Jazz ist Freiheit – Vladyslav „Adzik“ Sendecki

Vladyslav „Adzik” Sendecki
Vladyslav „Adzik” Sendecki

Emigration
 

In der Zeit der „Solidarność“ gerät Adzik Sendecki in Schwierigkeiten. Sein Pass wird ihm weggenommen und die „Pagart“ (Staatliche Künstleragentur) erklärt, dass er nicht mehr im Ausland spielen darf. Wegen seiner Verweigerung des Wehrdienstes und seiner antikommunistischen Einstellung droht ihm eine Haftstrafe. Dass er der alleinige Ernährer seiner Familie ist, bleibt außer Acht. Eines Tages erhält er einen Brief mit der Adresse des Gefängnisses, in welchem er zu erscheinen hat. Sendecki ist ein in Polen bekannter Musiker, aber offiziell will ihn niemand in Schutz nehmen. In dieser Zeit wird sich Sendecki darüber klar, wie viele Kolleg:innen aus seinem musikalischem Umfeld dem Amt für Staatssicherheit „UB“ (Urząd Bezpieczeństwa) angehören oder mit diesem zusammenarbeiten. Der Pianist rettet sich mit seiner Familie, indem er auswandert. Seine Frau war zuvor bei einer Freundin in der Schweiz, hatte nach ihrer Rückkehr gleich einen Antrag auf die nächste Reise gestellt, und inzwischen den Pass abgeholt. Zwei Wochen später fährt Dorota erneut mit den Kindern in die Schweiz. Adzik gelingt es wiederum, über die internationale Veranstaltungsagentur des Polnischen Rundfunks (Polskie Radio) einen Pass für Konzerte in der BRD zu bekommen, welche im Mai 1981 stattfinden sollen. Von dort fährt er nach den Auftritten ohne Visum nach Zürich. Seine Frau und seine Kinder schließen sich an und die Familie verbringt den Sommer am Bodensee.

Adzik bekommt sofort große Unterstützung aus der Musikszene. Damals halfen alle tatkräftig den für ihre Freiheit kämpfenden Pol:innen. Die Schweizer Kolleg:innen organisieren bald ein Konzert im „Bazillus“, dem größten Klub in Zürich, wo auch Monty Alexander unter den Gästen ist. Nach dem Konzert sagt er zu Adzik: „You sound great. Fantastic! You have to go to America“. Allerdings ist eine weitere Auswanderung damals für ihn nicht mehr zu meistern. So aber erweist sich Sendecki in der Folge als ein Wegbereiter des Schweizer Jazz. Die Jazzmusik existierte dort noch vielerorts eher als Hobby und es gab noch nicht allzu viele Pianist:innen, erinnert er sich im Gespräch. Es gab aber eine junge, lernbegierige Generation, und es war sehr spannend für ihn, mit den jungen Musiker:innen zusammenzuarbeiten. Es ist nicht leicht, in der Schweiz eine Existenzgrundlage für seine Familie aufzubauen. Aus finanziellen Gründen nimmt Adzik jeden Auftrag an, ist ein gefragter Begleiter. „Ich war günstig und gut“, erklärt er im Gespräch mit der „Porta Polonica“. Es ist auch schwer, eine Wohnung für seine Familie zu finden. Durch einen unerwarteten Anruf der Mutter von Sławek Kulpowicz erfährt er, dass in ihrem Haus eine Wohnung frei wurde. Mit einem Kamin, im Zentrum von Basel, in der Nähe der Musikakademie. Die Wohnung ist teuer, aber es gelingt ihm, sie zu bekommen. Von dort ziehen sie bald in weitere, größere Wohnungen um. Denn bald wird in der Schweiz das dritte Kind der Sendeckis zur Welt kommen – Töchterchen Ola.

