Der „Polenmarkt“ am Potsdamer Platz in Berlin
Die Zusammenkunft von zig tausend Menschen (manche Quellen sprechen gar von einhunderttausend) wirkte sich sehr negativ auf die Umgebung aus. Da es in dieser Gegend keine öffentlichen Toiletten gab, stank es in den Eingängen der umliegenden Häuser in kürzester Zeit nach Fäkalien. Der Markt glich einem riesigen Müllplatz, wobei sich der Unrat auch in den nahegelegenen Parks häufte. In den Seitenstraßen und in den Fahrzeugen blühte die Prostitution. Zugleich nahmen die von Polen verübten Ladendiebstähle und Autodiebstähle zu. Außerdem störte die Berliner die Art und Weise, wie Lebensmittel ambulant direkt aus Kartons oder von am Boden ausgelegten Zeitungen verkauft wurden. „Demzufolge, also nicht so sehr, dass überhaupt gehandelt und womit gehandelt wurde, riefen der Polenmarkt und die Polen bei den an sich toleranten Deutschen Widerwillen hervor. Die Toleranz schlug in Verärgerung um, die sich dann allmählich zu Feindseligkeit wandelte.“[3]
Ständige Verletzungen des Rechts und die Missachtung der sanitären Vorschriften führten unweigerlich dazu, dass die Bewohner der Stadt die Politiker immer lauter aufforderten, auf dem Markt für Ordnung zu sorgen. Die Berliner Zeitungen überboten sich jeden Montag mit den Zahlen der am Wochenende festgesetzten illegalen Händler aus Polen und mit den von ihnen begangenen Vergehen. Politiker aller Parteien warnten vor der Bildung „polnischer Slums“. Zudem haben auch die deutschen Besitzer kleiner Läden aus Furch vor der Konkurrenz billiger Waren gegen den Polenmarkt protestiert. Unterstützung fanden sie durch Tierschützer, die vor dem Kauf von Papageien, Hunden und Katzen warnten.
Der Versuch, den illegalen Handel zu unterbinden, glich jedoch einem Kampf gegen Windmühlen. Nichts half, weder die Sperrung der Zugangsstraßen zum Markt noch die Errichtung von Schildern, die auch in polnischer Sprache über das Verkaufsverbot informierten. Nach dem das Marktgelände eingezäunt worden war, zogen die Händler weiter in die Nähe der Philharmonie, bis der Markt nach mehreren solcher spontanen „Umzüge“ schließlich wieder an seinen alten Standort kam. Gegen die von der Polizei festgenommenen Händler wurden Eilstrafverfahren eingeleitet. Die Zollbeamten stempelten deren Pässe mit einem dreijährigen Einreiseverbot nach Westberlin. Allein in den ersten Monaten der Geschäfte auf dem Markt erhielten 3.171 Personen solche Einträge in ihre Papiere. Gegen 4.500 Personen wurden Strafverfahren eröffnet.[4] Nennenswerten Nutzen hatten diese Maßnahmen jedoch nicht, da viele Händler bei den polnischen Behörden einfach den Verlust ihres Passes angezeigt und einen neuen beantragten haben, mit dem sie dann problemlos erneut nach Westberlin reisen konnten.
All dies wirkte sich negativ auf das Image der Polen aus, so dass die Einstellung der Deutschen zu den Ankömmlingen von jenseits der Oder litt. Dabei schauten die Berliner bis dahin durchaus respektvoll nach Polen, da es damals noch gar nicht so lange her war, dass sich die Polen um die Wiedererlangung ihrer Freiheit bemüht hatten, nachdem sie in den schwierigen Zeiten des Kriegsrechts sowie in der Wirtschaftskrise Mitte der 80er Jahre geistig und materiell von ihnen unterstützt worden waren.
Ausländerfeindliche Stimmungen wurden aber auch von den Medien geschürt. „Die Bild-Zeitung und die Berliner Zeitung ließen in ihren Artikeln über den Polenmarkt Begriffe wie Seuchengefahr fallen, die an die Schriftzüge an den Ghettomauern im zweiten Weltkrieg denken ließen“, erinnert sich Witold Kamiński vom Polnischen Sozialrat in Berlin, der seinerzeit im Namen des Rats mit den Berliner Behörden und Diensten an der Lösung des Problems des Polenmarktes gearbeitet hat. „Wir versuchten, den Deutschen das Phänomen aus der anderen Perspektive zu beleuchten, indem wir ihnen zeigten, dass Handelsgeschäfte niemals einseitig sind“, sagte Kamiński.
In der Praxis trug der Polenmarkt dazu bei, dass auch die Berliner verdienten. Die Polen gaben ihr auf dem Markt schwer verdientes Geld in Discountern wie Aldi sowie in Läden, die elektronische Produkte aus Asien verkauften, aus. Der Andrang auf Videorekorder, Fotoapparate und Tonbandgeräte war so groß, dass in der Charlottenburger Kantstraße, in der sich zahlreiche Polen eingedeckt haben, ein Elektronikladen nach dem anderen eröffnete, ohne dass die langen Schlangen der Kunden kürzer wurden.