Aureli Topolnicki. Dokumente aus dem DP-Lager Wildflecken (Durzyn) 1945–1951
Zum Jahresende 1949 erhielt er in seiner Funktion als Schulleiter ein Schreiben von der International Refugee Organization (IRO)[36] über die für Ende Januar vorgesehene Schließung der Schule im Zusammenhang mit der Auflösung des DP-Lagers Wildflecken-Durzyn.[37] Zwar gelang es in Folge von Protesten, die Schließung der Schule hinauszuzögern, jedoch nur bis Ende des Schuljahres im April 1950.[38]
Neben seiner Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter gestaltete Topolnicki auch aktiv andere Bereiche des Lagerlebens – als leidenschaftlicher Musiker beispielsweise als Musiklehrer.[39] Zudem engagierte er sich in zahlreichen polnischen Organisationen und Verbänden in Deutschland: Er war Mitglied des Polnischen Verbandes in der US-Zone Deutschlands und zugleich Vorsitzender des polnischen Komitees dieses Verbandes in Wildflecken,[40] Mitglied des Verbandes der Polnischen Lehrer im Exil[41] sowie der Zentrale für Polnisches Schulwesen in Deutschland.[42] Überdies waren beide Eheleute Mitglieder des Polnischen Nationalfonds.[43]
Topolnickis Frau Irma ging während der Zeit im DP-Lager Wildflecken-Durzyn mehreren Tätigkeiten nach. Im Dezember 1945 übernahm sie die Verwaltung des Kasinos,[44] zwischen Januar 1946 und September 1947 war sie Blockwärterin,[45] von Juni bis Oktober 1949 als Schreib- und Bürokraft bei der Registrierungsstelle der IRO in Wildflecken eingestellt und zwischen November 1949 und April 1950 als Volksschullehrerin tätig.[46] In diesem Zusammenhang wurden gegen Schulleiter Aureli Topolnickii Vorwürfe der Vetternwirtschaft vonseiten der Lehrerschaft laut, die sich aber nicht überprüfen ließen.[47] Zwischen Januar und Juni 1947 belegte Irma Topolnicka überdies einen Schneiderkurs an der Berufsschule für Frauen in Wildflecken-Durzyn.[48] Sohn Otto besuchte zwischen 1945 und 1950 die Volksschule des Ortes.[49] Bis zu diesem Zeitpunkt war es der Familie Topolnicki nicht gelungen, zu emigrieren. Nach den misslungenen Versuchen der Auswanderung in die Niederlande und nach Belgien bildete eine Ausreise in die Vereinigten Staaten inzwischen das erklärte Ziel. Topolnicki schien sich darüber im Klaren zu sein, dass er als Lehrer ohne ausreichende Englischkenntnisse keine reale Möglichkeit haben würde, in den USA in seinem erlernten Beruf zu arbeiten, zumal er bereits jenseits der 40 war. Da sein Interesse auch dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich galt,[50] belegte er Berufskurse im Bereich Elektrik.[51] Aber auch darüber hinaus bemühten sich die Topolnickis, den Einwanderungsbehörden der USA weitere Argumente zu liefern, um die Emigration, die sich immer weiter hinauszog, zu forcieren. So ließ sich Aureli Topolnicki im März 1950 vom Seelsorger der polnischen Gemeinde in Wildflecken-Durzyn, Pfarrer Marian Świtka, eine Sittlichkeitsbescheinigung ausstellen, in der er als „guter Pole und Katholik“ sowie als „arbeitsam und vorbildhaft“ bezeichnet wurde.[52] Irma besaß eine solche in englischer und polnischer Sprache ausgestellte Sittlichkeitsbescheinigung bereits seit zweieinhalb Jahren.[53] Überdies stellte die IRO Topolnicki einen Bericht über die Fähigkeits- und Leistungsbewertung für einheimisches Personal – worunter er als Lehrer geführt wurde – als Ausdruck zur Verfügung, in dem Faktoren wie körperliche Eignung, Kenntnisse und Fähigkeiten, Initiative, Leistung, Zuverlässigkeit etc. bewertet wurden.[54]
[36] Die International Refugee Organization wurde 1946 gegründet und übernahm 1947 als Nachfolgeorganisation der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) u. a. die Verwaltung der DP-Lager und die Betreuung der Displaced Persons auf deutschem Territorium. Damit ging jedoch auch eine stetige Verminderung des finanziellen Rahmens für die Arbeit der IRO einher, was sich auch im DP-Schulwesen widerspiegelte. Die IRO stellte 1952 ihre Arbeit ein, nachdem das Gros der DPs entweder repatriiert war oder in der Emigration eine neue Heimat fand.
