Aureli Topolnicki. Dokumente aus dem DP-Lager Wildflecken (Durzyn) 1945–1951
Bereits zuvor, am 20. Mai 1938, war Otto geboren worden,[15] der das einzige Kind der Familie Topolnicki bleiben sollte. Den Kriegsbeginn erlebten Aureli, Irma und Otto in Bolechów. Nach der Zerschlagung des polnischen Staates und infolge des geheimen Zusatzprotokolls des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes (sog. Hitler-Stalin-Pakt) gingen die polnischen Territorien östlich der Narew, der Weichsel und des San an die Sowjetunion. Am 22. Juni 1941 überfiel die Wehrmacht („Unternehmen Barbarossa“) die Sowjetunion und gliederte die Gebiete als Distrikt Galizien an das Generalgouvernement an. Topolnicki arbeitete sowohl nach dem Einmarsch der Roten Armee als auch demjenigen der Wehrmacht weiterhin an der Volksschule in Bolechów.[16] Etwa drei Monate nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, am 30. September 1941, wurde er vom Kreishauptmann in Kałusz (Kalusch) als Schulleiter der Volksschule in Bolechów eingesetzt. Dabei wirkten sich seine Deutschkenntnisse und womöglich auch die Deutschstämmigkeit seiner Ehefrau sicherlich alles andere als hinderlich aus.[17] Laut Familienüberlieferung verließ die Familie Topolnicki Bolechów im Sommer/Herbst 1943 in Richtung Niederösterreich bzw. Südmähren. Grund dafür soll die Angst vor der immer weiter vorrückenden Roten Armee gewesen sein.[18] Aus den im Nachlass überlieferten Dokumenten ergibt sich über im Hinblick auf den genauen Zeitraum, die Gründe sowie auch die Frage, ob alle drei Familienangehörigen Bolechów gemeinsam und mit demselben Ziel verließen, allerdings ein uneinheitliches Bild. Laut einer handgeschriebenen Notiz fand die Abreise aus Krakau am 17. September 1943 statt und die Ankunft im niederösterreichischen Retz drei Tage später. Im südmährischen Lundenburg, etwa 100 Kilometer östlich von Retz gelegen, soll Topolnicki jedoch erst im September 1944 angekommen sein.[19] Dagegen ist in seinem im Dezember 1945 in Wildflecken-Durzyn ausgestellten Personalausweis vermerkt, er sei am 16. Juli 1943 nach Lundenburg in Deutschland deportiert worden („Civilian deported to Germany“).[20] Im ebenfalls von der Stadtverwaltung in Wildflecken-Durzyn ausgestellten Personalausweis von Irma Topolnicka ist wiederum ihre Deportation nach Lundenburg am 15. August 1944 festgehalten worden.[21] Die Vordrucke dieser Personalausweise boten insgesamt fünf Möglichkeiten für die Angabe der Begründung des Aufenthaltes in Deutschland: 1. Politischer Häftling, 2. Häftling, 3. Häftling in einem Konzentrationslager, 4. Kriegsgefangener und eben 5. Als Zivilperson nach Deutschland deportiert, womit u.a. eine Zwangsarbeit verbunden sein konnte. Diese Angaben waren nicht unbedeutend, denn von ihnen hing der Status einer Displaced Person ab und damit u.a. die Möglichkeit des Aufenthaltes in einem DP-Lager sowie die spätere Möglichkeit der Emigration, beispielsweise in die Vereinigten Staaten. Die familiäre Überlieferung und die Tatsache, dass Aureli Topolnicki noch im September 1941 vonseiten einer Behörde der deutschen Besatzungsmacht in der Westukraine zum Schulleiter eingesetzt worden war lassen eine Deportation der Familie zum Zwecke der Zwangsarbeit (ob nun 1943 oder 1944) als unwahrscheinlich erscheinen. Überdies belegen Bescheinigungen über geleistete Gehaltsvorschüsse der Firma „Alois Gasser Kom. Ges. Eisengroßhandlung und Schlosserwarenwerkzeug“ in Retz/Niederdonau von September und Oktober 1944, dass sich Topolnicki tatsächlich in Retz aufhielt und dort einer bezahlten Arbeit nachging und nicht,[22] wie im oben genannten Ausweisdokument festgehalten, bereits 1943 nach Lundenburg ausreiste oder gar deportiert worden war. Zudem ließ sich Aureli Topolnicki im September 1944 in Wien sein Volksschullehrerdiplom, seine Ernennung zum Lehrer und sein Zeugnis über die praktische Lehrtätigkeit ins Deutsche übersetzen,[23] was ebenfalls nicht davon zeugt, dass er im Alltag in Niederösterreich irgendwelchen Einschränkungen ausgesetzt war. Ganz im Gegenteil, offensichtlich hoffte er auf eine Einstellung in seinem erlernten Beruf.
[15] Volksschulzeugnis aus der 5. Klasse der Volksschule in Wildflecken von Otto Topolnicki, ausgestellt am 30.4.1950, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 058].
[16] Meldekarte von Aureli Topolnicki vom Arbeitsamt in Drohobycz mit Berufsbezeichnung, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 125].
[17] Aufforderung des Kreishauptmanns in Kalusch an Topolnicki, seinen Dienst als Schulleiter der polnischen Volksschule in Bolechów anzutreten, 30. September 1941, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 074].
[18] Telefoninterview mit Barbara Karbarz vom 18.03.2017.
[19] Handschriftliche Notiz mit Topolnickis Aufenthaltsorten und -daten zwischen 1933 und 1947, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 045].
[20] Personalausweis von Aureli Topolnicki, ausgestellt am 22.12.1945 von der Städtischen Verwaltung in Wildflecken-Durzyn, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 127].
[21] Personalausweis von Irma Topolnicka, ausgestellt am 28.12.1945 von der Städtischen Verwaltung in Wildflecken-Durzyn, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 131].
[22] Bescheinigungen über geleistete Gehaltsvorschüsse an Aureli Topolnicki von der Fa. „Alois Gasser Kom. Ges. Eisengroßhandlung und Schlosserwarenwerkzeug“ in Retz von September und Oktober 1944, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 042].
[23] Beglaubigte Übersetzung des Volksschullehrerdiploms von Aureli Topolnicki vom 5.9.1944, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 097]; beglaubigte Übersetzung der Ernennung von Aureli Topolnicki zum Lehrer vom 5.9.1944, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 098]; beglaubigte Übersetzung des Zeugnisses über die Prüfung der praktischen Lehrtätigkeit von Aureli Topolnicki vom 5.9.1944, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 099].