Kollegialität und Solidarität bei Opel in Bochum. Erinnerungen von Bochumer Opelanern mit transnationalem Hintergrund

Verwaltungsgebäude Werk I, Bochum
Verwaltungsgebäude Werk I, Bochum

Geopolitische Konflikte im 19. Jahrhundert, zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert und schließlich der Zerfall der kommunistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa zum Ende der 1980er Jahre sind die Ursachen dafür, dass Familien durch immer neue Grenzziehungen zwischen Polen und Deutschland über viele Generationen hinweg unterschiedliche Nationalitäten als Deutsche, als Polen oder als Tschechen zugeschrieben wurden. Diese Zuschreibungen vollzogen sich, obwohl die Mehrheit der Familienmitglieder ihren Heimatort in der Regel selten verlassen hatte, durch banale Grenzverschiebungen. Währenddessen migrierten Generationen von vornehmlich männlichen Haushaltsmitgliedern aus den Grenzregionen in das – seit dem 19. Jahrhundert durch die Industrialisierung – rasch wachsende Ruhrgebiet.

So ereignete es sich, dass der Urgroßvater als Deutscher aus Oberschlesien vor dem Ersten Weltkrieg temporär in das Ruhrgebiet – also innerhalb des Deutschen Reiches – hin- und zurückwanderte, um in den Wintermonaten im Bergbau und während des Sommers wieder auf den heimischen Feldern zu arbeiten. Der Großvater arbeitete in der Zeit der Weimarer Republik dann als Pole in den Unternehmen der Montanwirtschaft und der Vater bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dann wiederum als Deutscher – neben polnischen und osteuropäischen Zwangsarbeitern – auf den Schachtanlagen und in den Rüstungsschmieden des Ruhrgebietes. Der Sohn nahm schließlich in den 1960er Jahren als polnischer Arbeitsmigrant eine Beschäftigung bei Opel in Bochum auf und führte schließlich die Familie aus Oberschlesien in Bochum zusammen. Seine im Ruhrgebiet geborenen Kinder schafften den Aufstieg durch Bildung, machten Abitur und studierten an der Ruhr-Universität, gründeten Familien, arbeiten heute als Akademiker in der Main-Rhein-Region und verreisen in den Ferien allesamt immer wieder gern nach Schlesien. Bis zum Abschluss des Oder-Neiße-Grenzvertrages im Jahre 1990 stellten Zugewanderte aus Polen, insbesondere aus der Grenzregion des ehemals deutschen Oberschlesiens, die größte Gruppe der Aussiedler im Ruhrgebiet dar. Ihre Lebens- und Arbeitswelten bewegen sich bis heute im transnationalen Raum zwischen der Integration in den deutschen Arbeits- und Lebensalltag, tiefer kultureller Verbundenheit mit der Heimatregion Oberschlesiens und ihrer überwiegenden Sozialisierung in Polen. Ihre Nationalität – ob Deutsche, Deutscher oder Polin, Pole – war über Jahrhunderte lediglich das Ergebnis äußerer Zuschreibungen und ein wechselnder Eintrag in den Passdokumenten. Ihre Identitäten waren vielmehr transnational geprägt.

Dieses Verständnis von transnationalen Räumen und hierin entwickelten Identitäten als ein Bündel von Phänomenen, die aus sozialen Interaktionen über Grenzen von Nationalstaaten hinweg resultieren, ist entscheidend für die Charakterisierung von Mitarbeiter*innen mit grenzüberschreitenden, polnisch-deutschen Wurzeln bei Opel Bochum. Die Opel-Werke selbst stellen sich schließlich als transnationale, soziale Räume dar, die besondere soziale Strukturen der Kollegialität herausbildeten, durchaus Konflikte zwischen unterschiedlichen Beschäftigungsgruppen schufen, aber auch Solidarität zwischen den Kolleginnen und Kollegen im Kontext des Betriebes erzeugten, in dem schließlich die bloße formale Zuschreibung einer nationaler Herkunft gegenüber den alltäglichen Erfahrungen von Kollegialität im gemeinsamen sozialen Raum des Betriebes an Bedeutung verlor.

