Zofia Odrobna (1917–1960): Mutter der „verlorenen“ Kinder
Dies ist die Geschichte einer in ihrer Heimatstadt Przemyśl kaum bekannten Frau, die für die polnischen „Displaced Persons“ (DPs) und für die Flüchtlinge im Nachkriegsdeutschland bedeutsam war. Sie half vielen von ihnen in den Nachkriegswirren, ein Zuhause zu finden, anderen wiederum, sich ein neues zu schaffen. Zofia Odrobna, von der hier die Rede ist, war die Gattin von Kazimierz Odrobny, dem jahrelangen Vorsitzenden des Verbands Polnischer Flüchtlinge (Zjednoczenie Polskich Uchodźców) und anderer Flüchtlingsorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie lebte viele Jahre im Schatten erst des Verlobten und dann des Ehemanns und war dennoch nicht bedrückt. Beide gingen gemeinsam ihrer Berufung nach, polnischen DPs und schließlich Flüchtlingen zu helfen. Zofia Odrobna verstarb leider früh, ist aber in den Erinnerungen vieler Polen in Deutschland und in Großbritannien unvergessen.
Zofia Irena Odrobna, geborene Ogonowska, kam am 15. Mai 1917 in Żurawica, in der Gemeinde Przemyśl, zur Welt, wo sie auch ihre Kindheit und frühe Jugend verbrachte. Sie war die älteste Tochter von Tomasz Ogonowski und seiner Frau Bronisława, geborene Rak. Sie besuchte von 1923 bis 1927 die Volksschule und nachdem die Familie nach Przemyśl umgezogen war, wo sie in der Kozanów-Straße 6 am Rande der Stadt in Zasanie wohnte, von 1927 bis 1935 das dortige Mädchengymnasium. Nach dem gut bestandenen Abitur entschied sie sich für ein Pädagogikstudium an der humanistischen Fakultät der Johann-Kasimir-Universität in Lwów (Lemberg)[1], das sie 1936 aufgenommen hat. Die engagierte junge Frau führte ein Studentendasein, das sich von dem ihrer vielen Kommilitonen nicht unterschied. Nach ihrem dritten Studienjahr brach der Zweite Weltkrieg aus, nachdem die Grenze zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion aufgrund des Ribbentrop-Mołotow-Pakts neu gezogen worden war. Sie gab daraufhin ihr Studium auf und kehrte nach Przemyśl zurück. Als die Stadt geteilt wurde, zog sie mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Izabela in den deutschen Sektor und arbeitete bis Oktober 1941 in einem landwirtschaftlichen Betrieb vor den Toren der Stadt. Die Mühen unter den Besatzern zwangen sie dazu, von 1941 bis 1943 als Küchenhilfe in eine Wehrmachtskaserne zu gehen. Als sich die Bedingungen unter den deutschen Besatzern weiter verschärften, wurde ihre Schwester Izabela zur Zwangsarbeit in Deutschland verpflichtet. Da Zofia einige Jahre älter war, meldete sie sich stellvertretend für den Transport. So gelang es ihr, ihre Schwester vor diesen Strapazen und vor der Arbeit in Deutschland zu schützen. Izabela wurde daraufhin nie in die Zwangsarbeit verschleppt, sondern erlebte das Ende des Krieges mit ihren Eltern in Przemyśl. Zofia wurde hingegen Mitte März 1943 nach Deutschland deportiert und traf am 27. März 1943 im nordrhein-westfälischen Libur ein, heute ein Stadtteil von Köln-Porz.
[1] Heute: Nationale Iwan-Franko-Universität Lwiw, Ukraine (Anm. d. Übers.)