Jazz ist Freiheit – Vladyslav „Adzik“ Sendecki

Vladyslav „Adzik” Sendecki
Vladyslav „Adzik” Sendecki

Erste Jazzformationen
 

Als Adzik 17 Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Die finanzielle Lage der Familie verschlechtert sich. Adzik nimmt nach der Schule verschiedene Aufträge an. Während er noch das Musik-Lyzeum besucht, übernimmt er die musikalische Leitung des „Studentischen Liederfestivals“ (Festiwal Piosenki Studenckiej) in Krakau. Er begleitet verschiedene Bands. Damals gründet er seine eigene Band „Rynek Główny 7“– sie spielen u. a. die Musik von Frank Zappa. Davor, in der Band „Artur“, spielte Adzik Schlagzeug. In der Band „Rynek Główny 7“ ist Klavier eindeutig seine erste Wahl.

Nach dem Abschluss des Lyzeums mit Auszeichnung nimmt er ein Studium an der Musikakademie Krakau (Akademia Muzyczna w Krakowie) auf, deren Rektor Krzysztof Penderecki ist. Er studiert in der Klavier-Klasse bei dem renommierten Professor Ludwik Stefański. Allerdings bleibt er nur relativ kurz sein Schüler. Das intensive Studium lässt keine Zeit für die vielen anderen Interessen von Adzik. Das Krakau von damals strotzt für Vladyslav Sendecki nur so vor Kreativität. Natürlich war die Stadt damals grau, aber sie war nie monoton und eindimensional. Sie wurde geliebt und war unheimlich stark – erinnert er sich noch heute. In dieser Zeit liegen seine Wurzeln. Er lernt das Künstlermilieu in Krakau kennen – die Maler Andrzej Mleczko und Rafał Jabłonka, Zbyszek [Zbigniew] Rabsztyn – den künftigen Galeristen und Jazzmusiker Zbigniew Seifert. Und er brennt darauf, bei all dem dabei zu sein. Er hat in dieser Zeit eine ungeheure Energie in sich, ein Privileg der Jugend.

 

„Extra Ball“
 

Als er dann im Jahr 1974 mit Jarek [Jarosław] Śmietana und Benedykt Radecki im „Klub pod Jaszczurami“ zusammensitzt, beschließen sie, die Band „Extra Ball“ zu gründen. Jarek war älter und hatte bereits Erfahrung mit der Jazz Föderation. Bald werden sie mit „Extra Ball“ im Ausland Konzerte geben, bis zu einem halben Jahr auf Tournee sein. Jedes Jahr fahren sie nach Holland, wo sie einen Agenten haben. Adzik entwickelt eine enge Freundschaft zu Jarek Śmietana, die beiden sind wie Brüder. Bei seinem älteren Freund verbringt er praktisch seine gesamte Freizeit. Dieser besitzt eine riesige Schallplattensammlung. Stundenlang hören sie Musik und diskutieren darüber. „Extra Ball“ wird sehr schnell populär. Beim Wettbewerb „Jazz an der Oder“ (Jazz nad Odrą) im Jahr 1975 werden sie gleich mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Viele Erinnerungen hinterlässt auch die zweieinhalb Monate dauernde Tournee in der UdSSR im Jahr 1975. Sie spielten in Tadschikistan, Kirgisien, im Kaukasus, in Moskau, in Kasan, an der Grenze zu Afghanistan, in Duschanbe, in Baku... Und hatten unglaublichen Erfolg. Rappelvolle Konzertsäle, zwei Konzerte am Tag. Manche Konzerte besuchten bis zu 12.000 Zuhörer:innen. An Samstagen und Sonntagen spielten sie vier Konzerte am Tag. Im Zuschauerraum waren viele Militärs. Es war Sendeckis erste und letzte Reise nach Russland bzw. in die Sowjetunion. Vermutlich wurde er dort auf die schwarze Liste gesetzt, meint er heute. Er war genervt von der ständigen Überwachung, auf jeder Etage war eine „Deschurnaja“ abgestellt. Auf der gesamten Etage gab es nur einen Badewannenstopfen, den man bei ihr bestellen musste. Und dann das Abhören von Telefonaten! Er wurde einmal so wütend, dass er im Hotel die Telefonkabel aus der Wand herausriss. 