Die Opel-Werke in Bochum – über 30 Jahre ein attraktiver Arbeitgeber
 

Was für die Urgroßväter- und Großvätergeneration der Arbeitsmigranten aus den heutigen Teilen Polens die guten Einkommensmöglichkeiten im Kohlebergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebietes während der ersten Moderne der Industrialisierung darstellten, waren für die Generation der Spätaussiedler die seit 1962 entstandenen, vielen Tausende von Arbeitsplätzen bei Opel Bochum, einem Ableger des US-amerikanischen General Motors Konzerns, der Opel bereits im Jahr 1929 aufkaufte. Auf dem ersten Höhepunkt der Bergbaukrise zu Beginn der 1960er Jahre angesiedelt, entwickelte sich der bislang einzige Automobilstandort im Ruhrgebiet zu einem besonders attraktiven Arbeitgeber mit über 22.000 Beschäftigten in den 1980er Jahren. Die legendären Modelle dieser Hochphase waren der Kadett, GT, Manta und Ascona, erst später erfolgte der Zafira. Die Ansiedlung von Opel war der Ausgangspunkt der zweiten Moderne Bochums, der weitere bedeutsame Ansiedlungen, wie die Ruhr-Universität und das Ruhr-Park-Einkaufszentrum folgten und nicht nur das Bild, sondern auch das Lebensgefühl in der ehemals von Kohle und Stahl geprägten Stadt veränderten. Einen Arbeitsplatz bei Opel innezuhaben, bedeutete über 30 Jahre bis in die 1990er hinein besonders sichere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Angst um den Arbeitsplatz war in dieser Phase der zweiten Modernisierung Bochums eine Unbekannte. Willi Gröber, Opelaner der ersten Stunde, später Betriebsrat und schließlich Gewerkschaftssekretär bei der Bochumer IG Metall, erinnert: „Man musste schon bei Opel goldene Löffel klauen, um die Arbeit zu verlieren.“ Das Auto wurde zum Sinnbild des Aufschwungs in der Stadt, mit dem die Arbeitsmarktfolgen der Kohlekrise überwunden schienen, es ging für viele Jahrzehnte schwungvoll bergauf oder es war einfach O.K.!

Dieses gute Lebensgefühl auf der Grundlage sicherer Einkommens- und Beschäftigungsverhältnisse änderte sich für die Bochumer Opelaner*innen erst allmählich in den 1990er Jahre. Im Zuge der Herausbildung des einheitlichen europäischen Marktes und des Zerfalls des Eisernen Vorhangs entwickelten die großen deutschen Automobilhersteller, allen voran Volkswagen und Opel, fortan grenzüberschreitende Produktions- und Zuliefernetzwerke, die dem Management ermöglichen sollten Vergleiche der Arbeits- und Produktionskosten zwischen verschiedenen Standorten in Europa anzustellen. Diese betriebswirtschaftlichen Analysen schufen schließlich die Voraussetzungen die Beschäftigten verschiedener Produktionsstandorte gegeneinander auszuspielen.

Für Opel Bochum spielte dabei die Eröffnung des Opel-Werks in Gliwice, dem ehemaligen oberschlesischen Gleiwitz, im Jahre 1998 eine besondere Rolle. Denn in Polen wurde zunächst nur der Opel Astra aus Bochum gebaut, später dann auch der Zafira, womit Kostenvergleiche zwischen beiden Standorten einfacher wurden. Wie in den 1960er Jahren in Bochum, hatte die Ansiedlung von Opel in Schlesien eine sehr ähnliche wirtschaftliche Bedeutung für die Menschen als attraktiver Arbeitgeber. Opel hat auch in Polen erheblich zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur positiven Veränderung der industriellen Struktur der Region beigetragen. Für die Beschäftigten bei Opel Bochum leitete der neue Standort in Gliwice jedoch eine – vom europäischen Opel-Management auch so beabsichtigte – Phase der offenen Konkurrenz um den Erhalt von Arbeitsplätzen und der Sicherung von Einkommensmöglichkeiten ein, die zur Verlagerung von Produktionskapazitäten innerhalb Europas und schließlich zur Schließung von Opel Bochum im Jahr 2014 – nach 52 Jahren – mitbeigetragen hat. Die in die Jahre gekommenen Bochumer Opel-Werke waren dem innereuropäischen Konkurrenzkampf mit vergleichsweise jungen Standorten und ihren schlanken, dem japanischen Toyota-System entlehnten Produktionskonzepten schließlich unterlegen.

