Helena Bohle-Szacki
Die Wohnung der Eheleute Szacki in Berlin wird zu einer wahren Institution. Künstler, Schriftsteller, Übersetzer und Operntänzer schauen hier vorbei. Es werden Kultursalons organisiert, bei denen Zbigniew Herbert, Ryszard Krynicki, Jacek Bocheński, Witold Wirpsza und Adam Zgajewski zu Gast sind. Auch Władysław Bartoszewski, Sławomir Mrożek und Jerzy Lipmann lassen sich hier sehen. Aber auch mittellose Emigranten aus Ostmitteleuropa sowie manche, ein bescheidenes Leben führende, Stipendiaten aus Polen können damit rechnen, bei den Eheleuten Szacki Zuflucht zu finden – kaum jemand aus dem kommunistischen Ostblock kann sich damals ein Zimmer in einem Berliner Hotel leisten. Mit der Zeit haftet der Wohnung die Bezeichnung „Szacki-Hotel“ an.
Als 1985 in London der II. Kongress der Polnischen Kultur im Exil stattfindet, entsteht während eines Empfanges bei den Eheleuten Szacki die Idee, in ihrer Wohnung einen privaten Berliner Kongress zu veranstalten, der sich regelmäßig zu Beratungen zusammenfinden soll. Weder die Teilnehmer des Treffens noch die Gastgeber müssen zur Umsetzung der Idee überredet werden. Der Kultursalon etabliert sich problemlos und schnell. Es gilt das Prinzip der Offenheit gegenüber allen.
Helena Bohle-Szacki ist nicht nur zuhause kulturell aktiv. Zwischen 1986 und 1999 leitet sie die am polnischen Klub der Katholischen Intelligenz in Berlin bestehende Galerie. Diese Einrichtung sollte ein Gegengewicht zum damals vorherrschenden negativen Image der Polen in der deutschen Gesellschaft darstellen. Sie machte es sich zur Aufgabe, dem durch zahlreiche, von Polen begangene Diebstahlsdelikte oder aufgrund der Anstellung von Polen als Schwarzarbeiter angekratzten Image ein positives Bild entgegenzusetzen. Mit Unterstützung des Klubs gibt Bohle-Szacki zwei Alben mit ihren Arbeiten heraus: „Ślady i cienie” (Spuren und Schatten) sowie „Od drzewa do drzewa” (Von Baum zu Baum). Sie beinhalten die wichtigsten Motive ihres Schaffens: geometrische Abstraktionen und Bäume. Die letztgenannten sind für die Künstlerin ein Ausdruck von Vollkommenheit. Bohle-Szacki stellt ihre Arbeiten regelmäßig aus. Zunächst in kleineren Galerien, später können ihre Grafiken und Zeichnungen in Kopenhagen, Paris, Warschau, Prag und London bewundert werden.
In den 1980er Jahren engagiert sich die Künstlerin auch bei der „Solidarność”. In Interviews betont Helena Bohle-Szacki, dass sie sich insbesondere mit der polnischen Kultur verbunden fühlt. Sie betrachtet sich selbst als politischen Flüchtling und beobachtet mit großer Aufmerksamkeit das Geschehen in Polen. Als die Streiks beginnen, organisiert sie ohne zu zögern Hilfe. Anfangs besteht diese hauptsächlich aus Paketen mit Druckfarben und Materialien, die zum Drucken von Flugblättern oder Untergrundpresse notwendig waren. Während des Kriegszustandes nutzt sie die Hälfte ihres Gehaltes für materielle Unterstützung und Lebensmittel, unter anderem für Frauen, deren Männer interniert worden sind. Sie überzeugt viele ihrer deutschen Bekannten, sich ebenfalls an den Hilfsaktionen zu beteiligen. Für ihr Engagement zur Popularisierung der polnischen Kultur wird sie 1994 mit dem Offizierskreuz des Ordens Polonia Restituta ausgezeichnet. Sie erhält überdies ihre polnische Staatsbürgerschaft zurück.
Ihre letzten Lebensjahre verbringt Helena Bohle-Szacki weiterhin aktiv, wenngleich ihr abnehmendes Sehvermögen die täglichen Aufgaben immer schwieriger werden lässt. In dieser Zeit beginnt sie immer häufiger, von ihren Kriegserlebnissen zu berichten, um den nachkommenden Generationen Zeugnis abzulegen – wie sie selbst sagt. In früheren Lebensabschnitten wollte sie darüber nicht sprechen. Sie stirbt am 21. August 2011 in Berlin. Gemäß ihrem Wunsch wird ihre Asche an einem unbekannten Ort verstreut.
Monika Stefanek, März 2018
An das außergewöhnliche Leben und Schaffen der Künstlerin erinnert das langfristig angelegte Projekt „Mosty – die Brücken“, das von der Sleńdziński-Galerie in Białystok realisiert und unter anderem aus Mitteln der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft finanziert wird. Im Rahmen des Projekts fand in Białystok im Jahr 2017 eine, Helena Bohle-Szacki gewidmete, Ausstellung statt. Das Projekt soll auch in Berlin verwirklicht werden, wo Künstler aus aller Welt die Werke der Künstlerin neu interpretieren werden.
Für die Arbeit an dem vorliegenden Artikel habe ich unter anderem das Buch „Helena Bohle-Szacka. Lilka“, das in Białystok 2017 unter der Herausgeberschaft von Marcin Różyc erschienen ist, sowie den Artikel „Helena Bohle-Szacka. Pierwsza powojenna kreatorka, o której usłyszą za żelazną kurtyną“ von Hanna Rydlewska aus der Sonderbeilage „Wysokie Obcasy“ zur „Gazeta Wyborcza” vom 29. Juli 2017 herangezogen.
Hier finden Sie die Online-Ausstellung über Helena Bohle-Szacki.