Tadeusz Borowski
Der Weg nach Dachau
Die Lagerbiografie des Autors ist in zwei Abschnitte unterteilt. Der erste ist allgemein bekannter und wird zwangsläufig mit den Werken Borowskis in Verbindung gebracht. Nach zwei Monaten Aufenthalt im berüchtigten Warschauer Pawiak-Gefängnis wird der junge Polonistikstudent der im Untergrund agierenden Warschauer Universität in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Wie unser Protagonist in Bei uns in Auschwitz später festhalten wird, passierte dies erst dann, als man keine Arier mehr vergaste (im Frühjahr und Sommer 1944 war Borowski Zeuge der Ausrottung ungarischer Juden, wovon Menschen, die gingen handelt). Über seinen Aufenthalt in Deutschland und seine Haft in kleineren Lagern auf deutschem Territorium ist weit weniger bekannt.
Borowski in Deutschland
Mitte August 1944 wird Borowski in das Konzentrationslager Natzweiler bei Stuttgart verlegt, einige Monate später (Anfang 1945) kommt er ins KZ-Außenlager Dachau-Allach, welches am 1. Mai 1945 von amerikanischen Soldaten befreit wird. Wie viele seiner Leidensgenossen aus ganz Europa wird Borowski in dieser Zeit in einem Übergangslager für sog. Displaced Persons untergebracht, er kommt nach Freimann bei München. Dort verweilt er bis September 1945 (von dieser Zeit erzählt er im Tagebuch aus Freimann).[1]
In der Lagerbiografie Borowskis ist es nicht Auschwitz – der Inbegriff des Massensterbens – sondern der Aufenthalt in kleineren Lagern auf dem Gebiet Deutschlands, in denen er die schwersten Momente seines Lebens durchmacht. Als die Amerikaner auftauchen, ist der Schriftsteller kurz davor, vor Entkräftung zu sterben. In einem Brief an Stanisław Marczak-Oborski vom 7. November 1945 ist zu lesen: „[…] noch vor einem halben Jahr konnte ich kaum stehen, und wog nur etwas mehr als 35 kg.“[2]
Nach der Befreiung durch die Alliierten hat der Autor von Bitte, die Herrschaften zum Gas anfangs nur ein Ziel vor Augen. Er will seine Verlobte wiederfinden. Seit er Auschwitz verlassen hat, erlangte er von ihrem Schicksal keinerlei Kenntnis mehr. Er weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Er betätigt sich als Mitorganisator und aktiver Mitarbeiter des Familiensuchdienstes beim Komitee des Polnischen Roten Kreuzes in München. Von letzterem erhält er Anfang Dezember 1945 die Nachricht, dass sich Maria in Schweden befindet (dorthin gelangte sie nach ihrer Befreiung aus dem Frauenlager Ravensbrück). Borowski schreibt seiner Geliebten verzweifelte Briefe, in denen er sie um die gemeinsame Rückkehr nach Polen bittet. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, welche Entscheidung er selbst diesbezüglich treffen wird. Er macht sie von Maria abhängig:
„Ich stehe jeden Augenblick in einer offenen Tür und kann sie jederzeit zuschlagen. Ich kann schlicht und einfach auf alles pfeifen und gehen, wohin ich will. Meine Pläne hängen ganz und gar von Dir ab. Wenn Du auf keinen Fall zurückkehren willst, werde ich mich hier einrichten, wenn Du zurückkehrst, folge ich Dir sofort.“[3]
Der Literat findet sich in der Emigration nicht zurecht. Er hat Sehnsucht nach dem Vaterland – vor allem nach seinen Freunden und seiner Familie. Da er sich mit seiner Geliebten nicht treffen kann, er sich aber auch nicht über ihre Gefühle ihm gegenüber im Klaren ist, fordert der Autor von Abschied von Maria das Schicksal heraus und entscheidet sich für die Rückkehr nach Polen. Er will lernen, schreiben, arbeiten. Er fühlt, dass er es im Ausland nicht länger aushält. Am 31. Mai 1946 kehrt er mit einem Repatriierungstransport in die Heimat zurück.
[1] T. Borowski, Pamiętnik z Freimannu [Tagebuch aus Freimann], bearb. v. T. Drewniowski, in: Polityka 38 (1970)
[2] T. Borowski, Niedyskrecje pocztowe. Korespondencja Tadeusza Borowskiego [Postalische Indiskretionen. Die Korrespondenz von Tadeusz Borowski], bearb. v. T. Drewnowski, Warszawa 2001, S. 52.
[3] Ebenda, S. 112.