Johann von Mikulicz-Radecki – das vergessene Genie der Chirurgie

Jan Mikulicz-Radecki, 1890
Jan Mikulicz-Radecki, 1890

Zu dieser Zeit ist die Ausstattung der Chirurgischen Klinik der Albertus-Universität Königsberg besser als die der Klinik in Krakau, auch wenn sie über keinen OP-Saal verfügt und die Eingriffe im Hörsaal durchgeführt werden, in den die Patienten hineingetragen werden. In Königsberg ist Mikulicz vor allem mit der Chirurgie der Bauchhöhle befasst. Er arbeitet unter anderem an der Modifikation der Magenresektion und er beschreibt Krankheitssymptome, die später als Mikulicz-Syndrom bezeichnet werden. Aus wissenschaftlicher Sicht war der dreijährige Aufenthalt in Königsberger für den Chirurgen äußerst fruchtbar, doch die wichtigste Zeit seiner herausragenden Karriere sollte erst noch beginnen.

1890 wird Johann Mikulicz zum Direktor der neu erbauten Chirurgischen Klinik in Breslau berufen. Bevor er aber diese Stelle annimmt, muss er eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, dass er das preußische Territorium mindestens fünf Jahre lang nicht verlassen wird. Das nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft errichtete Klinikgebäude ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollendet, so dass sich der neue Direktor mit seinen Vorstellungen vor allem hinsichtlich des OP-Saals einbringen kann. Dieser wird in den Folgejahren mehrfach ausgebaut, bis 1897 ein vollständig aseptischer OP-Trakt in Breslau zur Verfügung steht, der damals als der größte und modernste in Europa galt. Vier Jahre später wird die Klinik unter der Leitung des polnischen Chirurgen um eine orthopädische Abteilung und einen Physiotherapieraum erweitert. 1899 eröffnet Mikulicz darüber hinaus eine Privatklinik, die den neuesten medizinischen Standards entspricht.

Besonderes Vertrauen und besondere Sympathie, die fast an Bewunderung grenzt, bringen Johann Mikulicz die aus Polen, Russland und Galizien stammenden Juden. Das hat sicher damit zu tun, dass er Jiddisch spricht, und es belegt, wie groß die Autorität des Chirurgen war. „Sie hielten ihn fast für einen Heiligen, der eine besondere Gnade Gottes besitze. Schon die Berührung seiner Kleidung könnte Heilung bringen. (…) Die ihn verehrenden Juden pflegten unter sich zu sagen: Erst kommt der liebe Herrgott und dann der Herr Perfesser Mikulicz.“[9]

Auch im Ausland genießt Professor Johann von Mikulicz-Radecki große Wertschätzung. 1903 reist er auf Einladung der amerikanischen Wissenschaftler in die USA, um dort in Kliniken Schauoperationen durchzuführen, Vorträge zu halten und in Philadelphia die Ehrendoktorwürde zu empfangen. Das hohe Ansehen der Breslauer Chirurgenschule unter seiner Leitung belegen Ärzte aus der ganzen Welt, die hier ausgebildet werden, unter anderem aus den Vereinigten Staaten, aus England und Japan. Breslau war damals Kaderschmiede für viele herausragende Chirurgen, die anschließend in Kliniken in ganz Europa gearbeitet haben. Der wohl bekannteste Schüler von Johann Mikulicz war Ferdinand Sauerbruch, der auch für seine in Breslau mit Unterdruckkammer durchgeführten Operationen am offenen Brustkorb sowie als Erfinder der Hand- und Unterschenkelprothese für Amputierte bekannt geworden ist. Sauerbruch leitete später viele Jahre die Chirurgische Abteilung der Berliner Charité. In Deutschland gilt er als wichtigste Persönlichkeit der Medizingeschichte.

 

[9] Auf dem Höhepunkt der Karriere in Breslau, [in:] Kozuschek, Johann Mikulicz-Radecki..., S. 121.

Mediathek
  • Jan Mikulicz-Radecki

    Jan Mikulicz-Radecki, 1890
  • Im Operationssaal der Warschauer Universität

    Johann von Mikulicz-Radecki im Operationssaal der Warschauer Universität, 1899.
  • Beim Kegelabend

    Johann von Mikulicz-Radecki beim Kegelabend des Vereins für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg
  • Johann von Mikulicz-Radecki in Königsberg

    Johann von Mikulicz-Radecki in Königsberg, Reprint aus dem Buch von Waldemar Kozuschek „Johann von Mikulicz-Radecki 1850-1905“.