Im Dienste Polens: Jacek Kowalski (1950–2019)
Auf dem Weg zur Unabhängigkeit
Im Juli 1976 reist er mit einer Gruppe von Studierenden nach Halle, wo er sich mit seiner Verlobten trifft. Dort beschließen beide, in den Westen zu reisen. Vor seiner Ankunft in Frankreich hält er sich jedoch mit einem anderen Kollegen, der sich zur Flucht entschlossen hatte, mehrere Wochen illegal in München auf. In der bayerischen Landeshauptstadt gelingt es ihm nicht nur, unter dem falschen Namen eines holländischen Studenten, den er durch Zufall trifft, eine Arbeit zu finden, sondern auch in dessen Wohnung zu unterzukommen. Möglich ist das nur, weil dieser für einige Zeit in die Niederlande zurückgeht und ihm seine Wohnung und seine Steuerkarte zur Verfügung stellt, ohne die es nicht möglich ist, eine Arbeit anzunehmen. Die fehlende Stabilität und ständige Ungewissheit führen jedoch dazu, dass er einige Wochen später nach Frankreich reist. Dort bleibt er bis Herbst 1976. In dieser Zeit sucht er nach einer Möglichkeit, legal nach Deutschland einzureisen.
„Ich blieb etwa sechs Wochen in Frankreich. Danach wollte ich nach Deutschland zurück. Da ich nur ein Transitvisum und kein Aufenthaltsvisum für Deutschland hatte, verpetzten mich die Franzosen bei den Deutschen (…), da mein Visum für 24 Stunden bereits abgelaufen war (...). Das war in Straßburg. Ich dachte mir damals: Da die Polen jetzt kein Visum für Schweden oder Österreich brauchen, werde ich warten, bis das Konsulat aufmacht, mir ein Foto im Automaten am Bahnhof machen und dann zum Konsulat gehen. (...) Ich log sie an und sagte, dass mein Bruder in Wien auf mich wartet und ich deswegen ein Transitvisum nach Deutschland brauche. Es wurde mir sogar kostenlos und ohne Probleme ausgestellt. Ich stieg in den Zug und fuhr nach München“, erzählt Jacek Kowalski.
Nach Problemen beim Grenzübertritt, gelangt er schließlich Ende 1976 über einen Umweg nach Kehl am Rhein in der BRD. Im November 1976 erhält er im Münchner Polizeipräsidium Ettstraße eine Fahrkarte zum Lager Zirndorf. Dort angekommen, macht er die nächsten prägenden Erfahrungen. Im Lager trifft er u. a. Tadeusz Podgórski (1919–1986) und Włodzimierz Sznarbachowski (1913–2003) von Radio Free Europe.
„(...) Im Lager wurden wir, die Polen, von zwei Herren besucht. Es waren Tadeusz Podgórski und Włodzimierz Sznarbachowski, meine späteren Freunde. Sie fragten, ob sie uns Bücher oder andere Sachen bringen sollten. Einige Zeit später brachten sie diese Bücher. Danach sind sie noch zweimal gekommen“, berichtet Jacek Kowalski.
Schnell wird Jacek politisches Asyl gewährt. Er verlässt das Lager und zieht nach Augsburg, wo er an der dortigen Universität sein Studium der Politikwissenschaften abschließt und bald eine Anstellung findet. 1977–1983 arbeitet er als Deutsch- und Geschichtslehrer im Flüchtlingslager in Augsburg.
Von Anfang an setzt er sich in Westdeutschland für die Unabhängigkeit Polens ein und engagiert sich politisch und sozial. Dadurch gerät er ins Visier des Sicherheitsdienstes der Volksrepublik Polen. Die Informationen über seine Aktivitäten werden von der Abteilung für Spionageabwehr der Kommandantur der Bürgermiliz (Komenda Wojewódzka Milicji Obywatelskiej, KWMO) in Kalisz erfasst. Er wird der Kategorie „Person, die eine geheimdienstliche Bedrohung verursacht“ zugeordnet. Durch seine Kontakte zu Tadeusz Podgórski wird er 1976 in die Polnische Sozialistische Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS) aufgenommen. Bald organisiert er den ersten Parteikreis im Raum Augsburg. Im September 1977 wird er in den Verband Polnischer Flüchtlinge (Zjednoczenie Polskich Uchodźców, ZPU) aufgenommen und noch im selben Jahr zum Sekretär des 4. Bezirks dieses Verbands gewählt. 1978 ist er Delegierter des 4. Bezirks auf dem 9. Rat des ZPU. Zugleich ist er in den Exilstrukturen der PPS in der BRD aktiv. Von 1978 bis 1994 arbeitet er mit Radio Free Europe zusammen. Eines der wichtigsten Ereignisse ist für ihn der Besuch von Kardinal Stefan Wyszyński in Westdeutschland vom 21. bis 25. September 1978, den er als persönlicher Dolmetscher zu Treffen mit Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz nach Frankfurt, Köln, München und Mainz begleitet. Am 23. September 1978 ist er bei Kardinal Wyszyński, als dieser Blumen am Mahnmal für die ermordeten Priester im Konzentrationslager Dachau niederlegt. Bei dieser Zeremonie ist auch der Botschafter der Volksrepublik Polen in Bonn, Andrzej Chyliński (Sohn von Bolesław Bierut), anwesend.