Marek Żebrowski: Mein deutsches Abenteuer

Marek Żebrowski, 2021
Marek Żebrowski, 2021

Mein deutsches Abenteuer begann irgendwann Anfang der 1980er Jahre in Boston, Massachusetts. Ich hatte das New England Conservatory of Music absolviert und wohnte weiterhin an der Ostküste der USA. Neben meinen Auftritten in New England hielt ich Vorlesungen am MIT sowie an der University of Massachusetts.

Es war eine kalte Nacht in Boston, als ich mich zu einem Konzert meines Freundes Krystian Zimerman begab. Nachdem ich mich hinter den Kulissen kurz mit ihm unterhalten hatte, kam ein junger Pole strahlend auf mich zu und stellte sich vor. Er hieß Waldemar Radacz. Er hatte mein Gespräch mit Krystian mitgehört und sagte, er wohne in Deutschland, arbeite als Pastor in Kassel und veranstalte dort manchmal Konzerte. Ich glaube, dass ich bereits am selben Abend vorschlug, wir sollten uns vor seiner Abreise aus Boston noch einmal treffen. Waldemar sagte zu. Er erwähnte zudem, dass er mehrere Werke eines seiner deutschen Freunde, Bernd Mlodoch mitgebracht habe. Schließlich kaufte ich ihm einige der kleinen, handkolorierten Grafiken ab.

Im Laufe der Jahre sollte sich herausstellen, dass diese zufällige Bekanntschaft mehrere Begegnungen mit faszinierenden Menschen in Deutschland nach sich zog – Menschen, von denen viele zu engen Freund:innen und Weggefährt:innen wurden. Nachdem wir eine Zeitlang Briefe ausgetauscht hatten – per Luftpost, denn Emails waren noch nicht so üblich – kam ich ein oder zwei Jahre später, es war ein sehr heißer Juni, nach Deutschland. Waldemar hatte für mich ein paar Soloauftritte arrangiert. Er wohnte in Kassel und stellte mich nahezu sofort seiner Nachbarin Frau Korte vor. Sie war eine liebenswerte, hilfsbereite Dame mittleren Alters und liebte es, ihren Nachbarn und seinen neuen polnischen Freund mit frischen Erdbeeren und anderen Naschereien zu versorgen.

Meine Recitals in Kassel und insbesondere in Marburg wurden gut besucht und auch die Pressekritiken fielen positiv aus. Nach dem Konzert in Marburg hatte ich endlich die Gelegenheit, Bernd Mlodoch persönlich kennenzulernen und ihm mitzuteilen, dass seine Werke die Wände meiner Wohnung in Boston zieren. Sichtlich erfreut lud mich Bernd in sein Atelier an der üppig von Bäumen gesäumten Uferstraße in Marburg ein. Dort durfte ich sein umfangreiches künstlerisches Portfolio bestaunen sowie eine Druckwerkstatt, die eins der vier prall gefüllten Zimmer in seiner Wohnung vollständig einnahm.

Ein weiterer langjähriger Freund, den ich nach dem Konzert in Marburg kennenlernen durfte, war Joachim Kramer, ein in der Umgebung bekannter und angesehener Klavierlehrer. Er lud mich ein, ihn in Sindersfeld zu besuchen, einem kleinen, beschaulichen Dörfchen, das in ca. 20 km Entfernung von Marburg lag. Joachim bewohnte ein großes Haus am Dorfrand, dessen sämtliche Fenster und Terrassen eine pittoreske Aussicht auf die hügelige Landschaft boten, mit Wäldern und Rapsfeldern, soweit das Auge reicht.

