Tadeusz Borowski
Man sagt, dass das, was Borowski in Auschwitz gesehen hat, ihn als späteren Autor von Erzählungen über das Massenvernichtungssystem prägte. Allerdings war es vor allem sein fast zwei Jahre dauernder Aufenthalt in Deutschland, der aus ihm einen Prosaiker machte. Während seiner Zeit in München entstehen die ersten Werke Borowskis, die später nicht nur Teil der polnischen, sondern auch der Weltliteratur über den Holocaust werden sollten. In Deutschland verfasst er gemeinsam mit Janusz Nel-Siedlecki und Krystyn Olszewski zwischen September und Dezember 1945 die Erzählung Wir waren in Auschwitz, die seine Ansichten über das Lager formt. Nach Auffassung des hoch geschätzten Kenners der Biografie und der Werke Borowskis – Tadeusz Drewnowski – stellt Wir waren in Auschwitz eine Art Enzyklopädie dar: „In den Informationen, Erinnerungen, Erzählungen versuchte man, das Ausmaß des Verbrechens zu fassen, die Lagermechanismen aufzuzeigen, eine möglichst hohe Anzahl […] an Erscheinungen, die typisch für Auschwitz waren, zu schildern.“[1] Seit diesem Moment steuert Borowski der Schaffung „einer kohärenten ideellen Vision“ entgegen, „die in den zwischen 1946 und 1948 entstehenden Novellen und Erzählungen gipfeln.“[2]
Die Korrespondenz Borowskis aus seiner Zeit in Deutschland belegt eindeutig, dass eben dort die Fundamente seiner Perspektive auf die Lager entstehen. In dieser Zeit hört, liest und notiert er die Berichte anderer Häftlinge. Kurz nachdem er Freimann verlässt, kommt ihm in München die Geschichte des jüdischen Transportes Sosnowitz-Bendzin zu Ohren. Sie wird ihm von Stanisław Wygodzki erzählt, der in diesem Transport Frau und Tochter verloren hat. Daraus entsteht Bitte, die Herrschaften zum Gas (ursprünglich sollte der Titel lauten: Transport Sosnowitz-Bendzin). Auch die Figur des Vorarbeiters Tadek – des Narrators in den Erzählungen Borowskis – entsteht in München. Wir wissen zwar nicht, worauf die Figur gründet und auf welche Weise Borowskis Konzeption des Spiels zwischen der Biografie des Erzählers und seiner eigenen als Auschwitz-Häftling entstanden ist. Wir wissen aber, dass dies in München passiert sein muss, bevor der junge Autor von Ein Tag in Harmense nach Polen zurückkehrte.
Borowskis in München verfasste Briefe belegen, dass seine Erzählungen sowohl das Ergebnis einer genialen künstlerischen Intuition als auch der intellektuellen Beherrschung dessen sind, was die nationalsozialistischen Konzentrationslager in ihrem Kern waren. Über die gesamte Zeitspanne stellte sich Borowski einer Realität, die keine historische Entsprechung besaß. Er war auf der Suche nach einem passenden Stil und einer angemessenen geistigen Perspektive. Er wählte die amerikanische Prosa im Stil eines John Steinbeck oder Ernest Hemingway. Er vermengte sie allerdings mit Ironie, Groteske, Kontrast und Sarkasmus.