Im Dienste Polens: Jacek Kowalski (1950–2019)
Abenteuer mit der Volksrepublik Polen
Jacek Kowalski wird am 5. Mai 1950 in Ostrów Wielkopolski in eine Familie geboren, deren Traditionen von Patriotismus geprägt sind. Sein Großvater, Aleksander Dubiski (1886–1939), ist polnischer Armeeoffizier, Arzt und genießt hohes Ansehen in Ostrów Wielkopolski. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird Aleksander als Leutnant in die preußische Armee eingezogen und einem Lazarett in Ostrów Wielkopolski zugewiesen. Bei Ausbruch des Großpolnischen Aufstandes dient er als Lazarettkommandant. Er gehört zu den Gründer:innen der Republik Ostrów (Republika Ostrowska, 10.–26.11.1918). Später nimmt er am Polnisch-Bolschewistischen Krieg an der litauisch-weißrussischen Front teil. Während dieses Krieges wird er zum Hauptmann befördert. Nach dem Ende des Krieges kehrt er nach Ostrów Wielkopolski zurück, wo er die Leitung des Kreiskrankenhauses übernimmt. Im November 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, wird er zusammen mit 27 anderen Angehörigen der lokalen Elite verhaftet. Seine Familie wird in ein Lager deportiert. Am 14. Dezember 1939 wird er im Winiarski-Wald bei Kalisz hingerichtet. Aleksander Dubiski findet seine letzte Ruhestätte mit anderen Teilnehmer:innen am Großpolnischen Aufstand auf dem Friedhof in Ostrów Wielkopolski.
Die Mutter von Jacek Kowalski, Maria Dubiska-Kowalska (1924–1998), setzt den Unabhängigkeitsgedanken während des Zweiten Weltkriegs fort. Sie wohnt damals in Warschau, wo sie ein Gymnasium besucht. Die Belagerung der Stadt überlebt sie. Im Oktober 1939 kehrt sie mit ihrer Familie in ihre Heimatstadt Ostrów zurück. Nach der Verhaftung ihres Vaters Aleksander werden sie und andere Familienmitglieder in das Lager Neu Skalden (Nowe Skalmierzyce) deportiert. Im Januar 1940 beschließen die deutschen Behörden die Auflösung des Lagers und die Deportation der Häftlinge nach Kielce in das Generalgouvernement. Aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen sind sie und ihre Familie gezwungen, häufig den Wohnort zu wechseln. Zunächst zieht sie zu ihrer Familie, dann nach Starachowice, wo sie längere Zeit lebt. Um der Zwangsarbeit zu entgehen, arbeitet sie zunächst in einem örtlichen Sägewerk und wechselt dann zu den Reichswerken „Hermann Göring“, wo sie in der Hartmetallabteilung beschäftigt wird. Bald stellt sich heraus, dass auf dem Gelände eine Gruppe des Verbands für den bewaffneten Kampf der Heimatarmee (Związek Walki Zbrojnej / Armia Krajowa) tätig ist. Seit 1942 ist Maria unter dem Decknamen „Maryla“ als Verbindungsoffizierin des Kommandanten einer Partisaneneinheit, Lt./Mjr. Jan Piwnik (1912–1944), Deckname „Ponury“, konspirativ tätig. Ihre Aufgabe ist es, Berichte in den „Wald“ zu bringen. In dieser Zeit kann sie trotz vieler Gefahren zahlreiche Dokumente schmuggeln, darunter das gesamte Archiv des Kommandanten „Ponury“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verheimlicht sie lange ihre Tätigkeit im Untergrund. Ihre Geschichte und ihr Engagement werden in den 1960er Jahren von Cezary Chlebowski in der Publikation „Pozdrówcie Góry Świętokrzyskie“ („Grüßt das Heiligkreuzgebirge“) beschrieben. Nach der Geburt ihrer Kinder legt sie großen Wert auf eine patriotische Erziehung im Geiste der Unabhängigkeit.