Ehemalige Opelaner mit deutsch-polnischen Hintergrund erinnern sich
 

Lothar Degner kam 1965 im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie aus Oberschlesien nach Bochum. Geboren wurde er in Bytom, in der Nähe von Gliwice. Zwei Brüder seines Vaters wohnten zu diesem Zeitpunkt bereits in Bochum und seine Eltern hatten schon lange den Wunsch nach Deutschland zurückzukehren. Als Oberschlesier mit deutscher Abstammung haben sie sich in Polen nicht vollständig integriert gefühlt. Zudem führten die in Deutschland als besser erwarteten wirtschaftlichen Bedingungen zu der Entscheidung nach Bochum zu ziehen. Lothar Degners Onkel arbeitete bei Opel, erzählte seinem Neffen oft von der finanziell lukrativen Arbeit im Automobilwerk und unterstrich dies, indem er ihm seine Lohnabrechnungen zeigte. Doch wollte Lothar Degner zunächst, trotz deutlichen finanziellen Vorteilen zu seiner damaligen Anstellung, nicht bei Opel in Bochum arbeiten. Er konnte sich nicht vorstellen jemals „so eine stupide Arbeit wie Bandarbeit machen“ zu können. Nach einiger Zeit ließ er sich schließlich doch von seiner Familie überzeugen und begann als Montagearbeiter am Fließband bei Opel in Bochum zu arbeiten. Später wechselte er in eine andere Abteilung und wurde auch Betriebsrat.

Andreas Gilner und auch Eduard Popanda zogen mit ihren Familien im Jahr 1971 nach Bochum. Andreas Gilner war zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre alt. Geboren wurde er in Gliwice. Der Grund für den Umzug nach Bochum war die Familienzusammenführung, da bereits die Großmutter im Ruhrgebiert wohnte. Sein Vater war seit 1971 bei Opel beschäftigt und brachte auch Andreas Gilner zu Opel in Bochum. Dort arbeitete er von 1984 bis zur Werksschließung im Jahr 2014 als Produktionsfacharbeiter.

Eduard Popanda wurde in Oppeln geboren und kam im Alter von fünf Jahren nach Deutschland. Auch er hatte Verwandte, die bereits in Bochum wohnten. Für seine Familie war ein zusätzlicher Grund für die Migration die Zusage für seinen Vater bei Opel. So führte auch Eduard Popanda der transnationale familiäre Hintergrund zu Opel Bochum. Nicht nur sein Vater, sondern auch sein Onkel und sein Cousin waren bei Opel beschäftigt. Vor seiner Anstellung bei Opel arbeitete er als Montagearbeiter und hat dort mehr verdient als später bei Opel. Auch Eduard Popanda konnte sich zunächst nicht vorstellen bei Opel am Band zu arbeiten. Doch familiäre Umstände, so unter anderem die Geburt seines Kindes, führten dazu, dass er sich schließlich doch für eine Anstellung bei Opel in Bochum entschied. 1988 begann er in Werk I als Fertigungsfacharbeiter im Presswerk zu arbeiten. Nach der Schließung von Werk I wechselte er ins ehemalige Werk III und arbeitet dort aktuell im Jahr 2021 als Kommissionierer. Dies sei eine große Umstellung für ihn gewesen, da sich sein Tätigkeitsbereich stark verändert habe:

