Remigration oder Rückkehr? Als Ruhrpole zurück in die alte Heimat
Nach drei Jahren Arbeit auf der Zeche lernte Józef im Jahre 1921 meine Urgroßmutter Anna Maria Galewska kennen. Annas Familie stammte ebenfalls aus der Provinz Posen – aus dem Ort Koryta im Kreis Krotoszyn. Ihre Eltern wanderten bereits im Jahre 1895 ins Ruhrgebiet ein. Anna Marias Vater Tomasz, mein Ur-Urgroßvater, war auch Bergmann auf der Zeche Osterfeld. Tomasz Galewsky und seine Frau Maria, waren der deutschen Sprache nicht mächtig, erst durch ihre fünf Töchter, die hier zur Schule gingen, lernten sie einige deutsche Wörter. Seit 1903 bewohnte die Familie Galewsky ein Zechenhaus der Werkssiedlung Stemmersberg in der Gemeinde Osterfeld.
Die Hochzeit von Anna und Józef folgte schnell. Eine Heirat mit einem Deutschen wäre für sie, wie für viele andere polnische Einwanderer, aus vielen Gründen unvorstellbar gewesen: Von den Deutschen als „Pollaken“ beschimpft, galten die Polen in Deutschland als Menschen zweiter Klasse. Diskriminierungen der „nicht-deutschen“ Ruhrpolen waren an der Tagesordnung. Die meisten Polen flüchteten daher nach der Arbeit in die polnische Parallelgesellschaft und blieben unter sich. Das „fremd sein“ in Deutschland, die gemeinsame Sprache und Kultur, der familiäre Druck sowie die wohnräumliche Nähe in den Werkssiedlungen verhinderten für lange Zeit eine interkulturelle Ehe. So hatten auch Anna Marias vier Schwestern polnische Ehemänner – sogar aus der Provinz Posen. Die älteste Schwester Pelagia war bereits 1919 mit ihrem Ehemann zurück nach Polen gekehrt.
1922 wurde Annas und Józefs erstes Kind geboren – meine Großmutter Henriette. Zunächst wohnte die junge Familie auf engstem Raum im Hause der Schwiegereltern Galewsky, bis sie 1924 eine eigene Wohnung am Rande von Osterfeld bezogen. Henriette wuchs gemeinsam mit ihren zwei jüngeren Brüdern Jan Józef und Edmund auf. Wie viele andere polnische Kinder im Ruhrgebiet verbrachten sie die Sommerferien in den 1930er Jahren regelmäßig bei ihren Verwandten in Posen. Vom Oberhausener Hauptbahnhof fuhr ein Sammelzug für die Kinder der Ruhrpolen, mit dem auch Henriette jeden Sommer zu ihren Großeltern Tomczak nach Posen reiste. Der Familienzusammenhalt war sehr groß, auch in Osterfeld. An jedem Wochenende kam die ganze Familie zusammen: Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Es wurde gemeinsam gegessen und getrunken und vor allem getanzt. Geselligkeit war ein zentraler Punkt der Familie.
Nach Beendigung der Volksschule absolvierte meine Großmutter Henriette eine Lehre als Verkäuferin.
Anfang der 1940er Jahre lernte Henriette ihren späteren Ehemann, meinen Großvater, auf einer Tanzveranstaltung kennen. Er war Musiker in einem Orchester. Neben Schlagzeug und Trompete spielte er Geige. Heinz Johannes Mlinski war sein Name. Auch er war Ruhrpole, geboren 1921 in Bottrop. Seine Familie stammte ursprünglich aus Smolno im Kreis Puck, Pommern. Sein Vater, Daniel Paweł Mlinski, war ebenfalls Bergmann und arbeitete auf der Zeche Prosper in Bottrop. 1945 heirateten meiner Großeltern Henriette und Heinz Johannes. Sie bekamen zwei Töchter: Die älteste Tochter Jutta wurde 1946 geboren, 1950 kam meine Mutter Marlies zur Welt.