Remigration oder Rückkehr? Als Ruhrpole zurück in die alte Heimat

Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky in der Ziegelstraße, Osterfeld 1929
Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky in der Ziegelstraße, Osterfeld 1929

Mein Name ist Patrick Barteit, geboren 1972 in Oberhausen. Ich bin ein Ruhrpole. Polnisch spreche ich nicht. Noch nicht. Die Geschichte der Auswanderung meiner Familie ins Ruhrgebiet beginnt 1918 in dem kleinen Dorf Orkowo, Kreis Śrem, Provinz Posen und führt 2018, nach einem 100-jährigen Aufenthalt in Oberhausen, über Warschau nach Olsztyn und somit nach Polen zurück. Dies ist die Geschichte der Familie Tomczak. Dies ist meine Geschichte.

 

Der Aufbruch
 

Im Jahre 1900 erblickte mein Urgroßvater Józef Tomczak als ältester Sohn von Józef und Stanisława Tomczak in dem kleinen Dorf Orkowo an der Warthe das Licht der Welt. Er war Pole, so wie seine Eltern, Urgroßeltern und Ur-Urgroßeltern Generationen zuvor. Das stand für alle in der Familie immer außer Frage. Daheim sprach die Familie Polnisch, so wie jeder in dem kleinen Dorf. Durch die Teilung Polens existierte seit 1795 allerdings kein eigenständiger polnischer Staat. Die Provinz Posen war von Preußen okkupiert, die deutsche Sprache war in der Schule und bei Behördengängen Pflicht. Von Amtswegen wurde die polnische Bevölkerung als „Preußische Staatsbürger polnischer Nationalität“ betitelt und stellte als nationale Minderheit in Preußen den weitaus größten Bevölkerungsanteil. Die Zeiten waren hart, das Geld knapp und die Armut groß. Dagegen entwickelte sich in Deutschland im Zuge der Industrialisierung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ein großer Bedarf an Arbeitskräften. Allen voran lockte das Ruhrgebiet Arbeitskräfte aus In- und Ausland. Kohle und Stahl versprachen eine bessere Zukunft. Mit fast 18 Jahren entschloss sich auch Józef Tomczak sein Elternhaus und heimatliches Dorf zu verlassen und machte sich auf den Weg ins Ruhrgebiet – wie schon Hunderttausende seiner polnischen Landsleute vor ihm.

 

Die Ankunft
 

Im Januar 1918 im Ruhrgebiet angekommen, fand Józef eine Anstellung als Bergmann auf der Zeche Osterfeld, die zum Verbund der Guten-Hoffnungs-Hütte (GHH) gehörte. Zu dieser Zeit war Osterfeld eine eigenständige Gemeinde in Westfalen, bis sie am 1. August 1929 im Rahmen der großen Gebietsreform des rheinisch-westfälischen Industriegebiets mit Sterkrade und (Alt-)Oberhausen zum neuen Stadtkreis Oberhausen im Rheinland vereinigt wurde.
Durch die Vielzahl der Polen im Ruhrgebiet gab es eine ausgeprägte und gut vernetzte polnische Community mit einer sehr gut organisierten Infrastruktur. So könnte auch Józef Tomczak innerhalb der polnischen Gemeinschaft Unterstützung und hilfreiche Kontakte finden und war nach seiner Ankunft nicht auf sich alleine gestellt: Anfänglich wohnten die jungen Zechenarbeiter aus der Fremde in Ledigenwohnheimen, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurden, oder zur Untermiete als sog. Kostgänger, indem sie bei Privatleuten für wenig Geld ein Zimmer mieteten und von diesen verpflegt wurden.
Wie fast alle Arbeiter aus dem Osten wollte auch Józef möglichst schnell viel Geld verdienen, um einen Teil des Lohnes in die alte Heimat zu schicken und seine Familie finanziell zu unterstützen. Was übrig blieb wurde gespart. Der Kontakt zum Elternhaus und den Geschwistern war trotz der großen Entfernung stets gegeben. Speziell zu seiner Schwester Zofia Stanisława und zum Bruder Stanisław bestand regelmäßiger Briefverkehr. Stanisław besuchte seinen älteren Bruder sogar in Osterfeld.

