Tadeusz Borowski
Die Poesie Borowskis aus seiner Münchener Zeit verliert ihre universelle Dimension, die sie noch in seinem Debütband Wo immer die Erde hatte. Sie erzählt nun von einer konkreten Zeit, von der Nachkriegsgegenwart. Eines ihrer großen Themen sind Deutschland und das Deutschtum. Die deutschen Städte (ebenso wie die deutsche Landschaft) besitzen für den Dichter keinerlei Wert. Sie wecken lediglich den Wunsch nach Rache, das Verlangen nach Vergeltung, nach Wiedergutmachung des Unrechts und lassen in ihm Verbitterung aufsteigen, wenn er daran denkt, dass die deutschen Städte, die deutsche Landschaft, die Deutschen selbst von der Welle der Zerstörung nicht in ausreichendem Maß getroffen wurden. „Noch heute, wenn ich hier in München sitze, rege ich mich furchtbar darüber auf, dass die Stadt kaum Zerstörungen aufweist.“[6] Das lyrische Ich Borowskis Münchener Gedichte ist hasserfüllt gegenüber allem, was mit Deutschland oder mit Deutschtum assoziiert werden kann. Der Autor von Bitte, die Herrschaften zum Gas kann auf Deutschland nicht anders schauen, als auf ein Land voller Mörder und Sadisten. Anders als in seiner Prosa stellen die in München entstandenen Gedichte Deutsche mit Nationalsozialisten gleich. Seine Poesie ist wilder, provozierender und aggressiver, als seine Prosa – häufiger und intensiver bedient er sich Hohn, Sarkasmus und Ironie. Man kann den Eindruck gewinnen, als sei Borowski selbst mit der „Ideologie des Todes“ infiziert worden.
Eines der bekanntesten Gedichte aus dieser Zeit trägt den Titel Abend in München. Das lyrische Ich schlüpft in die Rolle des Rächers. Es ist besessen davon, deutsche Männer zu ermorden, deutsche Frauen zu vergewaltigen und deutsche Säuglinge zu töten. Die deutsche Stadt in Abend in München erscheint als Bastion von Verbrechern. Überall ist der Geruch des aus den Krematorien aufsteigenden Rauches wahrzunehmen, die Straßen sind gesäumt von Mördern, die sich ihrer Strafe entzogen haben. Es sind dieselben, die noch vor kurzem Herren über Leben und Tod waren – Bestien in menschlicher Haut. Nun geben sie vor, unschuldige Deutsche zu sein. Das ist die Perspektive des Dichters – unmissverständlich und klar.
[6] Ebenda, S. 65.