 

Gefragter Freelancer
 

In dieser Zeit kommt Billy Cobham in die Schweiz, der jemandem für sein Programm sucht. Sendecki spielt vor und hört von Cobham: „Wir werden jede Menge Arbeit haben!“ Sie arbeiten intensiv drei Jahre lang zusammen. Vladyslav Sendecki spielt damals viel, ist umtriebig. Generell begleitet er verschiedene große Namen. Es gelingt ihm, den Unterhalt für sich selbst und seine Familie zu bestreiten. Als Freelancer erhält er keine Hilfe vom Staat. Nachdem er in der Schweiz einen Ausweis für Staatenlose bekommt, kann er reisen und überall auf der Welt Konzerte geben –in Frankreich, Deutschland, Italien, Schweden, Österreich und in den USA. Er arbeitet mit hervorragenden Musiker:innen zusammen, ist 10 Monate im Jahr auf Tournee, nimmt teil an Festivals und verschiedenen Projekten. All das wirkt sich allerdings negativ auf sein Familienleben aus. Seine Ehe wird dieser Herausforderung nicht standhalten.

Einen Tag in der Woche unterrichtet Sendecki auch in einer Jazzschule. Vor allem arbeitet er aber an einer Erweiterung seines eigenen Jazz-Horizonts. Im Jahr 1982 lernt er Michał Urbaniak und Urszula Dudziak kennen, mit welchen er beim „Montreux Jazz Festival“ auftritt. Die Zusammenarbeit ist intensiv. Zusammen spielen sie in Europa und in den USA. Aus dieser Zeit stammt das großartige Album „Recital“, welches 1983 in Stockholm aufgenommen wurde. Im Jahr 1984 wird er in Großbritannien zusammen mit Michał Urbaniak und Urszula Dudziak das Album „Urbaniax – Burning Circuits“ herausgeben, und 1989 zusammen mit Michał Urbaniak ein weiteres Album mit dem Titel „Songs for Poland“.

 

„Polski Jazz Ensemble“
 

Ein wichtiges Ereignis aus seiner Anfangszeit in der Schweiz ist für Sendecki die Gründung der Formation „Polski Jazz Ensemble“ in Deutschland im Jahr 1983 – kurz nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen. Mit Janusz Maria Stefański, einem der Mitbegründer der Gruppe, der damals in Deutschland in der Nähe von Frankfurt am Main lebte, hatte er noch seit seiner Krakauer Zeit Kontakt. Stefański hatte am Tag der Verhängung des Kriegsrechts, am 13. Dezember 1981, ein Konzert in Frankfurt gegeben und blieb danach dort. Ähnlich wie Sendecki hatte er Kontakt zu Bronek [Bronisław] Suchanek, der sich damals in der Schweiz aufhielt, und zu Leszek Żądło aus München. Als sich die vier in Königstein im Taunus treffen, stimmt sofort die Chemie, sie sind alle auf derselben Wellenlänge. Die politische Lage in Polen ließ sie noch enger zusammenrücken. Sie waren alle vor kurzem ausgewandert. Sie fühlten einen großen Gemeinschaftssinn und Tatendrang, werden überall eingeladen, haben volle Konzertsäle. Einen Teil der Einnahmen aus den Konzerten spenden sie an den Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaftsbund „Solidarność“ (NSZZ Solidarność). Zu ihren Konzerten kommen viele Polen – frische Solidarność-Auswanderer. Es waren bewegende Treffen, erinnert sich Sendecki. In dieser Zeit um 1986 erscheint ein Album mit ihren eigenen Kompositionen (d.h. von Stefański, Sendecki, Suchanek, Żądło) und „Rosemary’s Baby“ von Krzysztof Komeda. 

 

Mediathek
  • My Polish Heart

    Konzert vom 24.11.2018 in der Elbphilharmonie Hamburg, Vladyslav Sendecki mit der NDR Bigband © NDR Bigband
  • New York Streets

    Vom Album "solace", Sendecki & Spiegel, 2022 © Vladyslav Sendecki
  • solace

    Vom Album "solace", Sendecki & Spiegel, 2022 © Musik: Vladyslav Sendecki | Video: Steven Haberland