Auf den Spuren der Kunst nach dem Schrecken von Auschwitz. Nachbericht einer Studienfahrt.
Insgesamt drei Tage verbringen die Teilnehmenden in Oświęcim und in Auschwitz-Birkenau. Die vielen Eindrücke entladen sich in den allabendlichen Gesprächen, die sich natürlich um Kunst drehen, aber auch um Gedenkstätten wie die Gedenkstätte KZ Auschwitz-Birkenau. Doch allgemein geht es – ähnlich wie in Berlin schon – darum, wie wir mit den Erinnerungen an die Shoah umgehen. Schlagworte wie „Histotainment“[11] fallen: Die Gedenkstätte in Auschwitz ist sehr gut besucht. In Anbetracht der Menge an Interessierten stellt sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Frage, aus welchen Gründen die Menschen das Museum besuchen. Spielt historisches Bewusstsein eine Rolle oder ist das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau nur ein weiteres „Must-See“ auf der Liste der Touristen-Aktivitäten für Südpolen? Wer hat überhaupt Zugang zu historischem Wissen und authentischen Orten? Sind Menschen, die mit ihrer Familie samt (Klein)Kindern kommen und die die Tragweite des Ortes noch nicht erfassen können, zu verurteilen? Weitere Gespräche drehen sich um die Art der Ausstellung, den Aufbau und die Trägerschaft der Gedenkstätte und darum, wie die Geschichte am authentischen Ort, welcher Sinnbild und Symbol für die Schrecken der Nationalsozialisten ist, transportiert wird. Entgegen der Vermutung vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat für viele die Kunstausstellung in Harmęże den Schrecken in Auschwitz plastisch näherbringen können als die Authentizität des Ortes. Es sei natürlich keine Entweder-Oder-Frage zwischen authentischem Ort und der Kunstausstellung, sondern zeige eher die Möglichkeit der Kunst, emotional zu berühren.
Noch größer als die Frage, welche Rolle der authentische Ort Auschwitz spielt, ist die Ausgangsfrage, die bereits in Berlin gestellt wurde: Darf Kunst das? Was unterscheidet die Werke von Kołodziej und Richter? Während der eine selbst Auschwitz erleben musste, schaut der andere aus einer retrospektiven Betroffenheit auf die Shoah. Der eine möchte Identität wiedergeben und Zeugnis ablegen, der andere Trost spenden. Während die Bilder von Kołodziej plastisch erfahrbar sind, ist für den Bilderzyklus von Richter der Kontext entscheidend. Erst mit den Fotografien von 1944 könne die immanente Botschaft verstanden werden, so der Konsens der Teilnehmenden. Erneut stellt sich also die Frage, wie im öffentlichen Raum an die Shoah erinnert wird und welche Rolle der Ort dafür hat. Könnten die Bilder von Kołodziej auch außerhalb des Zentrums funktionieren? Zum Beispiel im Bundestag, anstelle des Birkenau-Zyklus? Es entbrennt eine hitzige Diskussion über die Qualität von künstlerischen Arbeiten, von der Angemessenheit von Kunstwerken zum Thema der Shoah und wer überhaupt entscheidet, was qualitative Kunst ist. Schlussendlich einigen sich die Gemüter auf Folgendes: Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob Kunst Auschwitz thematisieren kann.
[11] Damit ist die zunehmende Eventisierung von Medien historischem Inhalts gemeint.