Joachim versprach nicht nur, dass er mir helfen würde, einige weitere Konzerte zu organisieren; er bot mir sogar an, kostenfrei in seinem Haus zu wohnen, wann immer ich es bräuchte. Da in seinem Wohnzimmer ein Konzertflügel stand und er ausdrücklich gesagt hatte, ich dürfe diesen jederzeit benutzen, wenn er bei seinen Klavierschüler:innen sei, konnte ich diese Einladung nicht ablehnen. Im Gegenzug empfing ich Joachim oft mit einem selbstgekochten Abendessen, als er vom Unterricht wiederkam. Wir setzten uns ins Esszimmer oder auf die Terrasse und genossen die langen, sommerlichen Sonnenuntergänge, von nichts weiter als Vogelgesang gestört. Vor Einbruch der Dunkelheit pflegten wir auch, mit Joachims kleiner Hündin Susie lange Spaziergänge durch die Felder zu unternehmen. Sie liebte diese Ausflüge und reagierte immer sofort auf das Wort „spazieren“: Sie wuselte vor Freude wie verrückt herum und rannte wie aus der Pistole geschossen aus dem Haus, sobald die Tür geöffnet wurde. Eine weitere Freundin, der ich damals begegnete, war Susanne – Waldemars liebenswerte und fürsorgliche Partnerin. Dank ihrer Beziehungen konnte sie für mich Auftritte in dem Schloss auf dem Hügel im nahegelegenen Kurort Bad Wildungen organisieren.

Seither zog sich ein ganz bestimmtes Muster durch meinen sommerlichen Deutschland-Terminkalender. Sobald ich Anfang Juni frei von meinen akademischen Verpflichtungen in Boston war, packte ich meine Sachen, meine Noten und meine Konzertoutfits zusammen und flog für ein paar Wochen nach Europa. In Frankfurt angekommen, mietete ich ein Auto und fuhr Richtung Marburg – erst die Autobahn entlang, dann immer kleiner werdende Landstraßen bis nach Sindersfeld, das zu meiner festen „operativen Basis“ bei diesen Reisen wurde.

Dank Waldemars Beziehungen zu Musikerkreisen in Trier wurde ich eingeladen, dort sowie in Saarbrücken und im nahen Lebach aufzutreten. In Saarbrücken lernte ich noch einen Musik- und vor allem Klavierliebhaber kennen, Raphael Kreutzer, der sich ebenfalls „freiwillig meldete“, mir weitere Auftritte im Saarland zu besorgen, und später Joachim bei der Veranstaltung und Vermarktung einiger meiner Konzerte behilflich war. In diesem Teil Deutschlands gab ich zudem Kammerkonzerte mit der Kasseler Cellistin Claudia Schwarze und der Violinistin Carola Nasdala aus der ehemaligen DDR. Wir nannten uns das „Ost-West-Trio“ und traten im Schloss Saarbrücken, in Trier sowie in diversen Konzertsälen in ganz Hessen auf.

Dadurch, dass Joachim in Marburg und Umgebung ein angesehener Musiklehrer war, gewann ich immer mehr deutsche Freund:innen aus musikalischen und künstlerischen Kreisen. Dazu gehörte auch Wolfgang Jungraithmayr, ein hochtalentierter Violinist und Pianist, der sich jedoch letztendlich einer medizinischen Karriere als Thoraxchirurg zuwandte. Ich erinnere mich noch gut, wie Wolfgang und ich gemeinsam Beethovens „Sonaten für Klavier und Violine“ lasen und wie ich ihn in seinem Elternhaus an einer wundervoll von Bäumen gesäumten Straße in Marburg besuchte. Viele Jahre später, als Wolfgang bereits Chirurg an einer der führenden Kliniken Süddeutschlands war, besuchte ich ihn auch dort und durfte ihm sogar beim Operieren zusehen. Er stattete mir seinerseits ebenfalls einen Besuch in Boston ab und wir verbrachten bei der Gelegenheit Thanksgiving im Kreise der Freunde meiner Familie in Portland, Maine.

Bis auf ein einziges Konzert, das ich im Münchner Gasteig gegeben habe, waren meine Besuche in der mondänen Hauptstadt Bayerns stets rein privater Natur. Jedes Mal, wenn ich nach Süddeutschland reiste, blieb ich einige Tage in München, um mich mit Stanisław Kadziewicz zu treffen, einem guten alten Freund von der Harvard University, der dort für das Radio Free Europe tätig war.

