Remigration oder Rückkehr? Als Ruhrpole zurück in die alte Heimat
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs bestand noch regelmäßiger Kontakt zu den polnischen Verwandten Tomczak in Posen, Besuche der Familie fanden bis 1943 statt. Aber mit dem Ende des Krieges und der nachfolgend von den Sowjets kontrollierten kommunistischen Regierung in der Volksrepublik Polen, erlosch der persönliche Kontakt der beiden Familien in Polen und Deutschland vorerst.
Und auch die polnische Sprache der in Deutschland lebenden Familie war 1945 verloren gegangen: Seit der dritten Teilung Polens im Jahr 1795 und dem Prozess der „Verpreußung“ und „Germanisierung“ des Landes waren die Ruhrpolen bis ins 20. Jahrhundert dem Germanisierungsdruck auch in ihrer neuen Heimat ausgesetzt. Obwohl die aus den neuen preußischen Ostprovinzen stammenden „preußischen Polen“ im Ruhrgebiet die deutsche bzw. die preußische Staatsbürgerschaft besaßen und gut im Berufsleben integrierten waren, waren sie doch ethnischer und sozialer Diskriminierung ausgesetzt. Um ihre Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten beizubehalten, blieben sie daher meist unter sich, so auch bei der Wahl der Ehepartner. Lange Zeit hielt die polnische Sprache, Kultur und Tradition dem Druck der Germanisierung stand. In der Zeit des Nationalsozialismus sah es jedoch anders aus: „Mit dem Machtantritt Hitlers verschärft sich die Situation der polnischen Minderheit dramatisch. Die Vereine und Organisationen werden „gleichgeschaltet“ und müssen sich gegen Einmischungen zur Wehr setzen. Zunehmende Hetze gegen Polen sowie Misshandlungen und Übergriffe von faschistischen Schlägertrupps zerschlagen die Selbstorganisationen weitgehend. […]. In Oberhausen werden 1939 […] „führende Köpfe“ der polnischen Minderheit verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt“[1] Aus Angst vor Übergriffen wurde der Gebrauch der polnischen Sprache unter den Ruhrpolen weiterstgehend vermieden, die Kriegs- sowie Nachkriegsgeneration lernte die Sprache kaum noch. So auch in der Familie Tomczak/Mlinski.
Meine Mutter Marlies und ihre Schwester Jutta wuchsen in einem Zechenhaus in Oberhausen-Osterfeld auf. Zu siebt in einer kleinen Wohnung: Mit meinem Urgroßvater Józef Tomczak und Urgroßmutter Anna, meinem Großonkel Jan Józef sowie meinen Großeltern Henriette und Heinz Johannes Mlinski. Privatsphäre gab es faktisch nicht. Die Sommermonate verbrachte die Familie gerne in dem zu der Wohnung gehörigen Garten. Dort wurden Hühner gehalten, Gemüse angepflanzt und es gab Apfel- und Pflaumenbäume.
Ende der 1960er Jahre lernte meine Mutter meinen Vater kennen. 1971 folgte die Hochzeit und der Umzug aus der Zechensiedlung. 1972 kam ich als einziges Kind meiner Eltern zur Welt. Mit der Heirat meiner Mutter und meines Vaters, Detlef Barteit, wurde zum ersten Mal in unserer polnischen Familiengeschichte eine „Tradition“ gebrochen. Die Familie Barteit war nicht polnisch, sondern stammte ursprünglich aus Litauen und ist über das ehemalige Ostpreußen 1918 ins Ruhrgebiet eingewandert.
Im Jahre 1953 verstarb meine Urgroßmutter Anna Maria, 1976 verstarb mein Urgroßvater Józef. Ende 1979 zog meine Großmutter Henriette mit ihrem Bruder Jan Józef in eine moderne Stadtwohnung. Die Zeit der Zechensiedlung war vorbei, das Heizen mit Kohle gehörte ab jetzt der Vergangenheit an. Hier gab es eine Gasheizung und ein integriertes Badezimmer mit Dusche und Warmwasserversorgung.
[1] Netzwerk Interkulturelles Lernen, Geschichtswerkstatt Oberhausen e.V., „Polen im Pütt“. In: Geschichte(n) von Migration in Oberhausen – Hintergründe, Erinnerungen, Dokumente, Jg. November/2007, S.12.