In seiner Heimatstadt absolviert Jacek Kowalski die Grundschule Nr. 4 und das III. Allgemeinbildende Lyzeum. Im Jahr 1968 legt er das Abitur ab. Er interessiert sich für den Seehandel. Deshalb zieht er nach Sopot (Zoppot), wo er die Aufnahmeprüfung für die Höhere Handelsschule (Wyższa Szkoła Ekonomiczna) (früher: Höhere Schule für Seehandel/Wyższa Szkoła Handlu Morskiego) besteht, aber zunächst nicht aufgenommen wird. „Ich habe die Aufnahmeprüfung bestanden, aber mir fehlten Punkte, da ich keine Punkte für meine Abstammung bekommen habe, und ich wurde nicht angenommen“, berichtet er. Er entscheidet sich daher eine Prüfung an der Universität in Toruń (Thorn) abzulegen. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass er doch zum Studium an der Fakultät für Außenhandel der Höheren Handelsschule in Sopot zugelassen wird, wo er schließlich von 1968 bis 1971 studiert. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht absehbar, dass sich die Ereignisse überschlagen und entscheidenden Einfluss auf sein Leben nehmen werden. Im Dezember 1970 hält er sich er bei Bekannten in Kołobrzeg (Kolberg) auf. Am 13. Dezember kehren sie nach Sopot zurück. „Von Preiserhöhung wusste ich nichts. In Sopot erfuhren wir, dass die Arbeiter auf die Straße gegangen waren und streiken“, sagt er im Gespräch.
Aus reiner Neugier fährt er mit einem Freund nach Danzig (Gdańsk). Dort wird er Zeuge der Evakuierung des Woiwodschaftskomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczna Partia Robotnicza) und des Vorgehens der Armee und der Bürgermiliz. Seine Eindrücke nimmt er mit nach Sopot zurück. Tags darauf, am 15. Dezember, fährt er mit Bogdan Gronowicz nach Gdynia. In der Nähe von Gdynia-Wzgórze Nowotki treffen sie auf eine Patrouille der Bürgermiliz. Nachdem ihre Personalien festgestellt wurden, werden sie festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht. Nach zwei Tagen Einzelhaft erfahren sie, dass sie sich im Lager Wejherowo befinden, in dem streikende Arbeiter:innen inhaftiert sind. Am 9. Januar 1971 werden beide aus dem Lager entlassen, woraufhin Jacek Kowalski nach Ostrów zurückkehrt. Zwischenzeitlich wird seine Familie von der Bürgermiliz darüber in Kenntnis gesetzt, dass er sich an den Unruhen an der Küste beteiligt hat. Zufällig verhaftet und inhaftiert, erlebt er die ersten Repressionen seitens der Kommunisten. Nach der Rückkehr an die Universität stellt sich heraus, dass er keine seiner Prüfungen im Wintersemester bestanden hat. In seinen Memoiren schreibt er: „Ich habe im Wintersemester keine einzige Prüfung bestanden. Ich hatte sogar eine Ahnung, warum das so war. Meine Vermutung bestätigte sich während der Deutschprüfung bei Professorin Rita Ras, die mir erklärte, dass sie mich durchfallen lassen müsse, obwohl ich der Beste des Jahrgangs war“.[1]
[1] J. Kowalski: Na straży tradycji, in: Wygnańcze szlaki. Relacje uchodźców i emigrantów z Polski do Niemiec, Bearb. A. Dyrko, Warszawa 2007, S. 87.
Aufgrund dieser Entscheidung beschließt er, sein Studium abzubrechen. Er beginnt in der Gartenbaugenossenschaft in Ostrów zu arbeiten, wo er wegen der zunehmenden Repressionen entlassen wird. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage ist er aber gezwungen nach Arbeit zu suchen und findet schließlich eine Anstellung im VEB Schichtpressstoffwerk in Bernau bei Berlin. Doch auch dies ist nicht von langer Dauer. Bei einer Betriebskontrolle stellt sich heraus, dass er illegal beschäftigt wird, worauf hin er Landes verwiesen wird. Anfang 1972 sucht er erneut Arbeit in der DDR. Diesmal findet er eine Einstellung im Kesselhaus der VEB Elfe Schokoladenfabrik in Berlin-Weißensee. Mit der Zeit steigt er zum Wasseraustauschwärter und später zum Kesselwärter auf. Im selben Jahr beginnt er, auch auf Drängen seiner Eltern, an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań Germanistik zu studieren. Dank der Unterstützung von Dr. Hubert Orłowski qualifiziert er sich für einen akademischen Austausch und immatrikuliert sich 1974 an der Martin-Luther-Universität Halle (Saale), wo er seine spätere Frau kennenlernt. Während seines Studiums ist er Vertreter der Delegation der polnischen Austauschstudierenden und wird von der Stasi überwacht. Grund für die Überwachung ist seine Rede anlässlich des 30. Jahrestages der Volksrepublik Polen und des 25. Jahrestages der DDR, in der er die Befreiung der Stadt Halle durch die UdSSR in Frage stellt. Nach der Rede wird er von Stasi-Offizieren zum Verhör abgeführt.