Da ich bei diesen Tourneen zu Proben und Konzerten in ganz Deutschland unterwegs war, verbrachte ich jede freie Minute in Sindersfeld bei Joachim, um mich zu erholen und stundenlang auf seinem imposanten Grotrian-Steinweg-Konzertflügel zu üben. Die Belohnung für meine harte Arbeit waren stets unsere abendlichen Gespräche und die langen Spaziergänge mit Hündin Susie nach dem Abendessen. Eines Sommers, nachdem der Ehemann meiner Cousine Marysia aus den USA plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben war, lud Joachim sie und ihre beiden Töchter netterweise ein, die Sommerferien bei ihm in Sindersfeld zu verbringen und zwischen meinen Konzerten Deutschland zu erkunden. Das war für die beiden, damals noch sehr jungen Töchter von Marysia ein wunderbares Erlebnis. Nach ein oder zwei Wochen bei Joachim brachte ich sie dann bis nach Calais, wo sie auf die Fähre nach England stiegen und von dort aus nach Hause, nach New Jersey zurückreisten.

Bei der nächsten Tournee, nach einer Probe in der Marburger Stadthalle, stattete ich meinem Künstlerfreund Bernd wie immer einen kurzen Besuch ab. Nachdem wir einen Tee getrunken und ein wenig geplaudert hatten, begab ich mich zurück zu meinem Auto, das gegenüber seiner Wohnung an der Uferstraße stand. Dabei fiel mir eine Dame mittleren Alters auf, die den Bürgersteig am Flussufer entlanglief. Ihr blondes Haar war präzise geflochten, sie trug einen traditionellen, grünen hessischen Rock, eine üppig bestickte Jacke aus weißer Wolle und in den Händen zwei randvolle Einkaufstaschen. Ich kam auf sie zu und bot ihr an, sie ein Stück mitzunehmen. Anfangs lehnte sie es strikt ab, gab dann schließlich aber doch nach. Als wir bei ihr angekommen waren und ich ihr geholfen hatte, die Einkaufstaschen hochzutragen, fragte sie mich nach meinem Namen. Ich stellte mich also vor und sie sagte prompt, den Namen hätte sie kürzlich irgendwo gelesen. Ich erwiderte: „Möglicherweise auf den Plakaten, die in der ganzen Stadt für mein anstehendes Recital werben.“ Auch sie stellte sich vor: „Mein Name ist Adelheid von Geyr.“ Und fügte hinzu: „Ich liebe Musik und würde Ihr Recital in der Stadthalle sehr gerne besuchen. Ich bringe auch ein paar Bekannte und Verwandte mit.“

Einige Tage später, als ich nach dem Konzert die Marburger Fans empfing, sah ich am Ende der Schlange Frau von Geyr, zufrieden lächelnd, umgeben von einer Gruppe Begleiter:innen unterschiedlichen Alters. Die Älteste unter ihnen war ihre zierliche Schwiegermutter, die sich mir als Ursula Geyr von Scheppenburg, Freiin von Rheinbaben vorstellte. Im Gespräch erwähnte sie recht bald, dass sie viele, viele Jahre zuvor mit einem Oberst Michał Żebrowski befreundet war, der damals in einem benachbarten Gutshof im heutigen Nordpolen wohnte. Sie pflegten sich zwischendurch zum Bridge zu treffen, mal bei ihr zu Hause, mal bei ihm. „Ist das zufällig ein Verwandter von Ihnen?“, fragte sie schnell. Tatsächlich, Michał Żebrowski war der jüngere Bruder meines Großvaters, den ich leider nie kennenlernen durfte, da er 1949 nach der Rückkehr aus einem Kriegsgefangenenlager in Deutschland verstorben war.

