Im Dienste Polens: Jacek Kowalski (1950–2019)
Aufgrund dieser Entscheidung beschließt er, sein Studium abzubrechen. Er beginnt in der Gartenbaugenossenschaft in Ostrów zu arbeiten, wo er wegen der zunehmenden Repressionen entlassen wird. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage ist er aber gezwungen nach Arbeit zu suchen und findet schließlich eine Anstellung im VEB Schichtpressstoffwerk in Bernau bei Berlin. Doch auch dies ist nicht von langer Dauer. Bei einer Betriebskontrolle stellt sich heraus, dass er illegal beschäftigt wird, worauf hin er Landes verwiesen wird. Anfang 1972 sucht er erneut Arbeit in der DDR. Diesmal findet er eine Einstellung im Kesselhaus der VEB Elfe Schokoladenfabrik in Berlin-Weißensee. Mit der Zeit steigt er zum Wasseraustauschwärter und später zum Kesselwärter auf. Im selben Jahr beginnt er, auch auf Drängen seiner Eltern, an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań Germanistik zu studieren. Dank der Unterstützung von Dr. Hubert Orłowski qualifiziert er sich für einen akademischen Austausch und immatrikuliert sich 1974 an der Martin-Luther-Universität Halle (Saale), wo er seine spätere Frau kennenlernt. Während seines Studiums ist er Vertreter der Delegation der polnischen Austauschstudierenden und wird von der Stasi überwacht. Grund für die Überwachung ist seine Rede anlässlich des 30. Jahrestages der Volksrepublik Polen und des 25. Jahrestages der DDR, in der er die Befreiung der Stadt Halle durch die UdSSR in Frage stellt. Nach der Rede wird er von Stasi-Offizieren zum Verhör abgeführt.
„Jedes Delegationsmitglied hielt eine Rede. Auch ich musste einen Beitrag leisten. Nachdem ich an der Wand die Inschrift ‚Wir danken der Sowjetarmee für die Befreiung von Halle‘ gesehen hatte, wusste ich, dass ich einige historische Fakten richtigstellen und sagen muss, wie es tatsächlich war. Ich sagte – so hatte ich es in der Schule aus den Schulbüchern gelernt, dass Halle von der amerikanischen Armee befreit wurde und dann im Tausch gegen den Berliner Sektor, in die sowjetische Zone kam. In diesem Moment wurde mein Mikrofon stummgeschaltet. Am nächsten Tag nahm mich Herr Schmeiel, Betreuer ausländischer Studierender aus dem Ministerium für Staatssicherheit mit. Unten im Wohnheim standen zwei fremde Herren, die uns beide zu einer Wohnung begleiteten. (…) Sie versuchten mir einzureden, dass ich während meines Vortrags betrunken war. (…) Als ich nicht lockerließ, fragte mich einer meiner Begleiter, ob ich das Gras in der DDR mag? Ich antwortete – nein, es gefällt mir nicht, da es hier Chemiewerke wie Buna, Leuna gibt und alles gelb und braun ist ... Nachdem ich zu Ende gesprochen habe, sagte einer von ihnen auf Deutsch, dass ich mich verp... [unanständiges Wort – Anm. d. Verf.] soll. (…) Also ich habe dieses Studium beendet.“
Danach kehrt er an seine Alma Mater zurück. Während seines Studiums beginnt er sich für die deutsche Literatur zu interessieren und lernt bei der Vorbereitung seiner Magisterarbeit den österreichischen Schriftsteller, Peter Turrini, kennen. Da er seine Forschungsarbeit mit seinem Betreuer nicht in Österreich fortsetzen kann, beschließt er ein weiteres Stipendium anzunehmen und nach Halle zu gehen. Die Reise in die DDR ist nicht nur eine gute Gelegenheit, seine Verlobte wiederzusehen, sondern auch, eine mögliche Flucht aus dem kommunistischen Polen vorzubereiten. Die Magisterarbeit und die Tatsache, dass Turrinis Werke zu dieser Zeit in Polen nicht erhältlich sind, ermöglichen den bestehenden Plan schrittweise in die Tat umzusetzen.
„Bis Juli 1976 studierte ich in Poznań. Die Reise in den Westen war nur ein Vorwand, denn ich sollte meine Magisterarbeit über das österreichische Volkstheater schreiben. Das Thema der Arbeit wurde von Dr. Włodzimierz Bialik speziell für mich und meinen Kollegen gewählt, da das Wort ‚Volkstheater‘ die Ausreise vereinfachte. (...) Zuerst erhielt ich ein Visum für die Benelux-Staaten, dann ein Transitvisum für Deutschland. Dass ich ein Aufenthaltsvisum für einen Monat und ein Transitvisum für Deutschland bekam, war bedingt durch die Einladung einer französischen Staatsbürgerin, und meiner jetzigen Frau, nach Frankreich“, erzählt Jacek Kowalski im Gespräch.