„Jedes Delegationsmitglied hielt eine Rede. Auch ich musste einen Beitrag leisten. Nachdem ich an der Wand die Inschrift ‚Wir danken der Sowjetarmee für die Befreiung von Halle‘ gesehen hatte, wusste ich, dass ich einige historische Fakten richtigstellen und sagen muss, wie es tatsächlich war. Ich sagte – so hatte ich es in der Schule aus den Schulbüchern gelernt, dass Halle von der amerikanischen Armee befreit wurde und dann im Tausch gegen den Berliner Sektor, in die sowjetische Zone kam. In diesem Moment wurde mein Mikrofon stummgeschaltet. Am nächsten Tag nahm mich Herr Schmeiel, Betreuer ausländischer Studierender aus dem Ministerium für Staatssicherheit mit. Unten im Wohnheim standen zwei fremde Herren, die uns beide zu einer Wohnung begleiteten. (…) Sie versuchten mir einzureden, dass ich während meines Vortrags betrunken war. (…) Als ich nicht lockerließ, fragte mich einer meiner Begleiter, ob ich das Gras in der DDR mag? Ich antwortete – nein, es gefällt mir nicht, da es hier Chemiewerke wie Buna, Leuna gibt und alles gelb und braun ist ... Nachdem ich zu Ende gesprochen habe, sagte einer von ihnen auf Deutsch, dass ich mich verp... [unanständiges Wort – Anm. d. Verf.] soll. (…) Also ich habe dieses Studium beendet.“
Danach kehrt er an seine Alma Mater zurück. Während seines Studiums beginnt er sich für die deutsche Literatur zu interessieren und lernt bei der Vorbereitung seiner Magisterarbeit den österreichischen Schriftsteller, Peter Turrini, kennen. Da er seine Forschungsarbeit mit seinem Betreuer nicht in Österreich fortsetzen kann, beschließt er ein weiteres Stipendium anzunehmen und nach Halle zu gehen. Die Reise in die DDR ist nicht nur eine gute Gelegenheit, seine Verlobte wiederzusehen, sondern auch, eine mögliche Flucht aus dem kommunistischen Polen vorzubereiten. Die Magisterarbeit und die Tatsache, dass Turrinis Werke zu dieser Zeit in Polen nicht erhältlich sind, ermöglichen den bestehenden Plan schrittweise in die Tat umzusetzen.
„Bis Juli 1976 studierte ich in Poznań. Die Reise in den Westen war nur ein Vorwand, denn ich sollte meine Magisterarbeit über das österreichische Volkstheater schreiben. Das Thema der Arbeit wurde von Dr. Włodzimierz Bialik speziell für mich und meinen Kollegen gewählt, da das Wort ‚Volkstheater‘ die Ausreise vereinfachte. (...) Zuerst erhielt ich ein Visum für die Benelux-Staaten, dann ein Transitvisum für Deutschland. Dass ich ein Aufenthaltsvisum für einen Monat und ein Transitvisum für Deutschland bekam, war bedingt durch die Einladung einer französischen Staatsbürgerin, und meiner jetzigen Frau, nach Frankreich“, erzählt Jacek Kowalski im Gespräch.