„Das, was ich früher produziert habe, verpacke ich jetzt.“

Johannes Nowak zog mit seiner Familie 1978 nach Bochum und war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Geboren wurde er in der Nähe von Gliwice. Die meisten seiner näheren Verwandten wohnten bereits in Bochum und Umgebung, sodass auch hier die Familienzusammenführung als Grund für den Umzug nach Bochum angesehen werden kann. Ein Jahr später begann er als Maschinenführer bei Opel in Bochum zu arbeiten und blieb dort bis zur Schließung im Werk II im Jahr 2013 angestellt. Auch aus seiner Familie arbeiteten bereits der Vater und der Onkel bei Opel. Opel als Arbeitgeber war für Johannes Nowak auch eine Frage der sozialen Sicherheit. Seine Erwartung war damals noch:

„Bei Opel zu arbeiten war ein Job bis zur Rente. Das war viel Wert, bei einem großen Konzern zu arbeiten. Und keiner hat damit gerechnet, dass Opel irgendwann in Bochum zumacht.“

Opel Bochum: „Arbeiten bis zur Rente“
 

Alle Befragten haben in der Rückschau überwiegend positive Erinnerungen an ihre Zeit im Bochumer Automobilwerk. Positiv werden insbesondere immer wieder zwei Aspekte erinnert. Zuallererst werden die guten und sicheren Beschäftigungsbedingungen bei Opel in Bochum genannt, d. h. die überdurchschnittlich gute Bezahlung, die den Opelaner*innen und ihren Familien ein auskömmliches und vergleichsweise sorgenfreies Leben ermöglichte. Als weiterer wesentlicher Aspekt wird vom Zusammenhalt unter den Opel-Kolleg*innen im Betrieb unabhängig von der nationalen Herkunft berichtet. Es wurde betont, dass „die Bochumer Opelaner“ auch und gerade in den kritischen Zeiten nach den ersten Schließungsandrohungen im Jahr 2004 in den letzten 10 Jahren überwiegend zusammengehalten haben. Die Solidarität und die Widerstandskraft der Opelaner*innen im Betrieb waren unabhängig von der nationalen Herkunft.

Negative Erinnerungen an die Zeit bei Opel beziehen sich auf die typischen Arbeitsbedingungen in der Massenproduktion am Fließband, „die Arbeit nach der Stoppuhr“. Die „Arbeit an der Kette“ wurde als sehr monoton und wenig erfüllend empfunden, da die Beschäftigten am Fließband eine Tätigkeit innerhalb einer immer knapper gefassten Zeitspanne immer wieder gleich zu erledigen hatten. Um für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzutreten haben sich einige der Befragten im Betrieb auch politisch engagiert und waren entweder gewerkschaftlicher Vertrauensmann oder im Betriebsrat, um die Interessen der Opelaner*innen gegenüber dem Management zu vertreten.

Ob im Betriebsratsgremium oder im Betrieb, von der besonderen Kollegialität unter den Bochumer Opelaner*innen ist unabhängig von ihrer nationalen Herkunft berichtet worden. Zwar hatten Kolleg*innen, die die gleiche nationale Herkunft aus Oberschlesien und polnisch als Muttersprache hatten, einen direkten Anknüpfungspunkt. Die gemeinsame Herkunft aus Oberschlesien förderte allenfalls den Austausch über das Alltagsleben untereinander. Doch Unterschiede zwischen Kolleg*innen im Betrieb auf Grund verschiedener nationaler Herkunft sind nicht gemacht worden, wie es auch aus der Arbeit der Kumpel im Bergbau bekannt war:

„Man wurde in die Abteilung integriert. Egal ob Spanier, Italiener, Türke, oder egal welche Nation – wir waren dann alle Kollegen. Das war auch ein bisschen so die Zechenmentalität. Man war aufeinander angewiesen, damit das einigermaßen funktioniert.“ (Johannes Nowak)

