einfinden und so eine Fahrt mitmachen? Einige stammen aus dem Kultursektor, andere leisten Gedenkstätten- oder Bildungsarbeit, sollen Input über den Umgang mit Erinnerungskultur sammeln oder sind (kunst)historisch interessiert. Ein großer Teil ist vorher noch nicht in dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau gewesen.
Das erste Gespräch im Seminarraum dreht sich um Schlagworte wie „Empfindsamkeit des Ortes“, „Kunstinteresse“, „Erinnerungskultur“ oder „moralische Verpflichtung“. Nicht Wenige haben auch ein persönliches Interesse an dem Ort oder damit verbundenen Geschichten, bspw. die Verfolgung von Homosexuellen. Dem unterschiedlichen inhaltlichen Vorwissen der Teilnehmenden zum Thema wird mittels zweier Vorträge über Polen, die Zeit zwischen 1933 und 1945 und die Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau begegnet.
Der zweite Tagespunkt führt die Gruppe schließlich in das Herz der deutschen Demokratie: das Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestages. Nach einführenden Worten von Dr. Jacek Barski, Leiter von Porta Polonica, zum Künstler Gerhard Richter im Allgemeinen und dessen Werk „Birkenau“ im Besonderen haben die Teilnehmenden Zeit und Raum für die eigene Rezeption und weitere Rückfragen. Natürlich begutachten sie genau die dort hängenden digitalen Versionen: Die vier großformatigen Bilder hängen übereinander und vergleichsweise hoch im Besucherfoyer – einige Menschengruppen ziehen daran vorbei, um in den Plenarsaal zu gelangen. Die wenigsten Besucherinnen und Besucher scheinen sich die Bilder anzusehen. Diskussionen – auch über die Art der Präsentation – entbrennen und werden noch bis zum Tagesabschluss beim gemeinsamen Abendessen geführt oder sogar für den Rest der Woche ein Dauerthema bleiben. Gerade der Umstand, dass die Bilder im Bundestag und damit im Zentrum der deutschen Demokratie hängen, zeugen von ihrer politischen Relevanz. Wer entscheidet aber, woran und auf welche Art an den Holocaust gedacht wird?
Ebenfalls kritisch betrachten die Teilnehmenden, dass die fotografischen Vorlagen für Gerhard Richters Werk in einem anderen Korridor des Besucherfoyers hängen. Dabei ist die Tragweite des Bilderzyklus nur erkennbar, wenn die Fotografien direkt neben den Gemälden ausgestellt werden. Für die Teilnehmenden ist die gegenwärtige Präsentation deswegen zumindest fragwürdig: Gehen die Bilder und damit der transportierte Inhalt auf diese Weise verloren?
[3] Die im folgenden verwendeten Ortsnamen zeigen die politische Zugehörigkeit des Ortes an. Taucht der Name Oświęcim auf, ist die unter polnischer Regierung stehende Stadt gemeint.