Auf dem Weg zur Unabhängigkeit
Im Juli 1976 reist er mit einer Gruppe von Studierenden nach Halle, wo er sich mit seiner Verlobten trifft. Dort beschließen beide, in den Westen zu reisen. Vor seiner Ankunft in Frankreich hält er sich jedoch mit einem anderen Kollegen, der sich zur Flucht entschlossen hatte, mehrere Wochen illegal in München auf. In der bayerischen Landeshauptstadt gelingt es ihm nicht nur, unter dem falschen Namen eines holländischen Studenten, den er durch Zufall trifft, eine Arbeit zu finden, sondern auch in dessen Wohnung zu unterzukommen. Möglich ist das nur, weil dieser für einige Zeit in die Niederlande zurückgeht und ihm seine Wohnung und seine Steuerkarte zur Verfügung stellt, ohne die es nicht möglich ist, eine Arbeit anzunehmen. Die fehlende Stabilität und ständige Ungewissheit führen jedoch dazu, dass er einige Wochen später nach Frankreich reist. Dort bleibt er bis Herbst 1976. In dieser Zeit sucht er nach einer Möglichkeit, legal nach Deutschland einzureisen.
„Ich blieb etwa sechs Wochen in Frankreich. Danach wollte ich nach Deutschland zurück. Da ich nur ein Transitvisum und kein Aufenthaltsvisum für Deutschland hatte, verpetzten mich die Franzosen bei den Deutschen (…), da mein Visum für 24 Stunden bereits abgelaufen war (...). Das war in Straßburg. Ich dachte mir damals: Da die Polen jetzt kein Visum für Schweden oder Österreich brauchen, werde ich warten, bis das Konsulat aufmacht, mir ein Foto im Automaten am Bahnhof machen und dann zum Konsulat gehen. (...) Ich log sie an und sagte, dass mein Bruder in Wien auf mich wartet und ich deswegen ein Transitvisum nach Deutschland brauche. Es wurde mir sogar kostenlos und ohne Probleme ausgestellt. Ich stieg in den Zug und fuhr nach München“, erzählt Jacek Kowalski.
Nach Problemen beim Grenzübertritt, gelangt er schließlich Ende 1976 über einen Umweg nach Kehl am Rhein in der BRD. Im November 1976 erhält er im Münchner Polizeipräsidium Ettstraße eine Fahrkarte zum Lager Zirndorf. Dort angekommen, macht er die nächsten prägenden Erfahrungen. Im Lager trifft er u. a. Tadeusz Podgórski (1919–1986) und Włodzimierz Sznarbachowski (1913–2003) von Radio Free Europe.
„(...) Im Lager wurden wir, die Polen, von zwei Herren besucht. Es waren Tadeusz Podgórski und Włodzimierz Sznarbachowski, meine späteren Freunde. Sie fragten, ob sie uns Bücher oder andere Sachen bringen sollten. Einige Zeit später brachten sie diese Bücher. Danach sind sie noch zweimal gekommen“, berichtet Jacek Kowalski.
Schnell wird Jacek politisches Asyl gewährt. Er verlässt das Lager und zieht nach Augsburg, wo er an der dortigen Universität sein Studium der Politikwissenschaften abschließt und bald eine Anstellung findet. 1977–1983 arbeitet er als Deutsch- und Geschichtslehrer im Flüchtlingslager in Augsburg.