Johannes Nowak berichtet außerdem, dass auch bei der Betriebsratswahl der nationale Hintergrund der Kandidat*innen keine Rolle gespielt habe:

„Ein deutscher Kollege hat auch einen türkischen gewählt, weil man sich bei ihm vielleicht besser aufgehoben gefühlt hat.“

Eduard Popanda wirft dabei einen differenzierten Blick auf die zwei verschiedenen Opelwerke I, die Massenproduktionsstätten in Laer und Werk III, das Ersatzteillager in Langendreer, in denen er tätig war und heute noch ist:

„Die Solidarität in Werk I war erheblich höher, egal ob du Pole, Deutscher, oder Italiener, Türke warst. Ja, du hast da auch Kollegen gehabt, die weitergearbeitet haben, obwohl Warnstreik war, aber sehr wenige. Wenn man in Werk III eine Aktion startet, ist es schon extrem schwierig die Kollegen zum Mitmachen zu bewegen.“

Auf Grund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in der Gruppe am Fließband oder vereinzelt im Lager erlebte Eduard Popanda in Werk I und Werk III deutliche Unterschiede in der Kollegialität:

„In Werk I ist es kaum bis gar nicht zu Konflikten gekommen. In Werk III sind mehr Konflikte zu beobachten, als in Werk I.“

Jedoch an Konflikte unter den Opelaner*innen aufgrund unterschiedlicher nationaler Herkünfte wurde nicht erinnert. Es sei gelegentlich wegen kultureller Unterschiede zu kleineren Meinungsverschiedenheiten gekommen, doch generell wurde auch hier nicht nach Nationalität differenziert. Man habe sowohl sympathische Kolleg*innen deutscher, polnischer und auch anderer Nationalität gehabt, als auch weniger sympathische:

„Entweder man hat sich verstanden oder man hat sich nicht verstanden. Das hatte aber nichts damit zu tun, woher man kam.“ (Andreas Gilner)

Andreas Gilner vergleicht das Leben im Betrieb mit dem Leben in einer Familie:

„Wenn man viele Jahre zusammenhockt und es viele Leute sind, dann kommt es ab und zu mal zu Konflikten. Das ist wie in einer Familie. Aber es ist nie ausgeartet. Man hat sich beruhigt, die Hand gegeben und es wieder vergessen.“

Gemeinsame Freizeitgestaltungen der befragten ehemaligen Opelaner mit anderen Opel-Mitarbeiter*innen mit polnisch-deutschen Hintergrund über die Arbeit im Betrieb hinaus, blieben nur bei wenigen in Erinnerung:

„Man kam ja aus den umliegenden Ortschaften, da begegnete man sich in den jeweiligen Stadtteilen. Man spielte zusammen Fußball im Verein, man sah sich in der Kirche, man sah sich auch so bei Ausflügen, egal welcher Herkunft.“ (Johannes Nowak)

Auch im Betrieb wurden Fußballmannschaften gegründet und kleine Meisterschaften zwischen den verschiedenen Abteilungen ausgetragen. Jede und jeder, egal welcher nationaler Herkunft, durfte daran teilnehmen:

„Egal ob man gut oder schlecht war – es ging um den Spaß. Kollegial war das Ganze. Viele konnten gar kein Fußball spielen, aber man hat sich trotzdem getroffen und miteinander gespielt.“

Transnationale Zusammenarbeit mit den polnischen Opel-Kolleg*innen aus Gliwice: „Jeder kämpft für sich allein.“
 

Mit der Öffnung des Opel-Standortes in Gliwice im Jahr 1998 kam es auch allmählich zu Kontakten mit den Opelaner*innen des polnischen Standortes.

