Dichtung, Mythen, Europa: Zbigniew Herbert
Man könnte Zbigniew Herbert einen Versöhner nennen. Aber nicht, weil er ein großer Prophet des Friedens gewesen wäre, ein Missionar für das Miteinander, sondern weil er in seinen Werken so viel Widersprüchliches oder zumindest Entferntes vereinte, dass man meint, es gehörte schon immer zusammen: antike Mythen und die moderne Welt des 20. Jahrhunderts, das Kriegsrecht im sozialistischen Polen und die universellen menschlichen Werte, Ernst und Ironie, polnische Poesie und der Suhrkamp-Verlag … nun, an letzterem Paar hatte der Verlag selbst wohl auch einigen Einfluss. Wer war dieser Pole, der nicht nur zu den wichtigsten Autoren dieses deutschen Publikationshauses, sondern zu den Größten der polnischen Literatur der letzten Jahrzehnte zählte?
Schon bevor Herbert dort am 29. Oktober 1924 geboren wurde, war Lemberg eine Stadt, die ebenfalls widersprüchlich, bewegt, weltoffen und leider auch gebeutelt war. Die Parallelen zum Leben und Werk eines ihrer berühmten Söhne sind also offensichtlich. Hat das Herberts Weg vorgezeichnet? Als der Dichter geboren wurde, hieß die Stadt Lwów, denn sie war polnisch, nicht mehr habsburgisch. Heute liegt sie im Westen der Ukraine und heißt Львів (Lwiw). Sie war ein bedeutendes Zentrum österreichischen, polnischen, ukrainischen und jüdischen Lebens und doch so weit im Osten, dass sie fast schon ein Außenposten Europas war.
Zbigniew Herbert ging noch zur Schule, als Hitler und Stalin Polen quasi unter sich aufgeteilt hatten. Erst fielen Ostpolen und damit Lwów 1939 unter sowjetische Besatzung. 1941 erlebte Herbert dann mit, wie die Wehrmacht die Stadt eingenommen hat. Sein Abitur hat er trotzdem gemacht, 1943, im Untergrund. Auch studiert hat er im Untergrund, polnische Philologie, und womöglich war er auch in der polnischen Heimatarmee Armia Krajowa, AK, der polnischen Résistance aktiv. Zumindest bis die Rote Armee 1944 wiederum seine Heimatstadt zurückeroberte und der polnische Staat um ein ganzes Stück nach Westen verschoben wurde. Herberts akademischer Werdegang führte ihn nach Krakau (Kraków) und Thorn (Toruń), zu Fächern wie Wirtschaft, Recht und Philosophie. Eine Konstante blieb aber sein Misstrauen der Politik gegenüber.
Der vermeintliche Retter ist nicht immer der Freund – es hat schon seinen Grund, warum Herberts Debütwerk „Struna Światła“ („Lichtstrahl“) erst 1956, also drei Jahre nach Stalins Tod, erschienen ist. In dieser „Tauwetter-Periode“ wurde die von der sowjetischen Regierung kontrollierte staatliche Zensur gelockert. Und obwohl nicht explizit tagespolitisch oder ideologisch, waren Herberts Gedichte der Obrigkeit des sozialistischen Staates suspekt. Spätere Kritiker werfen dem Dichter vor, sich dem Sozrealismus, also der staatlich genehmigten Form künstlerischen Ausdrucks angebiedert zu haben. Schließlich ist Herbert zwar viel gereist, hat seinem Heimatland aber nie vollständig den Rücken gekehrt wie etwa Czesław Miłosz, Nobelpreisträger und Freund Herberts. Andere sagen, er habe die Zensoren geschickt ausgespielt und Menschlichkeit vermittelt.
Was ebenfalls blieb von den Schrecken des Krieges, das war ein Argwohn gegen Deutschland. Oder gegen die Deutschen? Noch 1991 schrieb er ein Gedicht für seine „liebgewonnenen Todfeinde“ – seinen Übersetzer Klaus Staemmler, Schriftsteller und Freunde wie Horst Bienek, Michael Krüger und Sibylle von Eicke, den Verlagslektor Günther Busch. Auch der österreichische Übersetzer Oskar Jan Tauschinski wird genannt. „Der Weg von den Gräben ins Bierhaus war lang", schrieb Herbert – was ein wenig verwundert, hatte er sein internationales Renommee wohl nicht unwesentlich seinem Erfolg und seinem Mäzen in Deutschland zu verdanken.