Marek Żebrowski: Mein deutsches Abenteuer
Mein deutsches Abenteuer begann irgendwann Anfang der 1980er Jahre in Boston, Massachusetts. Ich hatte das New England Conservatory of Music absolviert und wohnte weiterhin an der Ostküste der USA. Neben meinen Auftritten in New England hielt ich Vorlesungen am MIT sowie an der University of Massachusetts.
Es war eine kalte Nacht in Boston, als ich mich zu einem Konzert meines Freundes Krystian Zimerman begab. Nachdem ich mich hinter den Kulissen kurz mit ihm unterhalten hatte, kam ein junger Pole strahlend auf mich zu und stellte sich vor. Er hieß Waldemar Radacz. Er hatte mein Gespräch mit Krystian mitgehört und sagte, er wohne in Deutschland, arbeite als Pastor in Kassel und veranstalte dort manchmal Konzerte. Ich glaube, dass ich bereits am selben Abend vorschlug, wir sollten uns vor seiner Abreise aus Boston noch einmal treffen. Waldemar sagte zu. Er erwähnte zudem, dass er mehrere Werke eines seiner deutschen Freunde, Bernd Mlodoch mitgebracht habe. Schließlich kaufte ich ihm einige der kleinen, handkolorierten Grafiken ab.
Im Laufe der Jahre sollte sich herausstellen, dass diese zufällige Bekanntschaft mehrere Begegnungen mit faszinierenden Menschen in Deutschland nach sich zog – Menschen, von denen viele zu engen Freund:innen und Weggefährt:innen wurden. Nachdem wir eine Zeitlang Briefe ausgetauscht hatten – per Luftpost, denn Emails waren noch nicht so üblich – kam ich ein oder zwei Jahre später, es war ein sehr heißer Juni, nach Deutschland. Waldemar hatte für mich ein paar Soloauftritte arrangiert. Er wohnte in Kassel und stellte mich nahezu sofort seiner Nachbarin Frau Korte vor. Sie war eine liebenswerte, hilfsbereite Dame mittleren Alters und liebte es, ihren Nachbarn und seinen neuen polnischen Freund mit frischen Erdbeeren und anderen Naschereien zu versorgen.
Meine Recitals in Kassel und insbesondere in Marburg wurden gut besucht und auch die Pressekritiken fielen positiv aus. Nach dem Konzert in Marburg hatte ich endlich die Gelegenheit, Bernd Mlodoch persönlich kennenzulernen und ihm mitzuteilen, dass seine Werke die Wände meiner Wohnung in Boston zieren. Sichtlich erfreut lud mich Bernd in sein Atelier an der üppig von Bäumen gesäumten Uferstraße in Marburg ein. Dort durfte ich sein umfangreiches künstlerisches Portfolio bestaunen sowie eine Druckwerkstatt, die eins der vier prall gefüllten Zimmer in seiner Wohnung vollständig einnahm.
Ein weiterer langjähriger Freund, den ich nach dem Konzert in Marburg kennenlernen durfte, war Joachim Kramer, ein in der Umgebung bekannter und angesehener Klavierlehrer. Er lud mich ein, ihn in Sindersfeld zu besuchen, einem kleinen, beschaulichen Dörfchen, das in ca. 20 km Entfernung von Marburg lag. Joachim bewohnte ein großes Haus am Dorfrand, dessen sämtliche Fenster und Terrassen eine pittoreske Aussicht auf die hügelige Landschaft boten, mit Wäldern und Rapsfeldern, soweit das Auge reicht.
Joachim versprach nicht nur, dass er mir helfen würde, einige weitere Konzerte zu organisieren; er bot mir sogar an, kostenfrei in seinem Haus zu wohnen, wann immer ich es bräuchte. Da in seinem Wohnzimmer ein Konzertflügel stand und er ausdrücklich gesagt hatte, ich dürfe diesen jederzeit benutzen, wenn er bei seinen Klavierschüler:innen sei, konnte ich diese Einladung nicht ablehnen. Im Gegenzug empfing ich Joachim oft mit einem selbstgekochten Abendessen, als er vom Unterricht wiederkam. Wir setzten uns ins Esszimmer oder auf die Terrasse und genossen die langen, sommerlichen Sonnenuntergänge, von nichts weiter als Vogelgesang gestört. Vor Einbruch der Dunkelheit pflegten wir auch, mit Joachims kleiner Hündin Susie lange Spaziergänge durch die Felder zu unternehmen. Sie liebte diese Ausflüge und reagierte immer sofort auf das Wort „spazieren“: Sie wuselte vor Freude wie verrückt herum und rannte wie aus der Pistole geschossen aus dem Haus, sobald die Tür geöffnet wurde. Eine weitere Freundin, der ich damals begegnete, war Susanne – Waldemars liebenswerte und fürsorgliche Partnerin. Dank ihrer Beziehungen konnte sie für mich Auftritte in dem Schloss auf dem Hügel im nahegelegenen Kurort Bad Wildungen organisieren.