Von Anfang an setzt er sich in Westdeutschland für die Unabhängigkeit Polens ein und engagiert sich politisch und sozial. Dadurch gerät er ins Visier des Sicherheitsdienstes der Volksrepublik Polen. Die Informationen über seine Aktivitäten werden von der Abteilung für Spionageabwehr der Kommandantur der Bürgermiliz (Komenda Wojewódzka Milicji Obywatelskiej, KWMO) in Kalisz erfasst. Er wird der Kategorie „Person, die eine geheimdienstliche Bedrohung verursacht“ zugeordnet. Durch seine Kontakte zu Tadeusz Podgórski wird er 1976 in die Polnische Sozialistische Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS) aufgenommen. Bald organisiert er den ersten Parteikreis im Raum Augsburg. Im September 1977 wird er in den Verband Polnischer Flüchtlinge (Zjednoczenie Polskich Uchodźców, ZPU) aufgenommen und noch im selben Jahr zum Sekretär des 4. Bezirks dieses Verbands gewählt. 1978 ist er Delegierter des 4. Bezirks auf dem 9. Rat des ZPU. Zugleich ist er in den Exilstrukturen der PPS in der BRD aktiv. Von 1978 bis 1994 arbeitet er mit Radio Free Europe zusammen. Eines der wichtigsten Ereignisse ist für ihn der Besuch von Kardinal Stefan Wyszyński in Westdeutschland vom 21. bis 25. September 1978, den er als persönlicher Dolmetscher zu Treffen mit Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz nach Frankfurt, Köln, München und Mainz begleitet. Am 23. September 1978 ist er bei Kardinal Wyszyński, als dieser Blumen am Mahnmal für die ermordeten Priester im Konzentrationslager Dachau niederlegt. Bei dieser Zeremonie ist auch der Botschafter der Volksrepublik Polen in Bonn, Andrzej Chyliński (Sohn von Bolesław Bierut), anwesend.
Parallel zu seinen gesellschaftspolitischen Aktivitäten beginnt Jacek Kowalski als Journalist für die Zeitschriften „Dziennik Polski“ und „Tygodnik Polski“ zu arbeiten. 1978, während seines Aufenthalts in London, wird er zum Mitglied des Generalrats der Polnischen Sozialistischen Partei gewählt und lernt Lidia und Adam Ciołkosz kennen. Durch seine gesellschaftspolitische Tätigkeit intensivieren sich die Beziehungen zur PPS und Radio Free Europe. Die Freundschaft mit Tadeusz Podgórski führt zu gemeinsamen Initiativen, darunter zum Ausbau der Strukturen der PPS in der BRD. Mit der Zeit übernimmt er die redaktionelle Leitung der Zeitschrift „Przemiany“ (1974–1987) und ihres deutschen Pendants „Die Wende“ (1980–1983). Zusammen mit Eugeniusz Pietraszewski veröffentlicht er die Zeitschrift „Rodak“ des 4. Bezirks des Verbandes der Polnischen Flüchtlinge. Sie erscheint in Raum München herausgegeben und deckte ganz Bayern ab. 1979 wird er zum Mitglied der deutschen Sektion des Polnischen Nationalrats gewählt. Nach der Verhängung des Kriegsrechts schmuggelt er verbotene Literatur in die Volksrepublik Polen und andere volksdemokratische Länder. 1981 wird die 9. Abteilung des 1. Departementes des Innenministeriums der Volksrepublik Polen (ziviler Nachrichtendienst) auf seine Aktivitäten aufmerksam. 1983 beschäftigt sich das Bezirksamt für Innere Angelegenheiten in Będzin und 1985 die 2. Abteilung des Woiwodschaftsamtes für Innere Angelegenheiten in Olsztyn (Gegenspionage) mit seiner Person. Die operativen Maßnahmen des polnischen Sicherheitsdienstes führen dazu, dass Beamte des Woiwodschaftsamtes für Innere Angelegenheiten in seine Posener Wohnung kommen und versuchen ihn zu diskreditieren. Gleichzeitig wird seine engste Familie, die in der Volksrepublik Polen wohnt, beschattet. Erst 1990 verliert der Sicherheitsdienst das Interesse an seiner Person.
„Und wie sah das Schmuggelnetzwerk aus? Es waren etwa ein Dutzend Personen, die regelmäßig nach Deutschland kamen. Ich kannte sogar einen der Männer. Sein Name war Makusz-Woronicz. (...) Vor dem Krieg war er Mitarbeiter der 2. Abteilung des Generalstabs der polnischen Armee. Später kam er in einem kleinen polnischen Fiat 126p nach Deutschland und London. (...) Er hatte also Beziehungen an der deutsch-tschechischen Grenze. Er musste sie nur passieren, wenn die richtigen Leute da waren. (...) Die Tschechen kontrollierten nicht, das taten nur die Polen. Und dann schickte er Meldungen. Er hatte den Decknamen ‚Niedźwiedź‘ (‚Bär‘). Es war [derselbe] Deckname, den er im Generalstab hatte. ‚Niedźwiedź‘ schickte Nachrichten, … wie gingen sie nochmal…, ‚Der Adler ist gut gelandet‘. (...) und dann musste man im Bericht vermerken, (...) wie viele Bücher geschickt wurden und wer sie erhalten hat: Studierende, wissenschaftliche Mitarbeitende“, erinnert er sich an seine Einsätze.