Mediathek
  • Geburtsurkunde von Józef Tomczak

    Geburtsurkunde von Józef Tomczak
  • Im Haus der Familie Tomczak/Galewsky, 1920er Jahre

    Die Familien Galewsky, Kobuczyński, Jankowiak, Vinc und Tomczak im Haus der Familie Tomczak/Galewsky in der Ziegelstr. 63b, Osterfeld 1920er Jahre
  • Maria Galewska, 1920er Jahre

    Maria Galewska, 1920er Jahre
  • Stanisław Tomczak (Bruder von Józef Tomczak), 1925

    Stanisław Tomczak (Bruder von Józef Tomczak), 1925
  • Jan Józef Tomczak (Sohn von Józef Tomczak), 1926

    Jan Józef Tomczak (Sohn von Józef Tomczak), 1926
  • Vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky, Osterfeld 1929

    Hochzeit von Helena Galewski: Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky, Ziegelstr. 63b, Osterfeld 1929
  • Hochzeitsgesellschaft im Hof der Familie Tomczak/Galewsky, Osterfeld 1929

    Hochzeit von Helena Galewsky: Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky, Ziegelstr. 63b, Osterfeld 1929
  • Familienfoto, Osterfeld 1930

    Die Familien Galewsky, Vince, Tomczak, Jankowiak, Kobuczyński und Biały im Haus der Familie Tomczak/Galewsky in der Ziegelstr. 63b, Osterfeld 1930
  • Henriette Tomczak (Tochter von Józef Tomczak), 1930er Jahre

    Henriette Tomczak (Tochter von Józef Tomczak), Osterfeld 1930er Jahre
  • Henriette Tomczak, 1930er Jahre

    Henriette Tomczak, 1930er Jahre
  • Henriette Tomczak auf dem Motorrad von Antoni Jankowiak

    Henriette Tomczak auf dem Motorrad von Antoni Jankowiak in der Mellinghofer Str. Oberhausen, 1940er Jahre
  • Józef Tomczak in seinem Wohnzimmer, 1940er Jahre

    Józef Tomczak in seinem Wohnzimmer, 1940er Jahre
  • Hochzeit von Henriette Tomczak und Heinz Mlinski, 1945

    Hochzeitsfoto von Henriette Tomczak und Heinz Mlinski im Haus der Familie Mlinski in der Kapitän-Lehmann-Str. 13, Bottrop 31.12.1945.
  • Józef Tomczak mit Urenkel Patrick Barteit, Osterfeld 1975

    Józef Tomczak mit Urenkel Patrick Barteit in seinem Garten in der Osterfelder Str. 147, Osterfeld 1975
  • Hinterhof Siedlung Stemmersberg in der Ziegelstraße, Osterfeld 2018

    Hinterhof Siedlung Stemmersberg in der Ziegelstraße, Osterfeld 2018
  • Patrick Barteit vor dem Stammhaus Tomczak/Galewsky, Osterfeld 2018

    Patrick Barteit vor dem Stammhaus der Familie Tomczak/Galewsky in der Ziegelstr. 63b, Osterfeld 2018
  • Patrick Barteit vor dem Stammhaus Tomczak/Galewsky, Osterfeld 2018

    Patrick Barteit vor dem Stammhaus der Familie Tomczak/Galewsky in der Ziegelstr. 63b, Osterfeld 2018
  • Patrick Barteit vor der ehemaligen Zeche Osterfeld, Osterfeld 2018

    Patrick Barteit vor dem Eingangstor der ehemaligen Zeche Osterfeld, Osterfeld 2018
  • Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Osterfeld, Osterfeld 2018

    Patrick Barteit auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Osterfeld, Osterfeld 2018
  • Geburtshaus von Józef Tomczak

    Geburtshaus von Józef Tomczak in Orkowo (2019)
  • Geburtshaus/Hof der Ur-Ur-Großmutter von Patrick Barteit Stanisława Tomczak

    Geburtshaus/Hof der Ur-Ur-Großmutter von Patrick Barteit Stanisława Tomczak (z.d. Bratkowska) in Binkowo (Śrem); v.r. Patrick Barteit und sein Cousin Krzysztof Budzyn, 2018
  • Alte Scheune der Familie Tomczak/Pawlisiak in Orkowo, Bj. 1907.

    V.l. Patrick Barteit mit Tochter Lili-Marleen, Onkel Edward Pawlisiak, Cousin Krzysztof Budzyn mit Dominika. 
  • Patrick Barteit am Ortseingang Orkowo

    Patrick Barteit am Ortseingang Orkowo, 2019