Seither lud mich Frau von Geyr des Öfteren zu einem Sonntagstee in ihre äußerst geschmackvolle, im Biedermeierstil eingerichtete Marburger Wohnung ein, die voller alter Gemälde, Grafiken und anderer wunderschöner Kunstgegenstände war. Ihre adeligen Bekannten und Verwandten versammelten sich bei diesem Anlass, um gemeinsam im Wechsel Gedichte der deutschen sowie der französischen Romantik vorzulesen. Anschließend trank man Tee und ließ sich die breite Auswahl an Kuchen schmecken, die auf stilvollen Porzellantellern, auf gemangelten Leinentüchern dargereicht wurden. Der Wind streichelte sanft die Musselinvorhänge in den halboffenen Fenstern; der sonnenverwöhnte Garten im Schatten des alten Kirschbaumes bereitete den hypnotisierenden Versen, die sacht durch Frau von Geyrs Salon flossen, die perfekte Kulisse. An diesen magischen Sonntagnachmittagen saßen die Gäste wie gebannt da und ließen sich von dem zarten Rhythmus der phantasieanregenden Gedichte in eine vergangene Zeit zurückversetzen.

Meine Deutschlandreisen in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren ermöglichten es mir, das gesamte Klavierrepertoire auszuprobieren, das ich mir während meines jahrelangen Studiums in Polen, Frankreich und den USA angeeignet hatte. Irgendwann beschloss ich, zu den „Miroirs“ von Ravel zurückzukehren, einem Set aus fünf Klavierstücken, die ich etwa 15 Jahre zuvor bei meinem Bachelorkonzert an der New England Conservatory of Music in Boston gespielt hatte. Da die „Miroirs“ vom deutschen Publikum (und auch von der örtlichen Presse) sehr positiv aufgenommen wurden, entschied ich mich, dieses relativ selten dargebotene Set aufzunehmen und es mit Fragmenten von Prokofjews Suite „Romeo und Julia“ zu kombinieren. Nachdem diese Entscheidung gefallen war, fand Joachim ganz schnell die Festeburgkirche bei Frankfurt, ein modernes Kirchengebäude mit wunderbarer Akustik und einem prachtvollen Konzertflügel von Steinway. Joachim traf alle nötigen Vorbereitungen und engagierte den erfahrenen, hervorragenden Tontechniker Wilfried Zahn. Der Sound auf diesem Album, das 1992 von Apollo Records in Deutschland herausgegeben wurde, war so ausgezeichnet, dass die Analogue Audio Association bald um eine Lizenz ersuchte, um die Aufnahme als hochwertige LP zu veröffentlichen, was auch im Jahr darauf in Deutschland geschah.

Mein nächstes Aufnahmeprojekt, das ebenfalls von Joachim Kramer betreut und von Wilfried Zahn arrangiert wurde, erwies sich als sehr abenteuerlich. Diesmal fand Joachim in Leipzig eine bezaubernde Kirche aus dem späten 19. Jahrhundert, die Paul-Gerhardt-Kirche, die zwar ein wunderbares Tonnengewölbe und eine tolle Akustik hatte, aber – kein Klavier! Nach unzähligen Anfragen und schwierigen Verhandlungen konnten wir für das Projekt letztendlich einen hervorragenden Steinway-Konzertflügel vom legendären Kreuzchor in Dresden ausleihen. Es war August 1994. Leipzig, Dresden und der Rest der früheren DDR waren erst seit wenigen Jahren wieder mit der Bundesrepublik vereint. Die Fahrt von Sindersfeld in den Osten mit Joachim war ebenso aufregend wie anstrengend. Sobald wir die ehemalige innerdeutsche Grenze überschritten hatten, wurden die Straßen holprig, die Straßenbeschilderung war kaum vorhanden (und wenn, dann oft irreführend) und der Zustand der gesamten Infrastruktur zeugte von jahrelanger Vernachlässigung. Wir entschieden uns für eine hübsche Pension am Stadtrand von Leipzig und ersparten uns damit den Lärm der unzähligen, über das gesamte Stadtzentrum verteilten Baustellen. Viele scheinbar verlassene Häuser wurden gerade entweder abgerissen oder kernsaniert. Man konnte sehen, wie die Stadt der stolzen musikalischen Tradition langsam zu altem Glanz zurückfand – und doch wurde einem gleichzeitig klar, wie viel noch zu tun blieb. Das Album, das ich in der Leipziger Paul-Gerhardt-Kirche aufnahm, erneut mit Wilfried Zahn als Tontechniker, enthielt die „Sinfonischen Etüden“ Op. 13 und die „Waldszenen“ Op. 82 von Robert Schumann. Diesmal blieb die Aufnahme jedoch, aufgrund diverser Komplikationen und eines Leitungswechsels bei den Apollo Records, ganze 30 Jahre unveröffentlicht liegen – bis der Verband Polnischer Kammermusiker (Stowarzyszenie Polskich Muzyków Kameralnych) und sein energischer, tüchtiger Vorstand Grzegorz Mania beschlossen, das längst vergessene Projekt 2024 wieder zum Leben zu erwecken und es beim eigenen Label zu veröffentlichen.