„Man hat dort acht Stunden zusammengesessen, da gab es dann professionelle Dolmetscher. Beim Zwischenmenschlichen, als wir getrunken und gegessen haben, da habe ich vermittelt, damit sich alle verstehen konnten. Ich spreche ja polnisch.“ (Andreas Gilner)

Diese grenzüberschreitenden Kontakte zwischen Opelaner*innen aus Bochum und Gliwice wurden im Zusammenhang der forcierten Standortkonkurrenz umso bedeutsamer. Im Jahr 2007 sind gewerkschaftliche Vertrauensleute, Betriebsräte und Vertreter*innen der IG Metall aus Bochum erstmals zum informellen Austausch nach Opel Gliwice geflogen. Genauso wurden auch Vertreter*innen aus Gliwice nach Bochum eingeladen. Dieser Austausch fand Ende des Jahres 2007 unter dem Projektnamen „Arbeitnehmersolidarität von unten“ statt. Es wurden unter anderem Erfahrungen über die Entwicklung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der verschiedenen Standorte ausgetauscht und Unterschiede in den Bereichen Arbeitnehmervertretung und Vergütungssystem erörtert.[1] Das Ziel dieser Zusammenkünfte war ein gegenseitiges Verständnis über die unterschiedlichen Betroffenheiten der Opelaner*innen an verschiedenen Standorten in Bochum und Gliwice zu entwickeln, um der Standortkonkurrenz mit einem Konzept der standortübergreifenden Zusammenarbeit und Solidarität zu begegnen.

Auch einige der befragten Opelaner aus Bochum haben an diesem Austausch teilgenommen und berichteten von einer ganz besonderen Art der Gastfreundschaft der polnischen Kolleg*innen in Gliwice. Es wurde sich sehr um die Gäste aus Bochum bemüht und sie wurden herzlich empfangen.

„Ich war echt erstaunt, was die Kollegen in Polen auf die Beine gestellt haben. Das war wie eine Hochzeitsfeier für 100 Leute. Das war schon erstaunlich.“ (Lothar Degner)

Es wurde zudem davon berichtet, dass während des Austauschs besprochen wurde, wie die sozialen Standards in Bochum und in Gliwice zu bewerten waren, und wie diese miteinander verglichen werden konnten. Dabei ist deutlich geworden, wie viel schlechter die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Gliwice im Vergleich zu Bochum ausgestaltet waren:

„Hier in Bochum hat man viele soziale Standards. Leute mit Einschränkungen müssen keine schweren Arbeiten machen oder sich bücken. Aber in Polen gibt es so was nicht. Wenn einer krank war, der wurde rausgeschmissen. Auch wenn man hier in Bochum am Schluss viel und schnell arbeiten musste, weil viele Leute entlassen wurden, waren die Sozialstandards hier viel besser als damals in Polen.“ (Andreas Gilner)

 

[1] Bauer, Markus: „Arbeitnehmersolidarität von unten“ vom 8. Bis 11. November 2007 in Gleiwitz. Projektinformation. 2008.

Aufgefallen ist Andreas auch, dass im Opel-Werk in Gliwice das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer*innen deutlich niedriger gewesen sei als das der Opelaner*innen in Bochum. Außerdem sei diesen auch deutlich mehr und körperlich anstrengendere Arbeit abverlangt worden. Der internationale Austausch ist den daran beteiligen Befragten insgesamt sehr positiv im Gedächtnis geblieben. Auch seien sporadisch Kontaktdaten zwischen polnischen und deutschen Teilnehmenden ausgetauscht worden. Heute – sieben Jahre nach der Werksschließung in Bochum – haben die Befragten jedoch keinen Kontakt mehr zu polnischen Teilnehmenden.

