Jazz ist Freiheit – Vladyslav „Adzik“ Sendecki
Vladyslav (Władysław) „Adzik“ Sendecki kam am 17.01.1955 in Gorlice als zweites von drei Kindern von Stefan und Irena Sendecki zur Welt. Seine Eltern lernten sich in Krakau kennen, wo Stefan Sendecki Rechtswissenschaften und Journalismus studierte. Nach der Heirat lebten die Eltern in Gorlice. Dort leitete der Vater die Personalabteilung in der Fabrik Forest. Das großzügige Haus in der Garncarska-Straße (heute: Stawiska-Straße) war schon seit der Vorkriegszeit im Familienbesitz.
Liberales und musikalisches Zuhause
Der Vater, Stefan Sendecki, spielte nach der Arbeit oft bei damals angesagten Tanzabenden. Alle Familienmitglieder musizierten, angefangen bei den Großeltern über die Eltern bis hin zu Tanten etc. Zu Hause wurde vorwiegend klassische Musik gespielt. Die jüngere Schwester von Adzik, Jadwiga, absolvierte ein Gesangsstudium an der Musikhochschule Katowice (Państwowa Wyższa Szkoła Muzyczna w Katowicach), der heutigen Karol-Szymanowski-Musikakademie Katowice. Sein älterer Bruder Stefan besuchte das Lyzeum der Bildenden Künste in Krakau und gleichzeitig eine Sekundarschule für Musik (Klarinettenklasse). Zu Hause wurde der Kunst viel Wertschätzung und Beachtung entgegengebracht. Wie in den 1950er und 60er Jahren üblich, besaß die Familie Sendecki kaum Schallplatten, dafür aber viele Notenhefte, darunter auch solche ungewöhnlicherer Musikrichtungen. Adziks Vater war aufgeschlossen und interessierte sich für verschiedene Trends in der Musik. An seine Kindheit zurückdenkend, erinnert sich Vladyslav Sendecki auch an die Nähe zur Natur, an die Wälder und an die einzigartigen Stimmungen.
Adzik Sendecki beginnt im Alter von vier Jahren mit dem Klavierspiel, sein Lehrer war anfangs sein Vater. Bald stellt sich heraus, dass das Kind ein absolutes Gehör hat. Bis zu seinem 11. Lebensjahr wird der Junge privat durch Frau Szotelowa, eine Schülerin von Professor Zbigniew Drzewiecki, unterrichtet und erntet Erfolge bei regionalen Musikwettbewerben. Mit 11 Jahren nimmt er an einem privaten Vorspiel bei Prof. Schejbal und Prof. Helena Szkielska, der Direktorin der Musikgrundschule und des Musik-Lyzeums in Krakau, teil. Wenige Tage später ist er bereits Schüler der damaligen Fryderyk-Chopin-Musikschule in der Basztowa-Straße, in der Klavier-Klasse von Helena Szkielska. Später wird er auch das Musik-Lyzeum besuchen. Als Elfjähriger wohnt er das erste Jahr in Krakau bei seinem Onkel, später zieht er zur Schwester seiner Großmutter. In seinen Krakauer Schuljahren wird Vladyslav Sendecki ein sehr intensiver Unterricht zuteil. Sein gesamtes manuelles System wird geändert. Das Ergebnis ist ein individueller, unverkennbarer Klang.
Anfänge des Jazz
Während seiner Ausbildung im Lyzeum geht Adzik Sendecki nach acht Stunden Klavierunterricht abends noch in den „Klub pod Jaszczurami“ („Klub unter den Eidechsen“) auf dem Hauptmarkt, um weiter zu spielen. Bei den damaligen Jam-Sessions macht er seine ersten Schritte als Jazzmusiker. Vladyslav Sendecki kam zufällig mit dem Jazz in Berührung, als er gemeinsam mit seinem Bruder – der heute Komponist und ebenfalls Pianist ist – im Jahr 1967 die Fernsehübertragung des Festivals „Jazz Jamboree“ in Warschau sah, bei der Roland Kirk auf drei (!) Saxofonen gleichzeitig spielte. Sendecki war von der Kreativität und Fantasie, der grenzenlosen Freiheit und dem Brechen mit Konventionen besonders angetan. Zwar gelangte Sendecki zum Jazz über die Klassik, aber schon die Klassik war für ihn quasi improvisierte Musik, betont er im Gespräch mit „Porta Polonica“. Er bemühte sich immer darum, sie emotional zu begreifen, und nicht nur Noten und gängige Interpretationsansätze auswendig zu lernen. Beim Spielen klassischer Werke versetzte er sich oft in einen solchen „jazzartigen“, fast schon hypnotischen Zustand. Der Jazz selbst ist für ihn weitaus mehr als nur eine Stilrichtung, betont er. Er ist Freiheit, aber auch ein Miteinander. Wenn man vorne steht und proaktiv handeln muss, dann ist das eben so. Wenn man aber hinten steht, unterstützt man diejenigen, die vorne stehen. Hinzu kommt noch der Swing – nicht bloß als Stil verstanden – und der Rhythmus. Das alles muss tanzen, seinen eigenen Groove und einen gewissen Ausdruck haben, ergänzt er.
Er erinnert sich an ein Jazzkonzert in der sog. „Florianka“, der Aula der Musikschule, bei welchem u. a. Zbigniew Seifert und Janusz M. Stefański spielten. Es war eines ihrer ersten gemeinsamen Konzerte. Adzik hatte sich eine Karte für das Nachmittagskonzert gekauft, und vor Ort stellte sich heraus, dass er der einzige Zuhörer war! Er war damals 14 oder 15 Jahre alt. Die Musiker spielten so, als wäre der Zuschauerraum voll! Als die Dunkelheit anbrach, wurden Kerzen aufgestellt... Später, nach vielen Jahren, schon in der Emigration, erinnerten sich Adzik und der 10 Jahre ältere Janusz M. Stefański manchmal an dieses erste gemeinsame Treffen.