Die „Schreiberin“ Zofia Posmysz. Zeitzeugin der Geschichte zwischen Wahrheit und Post-Wahrheit
Auszüge aus dem Bericht der „Schreiberin“ Zofia Posmysz, zusammengestellt von Maria Anna (Masza) Potocka:
Flüstern kann am lautesten sein
Nach sechswöchigen Ermittlungen, während derer ich vier Mal verhört wurde, wurde ich von Krakau nach Auschwitz verlegt und obwohl ich schon viel von Auschwitz gehört hatte, war ich ob dieser Information unbesorgt. Ich freute mich sogar, denn das hieß für mich, dass ich nie wieder zum Sitz der Gestapo geladen werden würde. Diese Verhöre waren damals unser schlimmster Alptraum.
Als ich mich dem Lagertor näherte und die Aufschrift „Arbeit macht frei” sah, dachte ich naiv, dass es sicher nicht so schlimm sein wird. Ich dachte, wenn ich arbeiten werde, werden sie mich freilassen, denn schließlich hat es gegen mich keinen ernsthaften Prozess gegeben. Ich dachte, dass ich mir die Freiheit erarbeiten werde.
Anfangs, als ich dem Außenkommando zugeteilt war, haben sie uns um halb vier nachts geweckt. Sicher deshalb so früh, weil der SS-Trupp die Ordnung seinerzeit nicht richtig in den Griff bekam. Zuerst musste man die Kessel mit Kaffee und Tee aus der Küche in die Blocks bringen und dort in die Becher und Schüsseln verteilen. Das nannte man Frühstück. Manche Gefangene waren diszipliniert genug, um am Abend zuvor noch eine Scheibe Brot zurückzulegen, andere wiederum hatten morgens nur diese Flüssigkeit und gingen hungrig zur Arbeit.
Die Arbeit der ersten Tageshälfte dauerte bis halb eins. Dann kamen LKWs mit Suppenkesseln. Nach dem Mittag gab es eine halbe Stunde Erholung, in der man sich hinlegen durfte. Einigen gelang es sogar, einzunicken. Danach folgte die nächste Arbeitsphase, die bis sechs Uhr dauerte. Nach der Rückkehr ins Lager wurden wir sofort zum Abendappell befohlen. Dabei hat ein SS-Mann oder eine SS-Frau zusammen mit einem, der eingetragen war, abermals den Blockstand geprüft. Anschließend wurde der Appell abgepfiffen. Dann ging es in die Küche, um den abendlichen Kaffee oder Tee und die Lebensmittelration abzuholen, vor allem Brot. Jeder Gefangenen stand ein Drittel eines Ein-Kilo-Leibes zu. Tatsächlich aber haben wir eine solche Portion jedoch nie bekommen, da die Blockführerin einen Teil für sich behielt. Zum Brot gab es noch ein kleines Stück Margarine oder Käse, den man Quark nannte. Das war eine deutsche beziehungsweise eine österreichische Spezialität, eine Art Camembert, und dieser Käse schmeckte mir sogar.
Unsere erste Arbeit nach der Ankunft in Auschwitz bestand in der Zerkleinerung von Erdschollen auf einem Feld, das einige Kilometer vom Lager entfernt war. Eine grausame Schinderei war das. Hinzu kamen Hunger, schreckliche Hitze und der Mangel an Flüssigkeiten. Nach der Arbeit stellten wir uns abends mit Schüsseln oder Halbliterbechern in eine Schlange vor dem Brunnen. Ein Problem stellte sich ein: Was kann man mit so wenig Wasser machen? Die meisten tranken es aus. Andere wuschen sich das Gesicht. Ich habe aber auch Mädels gesehen, die hinter die Latrine gingen und sich mit dem Wasser untenrum wuschen. Das kam mir absurd und überspannt vor.
Nach der Rückkehr aus der Strafkompanie wurde in Birkenau die Nummer eintätowiert. Die Tätowierung nahm eine Gefangene vor, die auf einem kleinen Stuhl vor einem kleinen Tisch saß. Sie hatte komisches Werkzeug dabei, das am ehesten an einen Füller erinnerte. Mit diesem Gerät stach sie uns und tätowierte die Nummern ein. Die Gefangene, die das tat, eine Jüdin – jedenfalls schien sie mir eine zu sein – sagte mir, ich solle den Ärmel hochkrempeln, dann würde sie mir die Nummer höher eintätowieren.