Marek Żebrowski: Mein deutsches Abenteuer
Seither zog sich ein ganz bestimmtes Muster durch meinen sommerlichen Deutschland-Terminkalender. Sobald ich Anfang Juni frei von meinen akademischen Verpflichtungen in Boston war, packte ich meine Sachen, meine Noten und meine Konzertoutfits zusammen und flog für ein paar Wochen nach Europa. In Frankfurt angekommen, mietete ich ein Auto und fuhr Richtung Marburg – erst die Autobahn entlang, dann immer kleiner werdende Landstraßen bis nach Sindersfeld, das zu meiner festen „operativen Basis“ bei diesen Reisen wurde.
Dank Waldemars Beziehungen zu Musikerkreisen in Trier wurde ich eingeladen, dort sowie in Saarbrücken und im nahen Lebach aufzutreten. In Saarbrücken lernte ich noch einen Musik- und vor allem Klavierliebhaber kennen, Raphael Kreutzer, der sich ebenfalls „freiwillig meldete“, mir weitere Auftritte im Saarland zu besorgen, und später Joachim bei der Veranstaltung und Vermarktung einiger meiner Konzerte behilflich war. In diesem Teil Deutschlands gab ich zudem Kammerkonzerte mit der Kasseler Cellistin Claudia Schwarze und der Violinistin Carola Nasdala aus der ehemaligen DDR. Wir nannten uns das „Ost-West-Trio“ und traten im Schloss Saarbrücken, in Trier sowie in diversen Konzertsälen in ganz Hessen auf.
Dadurch, dass Joachim in Marburg und Umgebung ein angesehener Musiklehrer war, gewann ich immer mehr deutsche Freund:innen aus musikalischen und künstlerischen Kreisen. Dazu gehörte auch Wolfgang Jungraithmayr, ein hochtalentierter Violinist und Pianist, der sich jedoch letztendlich einer medizinischen Karriere als Thoraxchirurg zuwandte. Ich erinnere mich noch gut, wie Wolfgang und ich gemeinsam Beethovens „Sonaten für Klavier und Violine“ lasen und wie ich ihn in seinem Elternhaus an einer wundervoll von Bäumen gesäumten Straße in Marburg besuchte. Viele Jahre später, als Wolfgang bereits Chirurg an einer der führenden Kliniken Süddeutschlands war, besuchte ich ihn auch dort und durfte ihm sogar beim Operieren zusehen. Er stattete mir seinerseits ebenfalls einen Besuch in Boston ab und wir verbrachten bei der Gelegenheit Thanksgiving im Kreise der Freunde meiner Familie in Portland, Maine.
Bis auf ein einziges Konzert, das ich im Münchner Gasteig gegeben habe, waren meine Besuche in der mondänen Hauptstadt Bayerns stets rein privater Natur. Jedes Mal, wenn ich nach Süddeutschland reiste, blieb ich einige Tage in München, um mich mit Stanisław Kadziewicz zu treffen, einem guten alten Freund von der Harvard University, der dort für das Radio Free Europe tätig war.
Da ich bei diesen Tourneen zu Proben und Konzerten in ganz Deutschland unterwegs war, verbrachte ich jede freie Minute in Sindersfeld bei Joachim, um mich zu erholen und stundenlang auf seinem imposanten Grotrian-Steinweg-Konzertflügel zu üben. Die Belohnung für meine harte Arbeit waren stets unsere abendlichen Gespräche und die langen Spaziergänge mit Hündin Susie nach dem Abendessen. Eines Sommers, nachdem der Ehemann meiner Cousine Marysia aus den USA plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben war, lud Joachim sie und ihre beiden Töchter netterweise ein, die Sommerferien bei ihm in Sindersfeld zu verbringen und zwischen meinen Konzerten Deutschland zu erkunden. Das war für die beiden, damals noch sehr jungen Töchter von Marysia ein wunderbares Erlebnis. Nach ein oder zwei Wochen bei Joachim brachte ich sie dann bis nach Calais, wo sie auf die Fähre nach England stiegen und von dort aus nach Hause, nach New Jersey zurückreisten.