Obwohl ich meine Deutschlandtourneen aufgrund meines Umzugs nach Los Angeles und neuer beruflicher Verpflichtungen Mitte der 1990er Jahre aufgeben musste, blieben meine engen Verbindungen zu Deutschland nicht nur bestehen, sie erreichten eine ganz neue Ebene und weiteten sich sogar auf Bereiche aus, die nichts mit der Musik zu tun hatten.

Ungefähr zu dieser Zeit fing ich an, Kontakte zur Filmszene zu knüpfen. Durch einen guten Freund, den polnischen Kultregisseur Jerzy Skolimowski, lernte ich Marek Żydowicz kennen, den Direktor des polnischen Filmfestivals CAMERIMAGE. Zum ersten Mal fand CAMERIMAGE Anfang der 1990er Jahre in Toruń statt, im Jahre 2000 zog es um nach Łódź. In langen, nächtlichen Gesprächen in Los Angeles überzeugte Marek mich davon, dass ich ihn – und somit auch das Festival – als Bindeglied zur Hollywood-Filmwelt unterstützen könnte. Er lud mich zur ersten Ausgabe des CAMERIMAGE in Łódź ein und der Rest, wie es so schön heißt, ist Geschichte… Bald darauf war ich festes Mitglied im Organisationsteam des Festivals. Ich beaufsichtigte die Festivaljury und erstellte eine Reihe von Erinnerungsalben zu Ehren der für ihr Lebenswerk ausgezeichneten Preisträger:innen. Diese beiden Aufgaben – die Aufsicht über die Jury und das Verfassen eines neuen Buches für jede Ausgabe des Festivals – beschreiben meine Pflichten und mein Engagement bei diesem Projekt in den letzten 25 Jahren ganz gut.

So lernte ich auch kurz nacheinander zwei ausgezeichnete deutsche Kameramänner, Karl Prümm und Wolfgang Treu kennen, die über viele Jahre hinweg Mitglieder in diversen Jurys beim CAMERIMAGE waren und mit der Zeit zu engen, geschätzten Freunden wurden. Auch der deutsche Kultregisseur Volker Schlöndorff, der zu den ersten Förder:innen des Festivals gehörte, wurde mir ein lieber Freund. Ich hatte sogar die Ehre, 2009 ein Buch über ihn zu verfassen, als er beim CAMERIMAGE eine Auszeichnung erhielt. Im Jahr darauf freundete ich mich mit einem weiteren legendären deutschen Kameramann, Michael Ballhaus, an. Auch über ihn durfte ich ein Buch schreiben, als er 2010 den Preis für sein Lebenswerk erhielt. Das Buch des Jahres 2021 war wiederum dem Kameramann Jost Vacano gewidmet, einem weiteren deutschen Freund, den ich seit über 20 Jahren kannte. Auch er wurde beim CAMERIMAGE für sein Lebenswerk (u. a. die Aufnahmen zu Wolfgang Petersens Kultfilm „Das Boot“) geehrt.