Dabei ist gerade die Zeit vor der Schließung von Opel in Bochum den befragten Opelanern eindrücklich in Erinnerung geblieben. Einerseits wird an den engen Zusammenhalt der Bochumer Opelaner*innen erinnert, andererseits auch die Enttäuschung geäußert, dass es im 10-jährigen Abwehrkampf wenig, bis keine internationale Solidarität gab. Insbesondere die Kolleg*innen aus Polen vom Opel-Standort Gliwice haben sich in dieser Zeit nach Aussage der interviewten Bochumer Opelaner*innen über formale Solidaritätsschreiben hinaus, nicht an die Kolleg*innen aus Bochum gewandt. Es ist vielmehr der Eindruck entstanden, dass gerade in dieser Zeit der tiefen Krise des General Motor-Konzerns jeder Standort und auch jedes Werk mit seinen Beschäftigten zunächst an sich selbst und den eigenen Erhalt gedacht hat. Dies sei jedoch nicht nur beim polnischen Standort, sondern auch an anderen, sowohl nationalen als auch an anderen europäischen Standorten so gewesen:

„Die waren froh, dass wir zugemacht haben, denn das sicherte ihre Überlebenschancen. Ein Werk wurde gegen das andere ausgespielt. Zwischenmenschlich haben sie vielleicht gedacht ‚schade‘, aber insgeheim waren sie froh, dass hier zu ist, denn so können sie da weiterproduzieren. In England waren sie froh, in Rüsselsheim oder wo auch immer. Jeder guckt zuerst auf sich, dass es ihm gut geht. Das eigene Werk ist wichtig, dass das erhalten bleibt.“ (Andreas Gilner)

Andreas Gilner gibt hier keineswegs eine Einzelmeinung wieder:

„Also ich würde sagen, es gab gar keine Solidarität. Man hat immer irgendwas bekundet, aber man weiß ganz genau, dass jeder Standort für sich gekämpft hat. Und egal was man bekundet hat, im Grunde ist einem der eigene Hintern am nächsten.“ (Johannes Nowak)

Johannes Nowak kannte sogar den zweiten Betriebsratsvorsitzenden des Opel-Werkes in Gliwice persönlich und hat sich in der Zeit der harten Auseinandersetzungen um die Schließung des Bochumer Werks mit ihm über mögliche Unterstützung durch die Belegschaft in Gliwice ausgetauscht. Von diesem habe er sich durchaus persönlich unterstützt gefühlt, doch trotzdem resümiert er im Großen und Ganzen:

„So richtig Solidarität hat man eigentlich von keinem Werk erfahren. Das gab es auch nicht von der Seite der Österreicher oder Rüsselsheimer. Man hat zwar irgendwelche Gremien gegründet, aber am Ende geht es ums Überleben des eigenen Werkes. Jeder möchte seine Arbeit behalten und dass es weitergeht.“

Die Erwartung, dass sich auf Grund einer gemeinsamen deutsch-polnischen Herkunft eine transnationale Solidarität zwischen Beschäftigtengruppen der Opel-Werke in Bochum und Gliwice hätte herausbilden können, wich mit den leidvollen Erfahrungen der offenen Standortkonkurrenz zwischen europäischen Opel-Standorten, die schließlich die zaghaften Ansätze einer grenzüberschreitenden, europäischen Zusammenarbeit, die im Jahr 2007 begannen, untergruben:

„Es ist auch verständlich. Die Kollegen in Gliwice wurden über die Jahrzehnte immer gepeinigt. Uns wurde vorgehalten, wie billig die in Gliwice und wie teuer wir hier in Bochum sind und den Kollegen in Gliwice wurde vorgehalten, wie billig die in der Ukraine sind. Das ist eine Spirale. Also wenn es um die eigene Zukunft geht, verstehe ich die einzelnen Werke.“ (Eduard Popanda)

Fazit

Die Erinnerungen der ehemaligen Bochumer Opelaner mit transnationalen, deutsch-polnischen Wurzeln lassen zwei Schlussfolgerungen zu:

