Helena Bohle-Szacki

Helena Bohle-Szacki
Helena Bohle-Szacki

Für Helena beginnt in den 1950er Jahren mit der Arbeit beim „Dziennik Łódzki“ (Lodzer Tageszeitung) ein neuer Lebensabschnitt. Zunächst verfasst sie Artikel zu den Themen Mode und Schönheit, um sich etwas dazu zu verdienen. Sie berät ihre Leserinnen unter anderem bei Mode-Outfits für Silvester oder gibt Tipps, wie die Haare gekämmt werden müssen, damit „die Frisur modisch ist und zum Gesicht passt”. Sie berichtet zudem von Modeschauen und über die neuesten Trends, die insbesondere nach Stalins Tod zum Ausdruck persönlicher Freiheiten wurden. Neben Artikeln erscheinen auch Styling-Skizzen und Illustrationen. Bald arbeitet die Künstlerin mit den bekanntesten Zeitschriften im Modebereich zusammen, unter anderem mit „Uroda“ und „Moda“.

Im Jahr 1957 nimmt Helena (damals noch den Nachnamen Urbanowicz tragend) eine Arbeit als künstlerische Leiterin beim Modehaus „Telimena“ in Łódź auf. Unter ihrer Leitung beginnt sich das Unternehmen zu einem ernsthaften Konkurrenten für den bis dahin einzigen bedeutenden Modeschöpfer „Moda Polska“ zu entwickeln. Die von Helena an prestigeträchtigen Orten organisierten Modeschauen der neuesten Kollektionen werden in der Presse als „Große Moderevuen“ gefeiert. Auf einer ihrer immer häufiger werdenden Reisen nach Warschau lernt sie Wiktor Szacki kennen. Für ihn verlässt sie ihren Mann und zieht in die Hauptstadt. 

Den Veränderungen im privaten Leben folgt auch ein Arbeitsplatzwechsel. Im Jahr 1963 geht Helena Bohle-Szacka zur „Moda Polska“, wo sie einen Posten als Chef-Modedesignerin übernimmt. Ihre Kollektionen leiten eine Wende in der Wahrnehmung der bis dahin gesellschaftlich nicht sehr anerkannten Community ein. Die Modeschauen finden in beliebten Cafés oder Clubs statt und treffen den Nerv der damals zum Big Beat tanzenden Jugend. Aufgrund von Streitigkeiten mit ihrer Vorgesetzten wechselt Helena jedoch zur Konkurrenz – zum Modeunternehmen „Leda“, wo sie die künstlerische Leitung übernimmt. In all der Zeit weitet sie ihre Kontakte ins Ausland aus. 1965 findet im berühmten Europa-Center in West-Berlin eine Modeschau ihrer Kollektion statt, die von der deutschen Presse begeistert aufgenommen wird. Damals ahnt Helena Bohle-Szacka noch nicht, dass Berlin nur drei Jahre später zu ihrer neuen Heimat werden wird – aber nicht aus eigenem Antrieb.

West-Berlin soll nur Zwischenstation auf dem Weg nach London sein, wo die Eheleute Szacki dauerhaft ihren Wohnsitz nehmen wollen. Sie verlassen Polen im Dezember 1968 – der antisemitischen Kampagne der kommunistischen Behörden überdrüssig. Sie nehmen nicht allzu viel mit sich. Einige persönliche Dinge und Kleidung sowie eine silberne Puderdose, die Helena zum Abschied von ihren Mitarbeitern bei „Leda“ erhalten hat. Die Puderdose enthält eine Widmung: „Unserer lieben Lilka – Deine Freunde von Leda. Warschau, 10.12.68“. Es gelingt ihnen überdies, Diplome und Arbeitszeugnisse, die sie offiziell nicht mitnehmen dürfen, in einer Tabakschachtel über die Grenze zu schmuggeln.

Helena stehen Entschädigungszahlungen für das während des Krieges erlittene Leid zu. Da sich die Formalitäten aber in die Länge ziehen, entschließt sich das Ehepaar dazu, sich dauerhaft in Berlin niederzulassen. Wiktor Szacki, von Beruf Chemiker, erhält eine Anstellung beim Institut für Kernphysik, eine gewisse Zeit lang ist er zudem für Radio Freies Europa tätig. Helena wiederum ist lange auf der Suche nach einer Arbeitsstelle und wird sich recht schnell dessen bewusst, dass sie jenseits des Eisernen Vorhangs nicht mehr der Star der Modewelt ist, sondern eine arme Immigrantin aus dem Osten. Ihre früheren Kontakte in die deutsche Modewelt nutzen ihr wenig. Helena verdient sich mit der Leitung von Mal- und Innenarchitekturkursen an der Volkshochschule etwas dazu, und näht Röcke für eine Textilfirma in Stückarbeit. Nach drei Jahren nimmt sie schließlich eine didaktische Tätigkeit an der Berliner Lette-Schule auf. Sie arbeitet als Dozentin für grafische Komposition und visuelle Kommunikation. Interessant ist der Hintergrund ihrer Einstellung: die Studenten setzen sich für ihre Einstellung anstelle eines deutschen Kandidaten auf diese Position ein. In dieser Zeit entstehen auch Grafiken und Zeichnungen von Helena Bohle-Szacki. Mit Mode beschäftigt sie sich nur noch selten.

Mediathek
  • Helena Bohle-Szacki - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.
  • Die Eltern von Helena: Fanny und Alexander Bohle, 1930er Jahre

    Die Eltern von Helena Bohle-Szacki: Fanny (geborene Toboska) und Alexander Bohle, 1930er Jahre.
  • Die Familie Bohle

    Die Familie Bohle: Mutter Fanny, Tochter Irka, Vater Aleksander und Helena, Anfang der 1930er Jahre.
  • Helena mit ihrer Schwester Irena und Vater Alexander, 1930er Jahre

    Helena (Mitte) mit ihrer Schwester Irena und Vater Alexander Bohle, 1930er Jahre.
  • Helena Bohle, 1937 r.

    Helena Bohle, 1937 r.
  • Helena mit ihrer Schwester Irena, 1930er Jahre

    Helena mit ihrer Schwester Irena na lodowisku beim Eislaufen am Branicki-Palast in Białystok, 1930er Jahre.
  • Helena mit ihrer Mutter und einem Cousin

    Helena mit ihrer Mutter und einem Cousin, 1930er Jahre.
  • Helena mit Mutter Fanny

    Helena mit Mutter Fanny, undatiert.
  • Helena Bohle, 1950er Jahre

    Helena Bohle, 1950er Jahre.
  • Studierendenausweis von Helena Bohle

    Studierendenausweis von Helena Bohle nach der Immatrikulation an der Akademie der Schönen Künste in Łódź (ursprünglich Państwowa Wyższa Szkoła Sztuk Plastycznych: PWSSP).
  • Helena Bohle mit der sogenannten "Gruppe Lodz" (Grupa Łódzka)

    Die sogenannte "Gruppe Lodz" (Grupa Łódzka): Helena Bohle (5. von links) mit ehemaligen Mitinsassen des KZ-Außenlagers Helmbrechts, undatiert.
  • Helena Bohle-Szacki vor ihrer Reise nach West-Berlin, 1968

    Helena Bohle-Szacki (2. von links) nimmt Abschied am Bahnhof in Danzig (Gdańsk) vor ihrer Reise nach West-Berlin, 1968.