Außer den großen Stars des zeitgenössischen deutschen Films hatte ich das Vergnügen, führende Persönlichkeiten der Filmindustrie kennenzulernen, Vertreter:innen von Unternehmen wie ARRI, Zeiss und Hawk. Sie zeigten sich allesamt begeistert davon, dass wir uns auf Deutsch unterhalten konnten (das Vermächtnis der Gouvernante, die ich als Kind hatte) und dass ich nur nebenbei mit dem Filmgeschäft zu tun hatte, da meine berufliche Laufbahn weiterhin vorrangig der Musik zugewandt war.

Dieser musikalische Hintergrund faszinierte Prof. Dr. Karl Prümm und veranlasste ihn, mich zum Marburger Kamerapreis-Festival einzuladen. 2007 nahm ich als Ehrengast daran teil und gab ein Solokonzert, das u. a. einige der bekanntesten Melodien aus Hollywood-Filmen beinhaltete. Der Auftritt fand in der geschichtsträchtigen Aula der Universität Marburg statt – dem Ort, an dem die wohl bekannteste Debatte zwischen Martin Luther und Ulrich Zwingli stattgefunden hatte. Zum Konzert kamen nicht nur begeisterte Kinogänger:innen, sondern auch fast alle meine Freund:innen aus der Umgebung, darunter Joachim Kramer, Wolfgang Jungraithmayr samt Familie, Bernd Mlodoch, Frau von Geyr mit Bekannten und Verwandten und viele mehr. Niemals werde ich die verblüfften Gesichter der Mitarbeiter:innen der Marburger Stadtverwaltung und meiner filmschaffenden Bekannten vergessen, als ich sie dem doch sehr eklektischen Kreis meiner künstlerischen, musikalischen und adeligen Freund:innen aus Marburg vorstellte. Genau in diesem Moment schloss sich der Kreis meiner Verbindungen zu Deutschland: Die beiden Welten, die der Musik und die des Films, fanden in meiner Person einen gemeinsamen Nenner. Dr. Prümm war von dem Ergebnis ebenso begeistert wie ich. Meine Freund:innen hingegen zeigten sich genauso erstaunt wie die anderen Anwesenden auch, die in mir immer nur entweder einen Musiker oder ein Mitglied des Hollywood-Establishments sahen. 

Und obwohl meine Besuche in Deutschland in den letzten Jahren seltener geworden sind, bleibe ich immer noch in Kontakt mit meinen Bekannten, die dort bis heute leben. Ich kann es auf jeden Fall kaum erwarten, wieder hinzufahren, den Kontakt zu meinen deutschen Freund:innen aufzunehmen, Zeit mit ihnen zu verbringen und wieder mal in Erinnerungen an die gemeinsamen Abenteuer und Entdeckungen der letzten 40 Jahre zu schwelgen.

 

Marek Żebrowski, Oktober 2024

 

Mediathek
  • Marek Żebrowski in Sindersfeld

    1987
  • Ravel, Miroirs – Prokofiev, Romeo & Juliet (Marek Zebrowski, piano)

    Analogue Audio Association 1993, LP / Edition Phönix (Apollo Records 1992, CD), rec. in Frankfurt/M.
  • Bernd Mlodoch, Stöcke

    1998, eine Graphik aus der Sammlung Żebrowski
  • Robert Schumann: Sinfonische Etüden, Op. 13 & Waldszenen, Op. 82 (Marek Żebrowski, piano)

    SPMK 2024, rec. August 1994, Paul-Gerhardt-Kirche, Leipzig
  • Bernd Mlodoch

    Sindersfeld, 2007
  • Polish Night Music, Marek Zebrowski & David Lynch

    CD 2007, LP 2015
  • David Lynch & Marek Zebrowski – Polish Night Music

    Live in Paris, 2007 (Fondation Cartier pour l’Art Contemporain)
  • Presse-Spiegel, 1987–1990

    Reaktionen auf Marek Żebrowskis Auftritte in Deutschland
  • Marek Żebrowski (l.) mit Michael Cimino (2.v.l.)

    Łódź, 2001
  • Adelheid von Geyr

    Marburg, 2014
  • Marek Żebrowski (3.v.r) im Haus von Adelheid von Geyr (2.v.r.)

    Marburg, 2014