Remigration oder Rückkehr? Als Ruhrpole zurück in die alte Heimat
Mein Name ist Patrick Barteit, geboren 1972 in Oberhausen. Ich bin ein Ruhrpole. Polnisch spreche ich nicht. Noch nicht. Die Geschichte der Auswanderung meiner Familie ins Ruhrgebiet beginnt 1918 in dem kleinen Dorf Orkowo, Kreis Śrem, Provinz Posen und führt 2018, nach einem 100-jährigen Aufenthalt in Oberhausen, über Warschau nach Olsztyn und somit nach Polen zurück. Dies ist die Geschichte der Familie Tomczak. Dies ist meine Geschichte.
Der Aufbruch
Im Jahre 1900 erblickte mein Urgroßvater Józef Tomczak als ältester Sohn von Józef und Stanisława Tomczak in dem kleinen Dorf Orkowo an der Warthe das Licht der Welt. Er war Pole, so wie seine Eltern, Urgroßeltern und Ur-Urgroßeltern Generationen zuvor. Das stand für alle in der Familie immer außer Frage. Daheim sprach die Familie Polnisch, so wie jeder in dem kleinen Dorf. Durch die Teilung Polens existierte seit 1795 allerdings kein eigenständiger polnischer Staat. Die Provinz Posen war von Preußen okkupiert, die deutsche Sprache war in der Schule und bei Behördengängen Pflicht. Von Amtswegen wurde die polnische Bevölkerung als „Preußische Staatsbürger polnischer Nationalität“ betitelt und stellte als nationale Minderheit in Preußen den weitaus größten Bevölkerungsanteil. Die Zeiten waren hart, das Geld knapp und die Armut groß. Dagegen entwickelte sich in Deutschland im Zuge der Industrialisierung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ein großer Bedarf an Arbeitskräften. Allen voran lockte das Ruhrgebiet Arbeitskräfte aus In- und Ausland. Kohle und Stahl versprachen eine bessere Zukunft. Mit fast 18 Jahren entschloss sich auch Józef Tomczak sein Elternhaus und heimatliches Dorf zu verlassen und machte sich auf den Weg ins Ruhrgebiet – wie schon Hunderttausende seiner polnischen Landsleute vor ihm.
Die Ankunft
Im Januar 1918 im Ruhrgebiet angekommen, fand Józef eine Anstellung als Bergmann auf der Zeche Osterfeld, die zum Verbund der Guten-Hoffnungs-Hütte (GHH) gehörte. Zu dieser Zeit war Osterfeld eine eigenständige Gemeinde in Westfalen, bis sie am 1. August 1929 im Rahmen der großen Gebietsreform des rheinisch-westfälischen Industriegebiets mit Sterkrade und (Alt-)Oberhausen zum neuen Stadtkreis Oberhausen im Rheinland vereinigt wurde.
Durch die Vielzahl der Polen im Ruhrgebiet gab es eine ausgeprägte und gut vernetzte polnische Community mit einer sehr gut organisierten Infrastruktur. So könnte auch Józef Tomczak innerhalb der polnischen Gemeinschaft Unterstützung und hilfreiche Kontakte finden und war nach seiner Ankunft nicht auf sich alleine gestellt: Anfänglich wohnten die jungen Zechenarbeiter aus der Fremde in Ledigenwohnheimen, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurden, oder zur Untermiete als sog. Kostgänger, indem sie bei Privatleuten für wenig Geld ein Zimmer mieteten und von diesen verpflegt wurden.
Wie fast alle Arbeiter aus dem Osten wollte auch Józef möglichst schnell viel Geld verdienen, um einen Teil des Lohnes in die alte Heimat zu schicken und seine Familie finanziell zu unterstützen. Was übrig blieb wurde gespart. Der Kontakt zum Elternhaus und den Geschwistern war trotz der großen Entfernung stets gegeben. Speziell zu seiner Schwester Zofia Stanisława und zum Bruder Stanisław bestand regelmäßiger Briefverkehr. Stanisław besuchte seinen älteren Bruder sogar in Osterfeld.