Im Jahr 1978 geht „Extra Ball“ mit Bigband auf Tournee in die USA – San Francisco, Nevada, Kalifornien. Sie treten bei einem Jazzfestival auf. Dabei erleben sie unvergessliche Abenteuer. Während der Tournee spielt Sendecki Orgel in einer Kirche in Ponderosa – einem der Schauplätze von „Bonanza“ – und begeistert die dortige Pfarrerin derart, dass sie ihm ein Stellenangebot unterbreitet. Doch trotz der Aussicht auf einen großzügigen Lohn bleibt Vladyslav Sendecki standhaft, zum großen Erstaunen einiger wichtiger Begleiter:innen. Adzik war sich in diesem Moment bewusst, dass er erst kurz davor im Jahr 1976 beim renommierten Festival „Jazz an der Oder“ in Wrocław mit dem Hauptpreis als Solist ausgezeichnet wurde. Er konnte und wollte sich einfach nicht für immer in der amerikanischen Provinz verkriechen und das Klavier gegen die Orgel tauschen. Auch nicht für Tausende von Dollar. 

 

„Sunship“
 

Im Jahr 1977 gründet Vladyslav Sendecki die Band „Sunship“, die von Coltrane inspiriert ist. Zur Band gehört zunächst Andrzej Olejniczak, der sie jedoch kurz darauf verlassen wird, weil er auf einem Schiff anheuert. An seine Stelle tritt Zbigniew Jaremko. Außerdem schließen sich Henryk Miśkiewicz und Vitold Rek der Band an. Sie sind fasziniert vom offenen harmonisch-rhythmischen Ansatz. Fasziniert davon, dass die Form ergebnisoffen immer neu gestaltet werden kann, um aus einem Thema eine ganze Schallplatte zu machen. Nach dem Abgang von Olejniczak werden sie sich in Richtung eines harmonischen Bebops entwickeln. In dieser Zeit spielt Sendecki auch in der Band „Air Condition“ von Zbigniew Namysłowski sowie in der Band „Novi Singers“ und arbeitet mit Janusz Muniak und Tomasz Stańko zusammen. Sein Stil ist unverkennbar und wird von der Kritik geschätzt. Es sind Zeiten, in denen sich die Jazzmusik einer außerordentlich großen Beliebtheit erfreut. Mit „Extra Ball“ haben sie 200.000 Schallplatten verkauft – für die damaligen Verhältnisse ein riesiger Erfolg. 

Im Jahr 1978 zieht Vladyslav Sendecki mit seiner Ehefrau Dorota und den beiden Kindern, dem zweieinhalbjährigem Wiktor und der einjährigen Maja, von Krakau nach Warschau. Es wird eine intensive Zeit, in der Sendecki viel spielt, sich aber auch für die sich bildende Bewegung der „Solidarność“ engagiert. Vladyslav Sendecki lernt, was es bedeutet, sich einem totalitären System zu widersetzen. Zusammen mit Piotr Szczepanik spielt er damals in einem Theaterstück in der „Stara Prochownia“ („Altes Munitionsdepot“) in Warschau, bei dem Texte von Wysocki und anderen Dichtern vorkommen. Es wird nur zwei Mal aufgeführt, bevor es von der Zensur verboten wird. Generell wird Sendecki nach der Rückkehr aus den USA bekannter und rebellischer. Als er nach Indien zu einem Festival fahren will, wird ihm der Pass verweigert. Im Jahr 1981 wird er von der Hochschule verwiesen. Dabei hatte er im Jahr 1974 zusammen mit Jarek Śmietana die Musikakademie in Krakau zugunsten der neu begründeten Fakultät für Unterhaltungsmusik an der Musikakademie Katowice aufgegeben. Aufgrund seiner zahlreichen Reisen werden ihm einige Semester nicht angerechnet, außerdem hatte er noch keine militärische Prüfung abgelegt. Aus diesem Grund wird er von Dekan Zbigniew Kalemba zu einem Gespräch vorgeladen und erfährt, dass er die Hochschule verlassen muss.

 

Mediathek
  • My Polish Heart

    Konzert vom 24.11.2018 in der Elbphilharmonie Hamburg, Vladyslav Sendecki mit der NDR Bigband © NDR Bigband
  • New York Streets

    Vom Album "solace", Sendecki & Spiegel, 2022 © Vladyslav Sendecki
  • solace

    Vom Album "solace", Sendecki & Spiegel, 2022 © Musik: Vladyslav Sendecki | Video: Steven Haberland