Im Januar 1983 beginnt er als Generalvertreter der Schweizer Versicherungsgesellschaft „Zürich“ zu arbeiten. Im selben Jahr wird er Vorsitzender des Hauptkomitees der Polnischen Sozialistischen Partei in der BRD, Sekretär der Sektion des Nationalrates und Vorsitzender der Fraktion der PPS in der Sektion des Nationalrates. Während der gesamten Zeit pflege er Kontakte zu den Verantwortlichen der PPS in London. 1986 wird er stellvertretender Vorsitzender der Sektion des Nationalrats in Westdeutschland. Ab 1987 beginnt er mit dem Redakteur Bogdan Żurek die Polnischen Sozialistischen Parteien im Ausland zusammenzuführen, was zum Parteikongress in Bernried bei München führt. Ab 1987 ist er Vorsitzender des Zentralen Exekutivkomitees und Mitglied des Generalrats der PPS in London. In den 1980er Jahren ist er Vorsitzender des Polnischen Flüchtlingsrats bei der Polnischen Exilregierung in London. In dieser Funktion ist er an der Vergabe von politischem Asyl für polnische Flüchtlinge in Westdeutschland und Österreich beteiligt. Außerdem steht er mit dem Polish American Immigration and Relief Committee in Kontakt. 1990 nimmt er am 25. Kongress der Polnischen Sozialistischen Partei teil, auf dem er erneut zum Mitglied des Zentralen Exekutivkomitees und des Generalrats dieser Partei gewählt wird. Als Folge des Abbruchs der Gespräche mit den Sozialisten der PPS in Polen organisiert er das Zentrale Auslandskomitee der PPS, das bis heute aktiv ist, und wird 1993 sein Vorsitzender. In dieser Rolle nimmt er an mehreren Kongressen der Sozialistischen Internationale teil, die zuvor von Willy Brandt geleitet wurden. 1992 ist er, zusammen mit Außenminister Krzysztof Skubiszewski, bei der Trauerfeier für Willy Brandt im Reichstag zugegen.
„(...) Ich nahm an diesem Staatsakt im Reichstag teil, wo Brandt verabschiedet wurde, um später auf dem Friedhof in Berlin beigesetzt zu werden. Damals vertrat ich die Polnische Sozialistische Partei und Polen wurde von Minister Skubiszewski vertreten. Nach der Zeremonie hatte ich die Gelegenheit, mit dem Minister zu sprechen“, berichtet Jacek Kowalski im Gespräch.
1994 ist er Mitglied des Hauptkomitees der PPS in Deutschland. Im November 1997, auf dem letzten Kongress in Bernried, beendet er seine Tätigkeit für die Polnische Sozialistische Partei im Ausland. Ab 2001 ist er Redaktionsmitglied des „Bayerischen Bulletins“, das vom Verein zur Förderung der deutsch-polnischen Verständigung (Stowarzyszenie na Rzecz Porozumienia Niemiecko-Polskiego) herausgegeben wird, und stellvertretender Vorsitzender dieses Vereins. Er ist auch Mitglied des Verbandes Polnischer Journalisten (Stowarzyszenie Dziennikarzy Polskich), der Internationalen Journalisten-Föderation, des Polnischen Rates in Deutschland sowie des Konvents der polnischen Organisationen in Deutschland. 2002 nimmt er an der Feier zum 50. Jubiläum von Radio Free Europe teil, die in den Räumlichkeiten der US-Botschaft in Warschau stattfindet. Zusammen mit Bogdan Żurek beteiligt er sich an der Aufklärung des Todes des Priesters Franciszek Blachnicki, des Gründers des Christlichen Dienstes für Volksbefreiung (Chrześcijańska Służba Wyzwolenia Narodów) in Carlsberg (Deutschland). 