Józef Feliks Gawlina (1892–1964). Legendärer polnischer Seelsorger in Deutschland
Der Zweite Weltkrieg
Den Beginn des Zweiten Weltkriegs erlebte Gawlina in Warschau. Am 4. September 1939 wurde die Feldkurie evakuiert, in der Nacht vom 6. auf den 7. September verließ Gawlina auf Befehl des polnischen Armeemarschalls Edward Śmigły-Rydz die Hauptstadt. Er erreichte Luzk (Łuck), wo er verwundet wurde, am 18. September überschritt er die polnisch-rumänische Grenze. Von Bukarest aus reiste er über Ungarn nach Rom. Papst Pius XII. empfing ihn zur Audienz, und verlängerte seine Zuständigkeit als Feldbischof. Danach reiste er nach Frankreich und nahm am 18. Oktober 1939 sein Amt als Feldbischof der polnischen Armee (Polnische Streitkräfte im Exil) auf. Am 12. November 1939 wurde er von General Władysław Sikorski als stellvertretender Vorsitzender des Polnischen Roten Kreuzes für die Dauer des Krieges eingesetzt. Da er auf andere Weise nicht in der Lage war, zu den polnischen Soldaten, die vor den Angriffen aus dem Land geflohen waren, Kontakt zu halten, hielt er über das Radio Messen und Predigten für sie. Er gab das „Gebetbuch der polnischen Soldaten“ heraus. Er war Mitglied des Polnischen Nationalrats, der Militärkommission und der Rechts- und Verfassungskommission sowie des Obersten Rats der Weltunion der Polen (Światowy Związek Polaków z Zagranicy) in Frankreich. Nach der Niederlage Frankreichs ging er im Oktober 1940 nach England.
Im Januar 1942 verließ er London und kam auf dem See-, Luft- und Landweg über Ghana, Nigeria und andere afrikanische Länder, zusammen mit Pater Marcin Chrostowski OP. nach Palästina. Nach einem längeren Aufenthalt in Bagdad und dem Iran, und aufgrund von Schwierigkeiten direkt nach Moskau zu fliegen, erreichten sie am 19. April Baku, einige Tage später mit dem Zug die Hauptstadt der UdSSR. Im Mai 1942 fuhren sie mit Unterstützung von Pater Braun, einem amerikanischen Assumptionisten (dem einzigen offiziellen katholischen Priester in Moskau), mit dem Zug weiter nach Kuibyschew in Westsibirien. Der polnische Botschafter Stanisław Kot half ihm mit Informationen und bei der Organisation der Ausreise der polnischen Soldaten, Zivilisten und vor allem polnischen Kinder, die nach Russland deportiert worden waren. Gawlina besuchte Militäreinheiten, führte Gespräche mit General Władysław Anders, mit Seelsorgern und Soldaten. Er bereiste Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan. Nach zahlreichen langwierigen Verhandlungen stimmte Josef Stalin der Ausreise von 70.000 Menschen zu, darunter mehr als 2.000 Kinder, die nach dem 17. September 1939 und der Eroberung Ostpolens durch die Sowjets nach Sibirien deportiert worden waren. Die Organisation der Ausreise gestaltete sich schwierig. Der Weg führte durch den Iran und den Irak nach Palästina. Dieses Unternehmen dauerte mehr als ein Jahr.
Im Februar 1942 reiste Gawlina in die Vereinigten Staaten von Amerika. In Florida besuchte er den Apostolischen Delegierten Amleto Cicognani und den polnischen Botschafter Jan Ciechanowski. In Washington führte er Gespräche mit US-Präsident Franklin D. Roosevelt (24. Februar 1943) und anschließend mit amerikanischen Bischöfen und Vertretern polnischer Organisationen in New York, Detroit, Buffalo, Chicago, Philadelphia und mit den Verantwortlichen des NCWC (National Catholic Welfare Conference) sowie der Catholic League. Überall sprach er das Problem der in der Sowjetunion noch verbliebenen polnischen Kinder an. Ende April traf er in Kairo ein, besuchte polnische Einheiten im Iran und in Ägypten und flog zur Beisetzung von General Sikorski nach England. Später schloss er sich dem 2. Korps an und nahm mit dessen Soldaten an den Kämpfen in Italien teil, darunter auch an der Schlacht von Monte Cassino. Im Juni 1944 wurde ihm eine Audienz bei Papst Pius XII. gewährt. Im Staatsekretariat führte Gawlina Gespräche mit den Monsignores Tardini und Montini (der spätere Papst Paul VI.). Im April 1945 flog Gawlina nach Norddeutschland, besuchte das Lager für die aus dem Warschauer Aufstand deportierten Frauen in Oberlangen und die polnischen Militäreinheiten in Papenburg und Walchum. Anschließend besuchte er Brüssel, wo er Militärseelsorgestellen einrichtete und seelsorgerisch tätig war. Während des Krieges gründete er zwei Seminare in Beirut (Libanon) und Glasgow (Großbritannien). Im Jahr 1947 gründete er den Verlag Hosianum in Rom.