[37] Schreiben des IRO Welfare Officers an Schulleiter A. Topolnicki über die Schließung der Volksschule in Durzyn (Wildflecken) aufgrund der Schließung des Lagers vom 30.12.1949, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 066]; bereits ab Sommer 1949 wurde das DP-Lager Wildflecken-Durzyn als Durchgangslager für DPs verschiedener Nationalitäten sowie als Arbeitsstätte für die im Lager beschäftigten DPs genutzt. Damit ging auch die Auflösung der polnischen Selbstverwaltung des Lagers einher, siehe: An die polnische Bevölkerung in Durzyn – Abschiedsschreiben des polnischen DP-Lagerleiters, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 107].
[38] Schreiben des IRO Welfare Officers vom 03.03.1950 an Schulleiter A. Topolnicki über die Wiedereinstellung der Lehrer der Volksschule in Durzyn (Wildflecken) zum 1.2.1950, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 067]: Bescheinigung für Aureli Topolnicki vom 14.07.1950 über seine Tätigkeit als Volksschullehrer im DP-Lager Wildflecken vom 29.8.1947 bis 30.4.1950, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 012].
[39] Telefoninterview mit Barbara Karbarz vom 18.03.2017.
[40] Mitgliedsausweis von A. Topolnicki des Polnischen Verbandes (Polnische Union) in der US-Zone Deutschlands vom 1.5.1950, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 110].
[41] Topolnickis Mitgliedsausweis des Verbandes der Polnischen Lehrer im Exil in Deutschland mit Lichtbild vom 15.5.1947, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 112].
[42] Ausweis Topolnickis über seine Mitgliedschaft bei der Zentrale für Polnisches Schulwesen in Deutschland, gültig bis zum 31.07.1946, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 126].
[43] Der Nationalfonds wurde auf Grundlage eines Dekrets des Präsidenten vom 14.11.1949 eingerichtet – mit dem Ziel, finanzielle Mittel zu generieren, um die Unabhängigkeit Polens zu stärken und die nationale Kultur und Bildung der Polen im Exil zu fördern. Ausweise von Aureli und Irma Topolnicki über ihre Mitgliedschaft im Polnischen Nationalfonds, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokumente Nr. 122 und 132].
[44] Bescheinigung über die Ernennung von Frau (sic!) Aurelia Topolnicka zur Kasinoverwalterin (gemeint war offenbar Irma Topolnicka) vom 05.12.1945, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 088].
[45] Bescheinigung über die Beschäftigung bei der Verwaltungsabteilung als Blockwärterin vom 1.1.1945 (1946) bis 14.9.1947, ausgestellt für Irma Topolnicka, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 080].
[46] Bescheinigung über die Beschäftigung von Irma Topolnicki als Bürokraft bei der Registrierungsstelle des IRO US Zone Staging Centers Wildflecken (1.6.49-31.10.49) und als Volksschullehrerin (1.11.49-30.4.50), [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 079].
[47] Schreiben der Lehrerschaft (Durzyn-Wildflecken) mit dem Vorwurf der Vetternwirtschaft und der schlechten Führung der Volksschule gegen Aureli Topolnicki, o.D. [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 083].
[48] Zeugnis über einen sechsmonatigen Schneiderkurs, vom 1.1.1947 bis 30.6.1947 von Irma Topolnicka an der Berufsschule für Frauen in Durzyn-Wildflecken, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 078].
[49] Volksschulzeugnisse von Otto Topolnicki von der 1. bis zur 5. Klasse der Volksschule in Wildflecken-Durzyn, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 058–062 ].
[50] Neben den bereits genannten Fächern hatte er seine Stärken nachweislich auch in Physik, Chemie und Zeichnen, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 097]; während seines Aufenthaltes im DP-Lager besaß er als einer der wenigen DPs einen Radioempfänger und eine Fotokamera, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokumente Nr. 020, 028, 032, 037].
[51] Bescheinigung der Vorbereitungskommission der IRO über eine mit einem Test abgeschlossene berufsbildende Maßnahme und die Einordnung von Aureli Topolnicki als „Elektriker 2. Ranges/Klasse“ vom 13.05.1948, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 003].
[52] Sittlichkeitsbescheinigung für Aureli Topolnicki vom 05.03.1950, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 105; englischsprachige Version Nr. 019].
[53] Sittlichkeitsbescheinigung für Irma Topolnicka vom 6.10.1947, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 096].
[54] Bericht der Fähigkeits- und Leistungsbewertung für einheimisches Personal über die Person Aureli Topolnicki vom 30.03.1949, [Nachlass Aureli Topolnicki, Dokument Nr. 013].