Dichtung, Mythen, Europa: Zbigniew Herbert
Zbigniew Herbert zählte bereits zu Lebzeiten zu den „Großen Modernen“ der polnischen Literatur, neben Wisława Szymborska und Czesław Miłosz. Bis an sein Lebensende wurde er auch als heißer Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt, der ihm – im Gegensatz zu den anderen beiden – aber leider verwehrt blieb. (Manchen Vermutungen zufolge hat die sozialistische polnische Geheimpolizei Służba Bezpieczeństwa, SB, dazu beigetragen, dass der Lyriker und Essayist diese höchste Auszeichnung nicht bekommen hat.)
Herbert war aber auch einer der wichtigsten Autoren bei Suhrkamp, dem deutschen Verlag, der in Deutschland die „große, wichtige, ernste“ Literatur verlegt. Bereits drei Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in Polen erschien 1959 dort „Lichtstrahl“. Heinrich Kunstmann, Slawistikdozent an der Uni München, hat Herberts Hörspiele übersetzt, die zwischen 1959 und 1964 im deutschen Rundfunk gesendet wurden. In dieser Zeit wurde er auch in England übersetzt und veröffentlicht, u. a. im „Encounter“, im „Observer“ und bei der BBC. Der Durchbruch aber kam mit den „Gedichten“ 1964 (übersetzt von Karl Dedecius) und einer Auswahl aus seinem Werk „Barbarzyńca w ogrodzie“ als deutsche Ausgabe unter dem Titel „Ein Barbar in einem Garten“ (übersetzt von Walter Tiel) 1965. Der Slawist Kunstmann war es, der den neuen Chef des Verlags, Siegfried Unseld, auf Herbert aufmerksam gemacht hatte. Unseld war begeistert von Herberts Gedichten und bald sollte sich eine Freundschaft zwischen Verleger und Dichter entwickeln.
Viel Geld gab es anfangs von Suhrkamp nicht. Doch mit der Zeit finanzierte der Verlag Herberts Reisen und Studienaufenthalte, nicht nur in Westdeutschland, sondern auch quer durch Europa. Herbert genoss die mediterrane Kultur. Sein „Im Vaterland der Mythen“ entstand speziell für den deutschen Markt – ein literarischer Reiseführer bzw. Reisebericht durch Griechenland. Seit jeher war Herbert von der Antike begeistert. Genau diese griechischen Mythen griff er immer wieder auf und wusste sie in seinen Versen wie auch Prosatexten in das Hier und Heute zu transportieren.
Der „Dichter zwischen den Kulturen“ dekonstruierte diese Mythen. Er nahm ihnen das Erhabene und zeigte, dass es das Überhöhte war. Was übrig blieb, war das Menschliche. Er hatte Mitleid mit dem Minotaurus. „Nike ist am schönsten, wenn sie zögert“, schrieb er. Er dachte immer auch an die Ausgegrenzten, Vergessenen. Wenn er gotische Kathedralen besichtigte, schätzte er ihre Schönheit, aber die pathetische Bewunderung war ihm fremd. Stattdessen erinnerte er, an die Leute in den Steinbrüchen, mit denen diese Bauwerke nicht möglich gewesen wären, und an ihr Leid. „Es gibt keinen anderen Weg zur Welt als den Weg des Mitgefühls.“
Für viele Menschen haben die Götter- und Heldengeschichten vergangener Zeiten ihren Reiz in ihrem Glanz und ihrer Größe. Der deutsche Autor Jan Wagner nennt Herbert einen „wahrheitssüchtigen Dichter“, aber das heißt nicht, dass dieser die Mythen nicht schätzte. Er war fasziniert von ihnen, weil er „die Götter und Sagen als versteinerte Erfahrungen der Menschheit“ betrachtete. Und so fand er die Versöhnung zwischen diesen beiden Seiten menschlichen Daseins, dem Mythos und der Wahrheit.
Seine persönliche Versöhnung mit Deutschland wird er wohl schon lange vor 1991 gefunden haben. (West-)Berlin, so heißt es, sei seine Lieblingsstadt gewesen. Während eines dreijährigen Aufenthaltes 1967–1970 war er aktives Mitglied der dortigen – deutschsprachigen – Kulturszene. So war er 1970 Gast in einer deutschen Talkshow zum Thema „Große Tage? Der 22. Juni 1941 – Der Einmarsch der deutschen Truppen in die Sowjetunion“. Er verkrachte sich mit dem Literaturkritiker Walter Höllerer, als er ein Stück Martin Walsers verteidigte. Herbert bereiste Italien, den Balkan, die Niederlande, England und – für seine Karriere besonders wichtig – Österreich. Außerdem war er Gastdozent an der renommierten Universität von Kalifornien, Los Angeles (UCLA).