Bischof für die Pol:innen in Deutschland
Am 4. Juni 1945 wurde Gawlina von Papst Pius XII. zum Ordinarius für die „Zivilpolen“ in Deutschland und Österreich ernannt, eine Aufgabe die zu seiner Zuständigkeit für die Militärseelsorge hinzukam. Er richtete eine besondere Botschaft an die Priester im KZ Dachau und dankte ihnen für ihr Glaubenszeugnis und ihre Geistesstärke. Am 26. Juni 1945 traf er in München ein und brachte die erste materielle Hilfe für die Priester. Er traf sich mit ihnen in Dachau und in Freimann und ernannte Pfarrer Franciszek Jedwabski zum Generalvikar, den er mit der Errichtung einer bischöflichen Kurie beauftragte. Mehr als 500 Priester, ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager Dachau und Mauthausen in Österreich, stellten sich im Juni und Juli 1945 für die Seelsorge in drei der vier Besatzungszonen zur Verfügung: der amerikanischen, britischen und französischen. Der erste Sitz der Kurie war im Lager Freimann, ab November in Frankfurt am Main. Pfarrer Jedwabski wurde nach Rom zurückgerufen. Edward Lubowiecki, ein Priester der Diözese Krakau, der bisher Pfarrer in Linz gewesen war, wurde neuer Generalvikar. Am 29. Juni 1945 begann Gawlina mit den Visitationen der Zentren für Displaced Persons (DP) in der amerikanischen Zone: Rebdorf, Weißenburg, Wildflecken, Coburg, Murnau und andere. Er stattet den amerikanischen und britischen Behörden, den deutschen Bischöfen und den Verbindungsbeamten in den DP-Lagern mehrere Besuche ab. Bischof Gawlina gab die Kurienagenda „Offizielle Nachrichten“ für Priester heraus und am 1. August 1945 die „Pastorale Instruktion“, als rechtliche und administrative Richtlinien für die Arbeit der Priester (veröffentlicht bis 1949), wie z. B. das Führen von Tätigkeitsbüchern, Archiven, die Pflege von Gräbern, die Schulausbildung und die Betreuung von Landsleuten in den DP-Lagern. Am 25. August gab er die pastorale Struktur seiner Diözese bekannt und tauschte 6 Bezirksdekane aus. Er führte Gespräche mit amerikanischen und britischen Befehlshabern über die seelsorgerische Betreuung der polnischen DPs in den Lagern sowie in den Wach- und Arbeitskompanien. 1945 besuchte er Lager, in denen er das Sakrament der Firmung spendete, und machte oft unangenehme Erfahrungen mit den Besatzungsoffizieren. Die erste Visitation galt der amerikanischen Zone (29.06.–27.08.1945), die zweite der britischen Zone (25.10.–22.12.1945). Der Generalvikar stand in regelmäßiger Korrespondenz mit dem Ordinarius und stimmte sich mit ihm über die alltäglichen Angelegenheiten der Diözese ab. Der Bischof war besorgt über die Haltung der Besatzungsbehörden gegenüber den Polen, sowohl gegenüber denjenigen, die die Konzentrationslager überlebt hatten, als auch gegenüber den Zwangsarbeiter:innen, die zur Arbeit im Reich deportiert worden waren. Er war ein echter Patriot und ermutigte die Polen bei jeder Gelegenheit zur Loyalität gegenüber ihrem Heimatland, in das er aus politischen Gründen nicht zurückkehren konnte.