  1. Opel Bochum lässt sich über fünf Jahrzehnte als transnationales, soziales Feld charakterisieren. Die nationale Herkunft der Beschäftigten spielte für die Herausbildung von Zusammenarbeit, Kollegialität und Solidarität unter den vielen Tausenden eine sehr untergeordnete Rolle. Ob Deutscher, Pole, Spanier oder Türke, Christ, Moslem, Frau oder Mann; zuallererst die Arbeitsorganisation in der Massenproduktion an den Fließbändern fügte die Arbeiterinnen und Arbeiter täglich, Tag und Nacht immer wieder zusammen und schuf die Grundlage für kooperative Arbeitszusammenhänge, für das Erleben täglicher Solidarität und für die Konfliktlösung untereinander. Die Organisation des Großbetriebes mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad förderte bis weit in die 1990er Jahre hinein die Gestaltung sehr stabiler Beschäftigungs- und Einkommensbedingungen. Das gemeinsame Ziel der Bochumer Opelaner*innen war es, diese stabilen sozialen Bedingungen für ein möglichst sorgenfreies Leben ihrer Familien und für das Fortkommen ihrer Kinder aufrechtzuerhalten und sich dafür auch betriebs- und gewerkschaftspolitisch zu engagieren. Somit war über fünf Jahrzehnte die Organisation des Großbetriebes Opel für die Beschäftigten als Opelaner*innen wesentlich identitätsstiftender als ihre deutsch-polnisch geprägte Lebensgeschichte.

 

  1. Diese nahezu Bedeutungslosigkeit der nationalen Herkunft der Opelaner*innen für die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurde insbesondere im Kontext der offenen Standortkonkurrenz mit dem neuen Opel-Standort in Gliwice durch die Gespräche mit den Bochumer Opelaner*innen unterstrichen. Währenddessen das Opel-Management mit der Strategie der Standortwettbewerbe („beauty contests“) um Produktionskapazitäten die Beschäftigten der europäischen Standorte gegeneinander ausspielte und die Bochumer Werke seit dem Jahr 2004 mit mehreren Schließungsankündigungen unter Druck setzte, sollte mit dem Projekt „Arbeitnehmersolidarität von unten“ eine Brücke der Solidarität zwischen den Opelaner*innen in Bochum und Gliwice aufgebaut werden. Die mit den gegenseitigen Besuchen im Jahr 2007 verbundene Hoffnung, dass gerade eine gemeinsame oberschlesische Herkunft von Beschäftigten aus den beiden Standorten es erleichtern würde, eine grenzüberschreitende Solidarität herzustellen, wich der Erfahrung, dass jeder Betrieb mit seinen Beschäftigten seinen eigenen Kampf ums Überleben führte, den die Bochumer Beschäftigten im Jahr 2014 verloren. Schließlich ist es allerdings bemerkenswert, dass die Bochumer Opelaner*innen mit oberschlesischer Herkunft nach der Betriebsschließung sogar Verständnis für die Haltung ihrer Kollegen in Gliwice zeigten.

 

Jennifer Müller / Manfred Wannöffel[2], März 2021

 

[2] Jennifer Müller, B.A. in Allgemeiner Rhetorik und Internationale Literaturen; Manfred Wannöffel, Prof. Dr., Hochschullehrer an der Ruhr-Universität Bochum.

Mediathek
  • Werbeanzeige der Adam Opel AG, 1962

    Werbeanzeige der Adam Opel AG, 1962
  • Werbeanzeige der Adam Opel AG

    Werbeanzeige der Adam Opel AG
  • Eröffnung des Ruhr-Parks in Bochum, 1964

    Der Ruhr-Park wurde 1964 in Bochum als damals zweitgrößtes Einkaufszentrum der jungen BRD am Ruhrschnellweg eröffnet.
  • Ruhr-Universität Bochum

    Ruhr-Universität Bochum
  • In der Produktionshalle des Adam Opel AG Werk Bochum

    In der Produktionshalle des Adam Opel AG Werk Bochum.
  • Lothar Degner und seine Kollegen

    Lothar Degner und seine Kollegen (von links nach rechts): Rainer Schikopanski, Klaus Klinger, Horst Gröne und Lothar Degner.
  • Andreas Gilner und seine Kollegen

    Andreas Gilner und seine Kollegen (von links nach rechts): Manfred Hyna, Werner Ushakov und Andreas Gilner.