Jazz ist Freiheit – Vladyslav „Adzik“ Sendecki
Musikproduzent und -manager
Nach einigen Jahren in der Schweiz beginnt Sendecki als Pop- und Filmmusik-Produzent zu arbeiten. Er hatte immer jede Menge Ideen, also fällt es ihm leicht, sie zu „verkaufen“. Mit der Zeit baut er in seiner Wohnung ein ganzes Tonstudio auf. Eines Tages erhält er von der deutsch-schweizerischen Firma MAS (Music Alliance Services) den Auftrag, in Berlin von Grund auf eine neue Niederlassung aufzubauen und ein Tonstudio einzurichten. Mit Begeisterung nimmt er diese Aufgabe an. Er zieht im November 1989, in der Zeit des politischen Umbruchs in Europa, gleich nach dem Mauerfall, nach Berlin um. Im Pass hat er eines der letzten Visa für die DDR eingestempelt, da seine Firma in Babelsberg Tonaufnahmen produzierte. Die MAS organisierte damals ein Konzert im Palast der Republik mit dem neu gegründeten „Berlin International Orchestra“. Mehrere Jahre managt Sendecki große Projekte, arbeitet an Imageaufbau, komponiert Musik. So lernt er das Musikgeschäft von innen kennen. Dann soll er nach London umziehen, geht aber schlussendlich nach Hamburg, wo das Tonträgerunternehmen „Universal“, für welches er arbeitet, eine Niederlassung hat.
Die NDR Bigband
1996 wird Sendecki unerwartet – und wohl im für ihn richtigen Moment, eingeladen – Teil der NDR Bigband zu werden. Damals hatte er fast schon aufgehört zu spielen, erinnert er sich. Er arbeitete am Schreibtisch, schrieb Lieder und „produzierte“ Popmusiker:innen. In der NDR Bigband blüht Sendecki wieder auf. Er spielt 25 intensive Jahre in dem renommierten Ensemble, ist eine Stütze des Orchesters, beliebt und von allen geschätzt. Die Arbeit als angestellter Musiker hindert Sendecki jedoch nicht an der Entwicklung seiner eigenen Projekte. Der NDR selbst legt viel Wert darauf, dass die Musiker:innen sich weiterentwickeln und kreativ betätigen. An manche Projekte erinnert sich Sendecki besonders gerne. Mit Christof Lauer entstand eine schöne Platte, auch mit Vitold Rek und Charlie Mariano nimmt er eine CD auf. Auch erinnert er sich gerne an seine Zusammenarbeit mit Daniel Schnyder, einem Schweizer Komponisten aus den USA. Gemeinsam mit Andrzej Olejniczak, der in Spanien lebt, erschufen sie das „European Blue Note Quartet“. Sie traten in Spanien, Polen und Deutschland auf – über zehn Konzerte. Während seiner langen Karriere arbeitete Vladyslav Sendecki mit Musikgrößen wie Klaus Doldingers Passport, Billy Cobham, Michael und Randy Brecker, Maria Schneider, Ray Anderson, Peter Herbolzheimer, Larry Coryell, Janusz Muniak, Didier Lockwood, Tomasz Stańko, Victor Bailey, Buster Williams, Lenny White, Joe Henderson, Lew Soloff, Biréli Lagrène und Jaco Pastorius, Mel Lewis, Charlie Mariano, Arild Anderson, Markus Stockhausen, Al Jarreau, Bobby McFerrin, Till Brönner, Simon Phillips, Marcus Miller, Trilok Gurtu, Nils Petter Molvær, Nils Landgren, Quincy Jones und vielen, vielen anderen zusammen.
Komponist und Solopianist
Als Komponist bemüht sich Sendecki darum, Musik zu schreiben, die einen Bezug zu seinem Leben hat. Seine 1994 komponierte Rockoper, die er „Haunted“ („Besessener“) nannte, hat viel mit seiner Biografie gemeinsam. Darin knüpft er auch u. a. an das Werk von Richard Wagner an. Das Libretto stammt von Jorgen Larsen alias James Vincent Lundstrom, dem damaligen Leiter von „Universal“, mit dem Adzik befreundet war. Sie arbeiteten zwei Jahre an dem Projekt, die Platte erscheint im Jahr 1996.
Sendecki schreibt auch gerne Filmmusik. Ein breites Echo fand sein Werk zum 30-minütigen ARD-Film aus dem Jahr 2015 über den Alltag in der Gedenkstätte Auschwitz „7 Tage... Auschwitz – ein musikalisches Experiment“. Die von ihm arrangierte Musik ersetzt den Kommentartext des Films und erzählt von der Gefühlswelt der Protagonist:innen.
Aus dem umfangreichen, über 200 Platten umfassenden Werk von Vladyslav Sendecki verdienen die Soloalben „Listen to my Story“ (1986) für UBM Records, „Men from Wilnau“ (1988) für Island Records, „Piano“ (2007) für Provocateur Records und „Solo Piano at Schloss Elmau“ (2010) für ACT besondere Beachtung. Er verarbeitet darin sowohl eigene Kompositionen als auch Werke anderer Künstler:innen. Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb Sendecki 2010 als einen „der kraft- und phantasievollsten Solo-Pianisten unserer Zeit“. In einer Kritik des Albums „Solo Piano at Schloss Elmau“ schrieb die „Süddeutsche Zeitung“: „Da ist der lange vermisste Nachfahre von Schumann, Debussy oder Grieg, der heutige Meister der kleinen Form, der auch die Musikgeschichte der ‚zweiten Klassik‘ (des Jazz) subsumiert hat. Und auch bei opulenteren Stücken wie dem zwanzigminütigen Einstieg erweist sich Sendecki als Meister des Sentiments, der mit virtuosen Melodie-, Klangfarben- und Rhythmuswechseln Emotionen erregt. Wie auch in seiner Adaption eines traditionellen polnischen Wiegenlieds, das schon Chopin als Vorlage diente – dem anderen polnischen Emigranten und Pianisten, mit dem man Sendecki jetzt durchaus vergleichen darf.“[1]
[1] Oliver Hochkeppel: Meister des Sentiments. Jazzpianist Vladislav Sendecki in der Unterfahrt, in: „Süddeutsche Zeitung“ vom 5.6.2010, S. 53.