Kollegialität und Solidarität bei Opel in Bochum. Erinnerungen von Bochumer Opelanern mit transnationalem Hintergrund
Aufgefallen ist Andreas auch, dass im Opel-Werk in Gliwice das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer*innen deutlich niedriger gewesen sei als das der Opelaner*innen in Bochum. Außerdem sei diesen auch deutlich mehr und körperlich anstrengendere Arbeit abverlangt worden. Der internationale Austausch ist den daran beteiligen Befragten insgesamt sehr positiv im Gedächtnis geblieben. Auch seien sporadisch Kontaktdaten zwischen polnischen und deutschen Teilnehmenden ausgetauscht worden. Heute – sieben Jahre nach der Werksschließung in Bochum – haben die Befragten jedoch keinen Kontakt mehr zu polnischen Teilnehmenden.
Dabei ist gerade die Zeit vor der Schließung von Opel in Bochum den befragten Opelanern eindrücklich in Erinnerung geblieben. Einerseits wird an den engen Zusammenhalt der Bochumer Opelaner*innen erinnert, andererseits auch die Enttäuschung geäußert, dass es im 10-jährigen Abwehrkampf wenig, bis keine internationale Solidarität gab. Insbesondere die Kolleg*innen aus Polen vom Opel-Standort Gliwice haben sich in dieser Zeit nach Aussage der interviewten Bochumer Opelaner*innen über formale Solidaritätsschreiben hinaus, nicht an die Kolleg*innen aus Bochum gewandt. Es ist vielmehr der Eindruck entstanden, dass gerade in dieser Zeit der tiefen Krise des General Motor-Konzerns jeder Standort und auch jedes Werk mit seinen Beschäftigten zunächst an sich selbst und den eigenen Erhalt gedacht hat. Dies sei jedoch nicht nur beim polnischen Standort, sondern auch an anderen, sowohl nationalen als auch an anderen europäischen Standorten so gewesen:
„Die waren froh, dass wir zugemacht haben, denn das sicherte ihre Überlebenschancen. Ein Werk wurde gegen das andere ausgespielt. Zwischenmenschlich haben sie vielleicht gedacht ‚schade‘, aber insgeheim waren sie froh, dass hier zu ist, denn so können sie da weiterproduzieren. In England waren sie froh, in Rüsselsheim oder wo auch immer. Jeder guckt zuerst auf sich, dass es ihm gut geht. Das eigene Werk ist wichtig, dass das erhalten bleibt.“ (Andreas Gilner)
Andreas Gilner gibt hier keineswegs eine Einzelmeinung wieder:
„Also ich würde sagen, es gab gar keine Solidarität. Man hat immer irgendwas bekundet, aber man weiß ganz genau, dass jeder Standort für sich gekämpft hat. Und egal was man bekundet hat, im Grunde ist einem der eigene Hintern am nächsten.“ (Johannes Nowak)
Johannes Nowak kannte sogar den zweiten Betriebsratsvorsitzenden des Opel-Werkes in Gliwice persönlich und hat sich in der Zeit der harten Auseinandersetzungen um die Schließung des Bochumer Werks mit ihm über mögliche Unterstützung durch die Belegschaft in Gliwice ausgetauscht. Von diesem habe er sich durchaus persönlich unterstützt gefühlt, doch trotzdem resümiert er im Großen und Ganzen:
„So richtig Solidarität hat man eigentlich von keinem Werk erfahren. Das gab es auch nicht von der Seite der Österreicher oder Rüsselsheimer. Man hat zwar irgendwelche Gremien gegründet, aber am Ende geht es ums Überleben des eigenen Werkes. Jeder möchte seine Arbeit behalten und dass es weitergeht.“
Die Erwartung, dass sich auf Grund einer gemeinsamen deutsch-polnischen Herkunft eine transnationale Solidarität zwischen Beschäftigtengruppen der Opel-Werke in Bochum und Gliwice hätte herausbilden können, wich mit den leidvollen Erfahrungen der offenen Standortkonkurrenz zwischen europäischen Opel-Standorten, die schließlich die zaghaften Ansätze einer grenzüberschreitenden, europäischen Zusammenarbeit, die im Jahr 2007 begannen, untergruben:
„Es ist auch verständlich. Die Kollegen in Gliwice wurden über die Jahrzehnte immer gepeinigt. Uns wurde vorgehalten, wie billig die in Gliwice und wie teuer wir hier in Bochum sind und den Kollegen in Gliwice wurde vorgehalten, wie billig die in der Ukraine sind. Das ist eine Spirale. Also wenn es um die eigene Zukunft geht, verstehe ich die einzelnen Werke.“ (Eduard Popanda)