2008 solidarisiert er sich mit dem Aufruf von Anna Walentynowicz. Am 4. April 2011 nimmt er an der Präsentation des Buches Polska Partia Socjalistyczna. Dlaczego się nie udało? Szkice. Wspomnienia. Polemiki im Polnischen Kulturzentrum in München teil, die vom Institut für Nationales Gedenken in Warschau, dem Generalkonsulat der Republik Polen in München und dem Verein zur Förderung der deutsch-polnischen Verständigung in München organisiert wird. Bereits im Ruhestand setzt er sich viele Jahre für die Verbreitung des Wissens über die Aktivitäten der Polnischen Sozialistischen Partei in Westdeutschland und von Radio Free Europe ein. Er nimmt sehr oft an Treffen mit polnischen und deutschen Historiker:innen teil, an denen er Auskunft über Irrungen und Wirrungen der Vergangenheit erteilt und Fragen beantwortet. Am 18. Juni 2018 wird er vom Warschauer Amt für Kriegsveteranen und Verfolgungsopfer (Urząd do Spraw Kombatantów i Osób Represjonowanych) mit dem Ehrenabzeichen „Antikommunistischer Oppositioneller oder aus politischen Gründen verfolgte Person“ ausgezeichnet. Am 21. März 2019 stirbt er unerwartet in Augsburg. Die Trauerfeierlichkeiten findet in Frankreich, die Totenmesse am 4. Mai 2019 in Ostrów Wielkopolski statt.
Łukasz Wolak, Mai 2019
Literaturverzeichnis
Archivalien:
- Archivsammlung des verstorbenen Jacek Kowalski (1950–2019)
- Archivsammlung von Łukasz Wolak
- Archivsammlung des Forschungsinstituts zur polnischen Emigration in Deutschland nach 1945 im Historischen Institut der Universität Wrocław (Pracownia Badań nad Polską Emigracją w Niemczech po 1945 r. w Instytucie Historycznym Uniwersytetu Wrocławskiego)
Literatur:
- Friszke, A.: Życie polityczne emigracji, Warschau, 1999, S.448.
- Gmyz, C.: Gdzie są teczki „systemu Polonia” – pytają emigranci, „Życie Warszawy“, 10.–11.09.1994, [Seitennummer fehlt].
- Kalczyńska, M. / Paszek, L.: Niemieckie Polonica prasowe (ostatnie dwudziestolecie XX wieku), Opole 2004, S. 221–222.
- Kowalski, J.: Polska Partia Socjalistyczna a Niepodległość, „Moje Miasto“ Nr. 5 (September–Oktober) 2018, S. 13.
- Pan Jacek się dąsa, „Trybuna Ludu“, 3.07.1985, [Seitennummer fehlt].
- Polska Partia Socjalistyczna. Dlaczego się nie udało? Szkice. Wspomnienia. Polemiki, hrsg. v. Robert Spałek, Warszawa 2010.
- Teraz są sobą, „Trybuna Ludu“, 20.–21.10.1984, [Seitennummer fehlt].
- Włodarczyk, W.: Jacek Kowalski, „Kurier“ (Chicago), 6.12.1988, Nr. 24, [Seitennummer fehlt].
- Wojna nie była kobietą, „Moje Miasto“ Nr. 5 (September–Oktober) 2018, S. 6.
- Wolak, Ł.: Leksykon działaczy Zjednoczenia Polskich Uchodźców w Republice Federalnej Niemiec (1951–1993), Wrocław 2018, S. 121–124.
- Wolak, Ł.: Zjednoczenie Polskich Uchodźców w Niemczech wobec emigracji solidarnościowej w latach 1981–1989, in: Świat wobec Solidarności 1980–1989, hrsg. v. Paweł Jaworski und Łukasz Kamiński, Warszawa 2013, S. 703–717.
- W służbie dla Polski. Jacek Antoni Kowalski, „Moje Miasto“ Nr. 5 (September–Oktober) 2018, S. 12.
- Wygnańcze szlaki. Relacje uchodźców i emigrantów z Polski do Niemiec, gesammelt und zusammengestellt von Adam Dyrko, Warszawa 2007, S. 85–96.