Das polnisch-jüdische Bethaus in Remscheid 1928–1933

Die Ostseite des Bethauses, rechts der Thoraschrein, links Zitate aus dem Tehillim, Psalm 150,3
Die Ostseite des Bethauses, rechts der Thoraschrein, links Zitate aus dem Tehillim, Psalm 150,3

Dank der Fotografien (siehe Mediathek) im Presseartikel, wie durch die späteren Beschreibungen ehemaliger Gemeindemitglieder, sind die einzelnen Motive dieser in deutschen Synagogen ungewöhnlichen Bemalung und die dazugehörigen hebräischen Inschriften überliefert. An der Ostwand befand sich rechts der Thoraschrein, links neben dem Fenster waren zwei gekreuzte Schofarhörner [?] und zwei gekreuzte Geigen dargestellt. Darüber zwei hebräische Zitate aus dem Tehillim, Psalm 150,3 „Lobet ihn mit Schofarklang“ und „Lobet ihn mit Psalter und Harfe [Kinor, auch Geige]“. An der Südwand waren links zwei Löwen und rechts ein Hirsch in einer Waldszene zu sehen, darüber die Inschriften „kühn wie ein Löwe“ und „eilend wie ein Hirsch“. Auf der Südwand ganz rechts die Darstellung eines Adlers, darüber die Inschrift „behänd wie ein Adler“. Die bildlichen Darstellungen verweisen auf das Mischnatraktat „Pirkei Avot“ (Sprüche der Väter) 5,20 „Sei stark wie der Panther, leichbeschwingt wie der Adler, schnell wie der Hirsch und gewaltig wie der Löwe, um den Willen deines Vaters im Himmel zu vollstrecken“[6]. Zwischen den Löwen und dem Hirsch ein Zitat aus dem Mincha-Gebet (Nachmittagsgebet) am Schabbat „Deine Liebe ist ewige Gerechtigkeit, deine Lehre ist Wahrheit! Deine Liebe, oh Gott, reicht bis zum Himmel, mit ihr hast Du Großes vollbracht, oh Gott, wer ist wie du, Deine Liebe gleicht mächtigen Bergen, Deine Gerechtigkeit der großen Flut, Mensch und Tier hilfst du, Ewiger“[7]. Die Westwand war links mit Illustrationen zur Vätergeschichte versehen, die Arche Noah und eine Taube mit einem Zweig, daneben der Regenbogen als Symbol des Versprechen Gottes, nie wieder eine Sintflut auf der Erde entstehen zu lassen. Über der Arche die Inschrift „Arche Noah“, rechts und links vom Regenbogen ein Zitat aus Genesis 9,13 „Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt“. Auf der Westwand rechts Illustrationen zum Buch Jona, das sagenhafte Meer Tarschisch, das Schiff im Sturm und der Walfisch, der Jona an das Ufer speit. Über dem Wasser die Inschriften oben „Das Meer von Tarschisch“ unten „und der [Walfisch] spie Jona aus ans Land“, ein Zitat aus Jona 2,11. Die Nordwand zeigte links die Höhle Machpela bei Hebron. In ihr sind die Erzväter Abraham, Isaak und Jacob und ihre Frauen Sara, Rebekka und Lea begraben. Über dem Bild die Inschrift „Die Höhle Machpela“.[8]

Der Artikel im „Israelitischen Familienblatt“ überliefert nicht nur einen bildlichen Eindruck des Remscheider Bethauses, er vermittelt auch einen aus heutiger Perspektive zumindest irritierenden Eindruck von der Art, wie die akkulturierten deutschen Juden ihre Glaubensbrüder in und aus Osteuropa wahrnahmen. Sätze wie „In östlichen jüdischen Gotteshäusern findet man häufig derartige naive Darstellungen einer unverfälschten, freilich auch ungepflegten Volkskunst“ oder „Mit der kindlichen Freude unproblematischer Naturen, mehr oder weniger begabter Dilettanten führen diese (Stuben-) Maler […] ihre Verschönerungen des Gotteshauses aus, und wo der Kunstkritiker lächelnd den Kopf schüttelt, macht der Kulturforscher interessante Studien …“, illustrieren dieses ambivalente Verhältnis zwischen überheblicher Ablehnung und Faszination. Während im 19. Jahrhundert jene Juden, die in den Gebieten lebten, die einst unter den Jagiellonen die Polnisch-Litauische Union bildeten, unter der Bezeichnung „polnische Juden“ gefasst wurden, etablierte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Bezeichnung „Ostjuden“. Der im Artikel verwendete Begriff ist allerdings mehr als eine rein geografische Verortung, sondern birgt zugleich ein Stereotyp in sich. Viele deutsche Juden sahen in „den Ostjuden“ Vertreter des jüdischen Ghettos, einer für sie längst überwundenen Lebensweise, kulturell rückständig, religiös orthodox, in überkommenen Sitten und Traditionen verharrend. Einige jüdische Intellektuelle hingegen sahen in „den Ostjuden“ das reine, unverfälschte Judentum und mahnten zur Besinnung auf die eigenen Wurzeln.[9]

 

[6] Übersetzung in: Grunwald, Beschreibung der Malereien, S. 56.

[7] Übersetzt in: Sidur Sefat Emet, S. 143.

[8] Ich danke Frau Dr. Ursula Reuter (Salomon Ludwig Steinheim-Institut) für die Übersetzungen der Inschriften aus dem Hebräischen.

[9] Maurer, Ostjuden, S.11-16. Zum „Ostjudenbild“ siehe z. B.: Aschheim, Brothers and strangers. Kurth / Salzborn, Antislawismus und Antisemitismus. Panter, Selbstreflexion und Projektion. Rüthers, Sichtbare und unsichtbare Juden.

Mediathek
  • Der Artikel „Ostjüdische Volkskunst in Deutschland"

    Artikel in der Illustrierten Beilage „Aus alter und neuer Zeit“ in: „Israelitisches Familienblatt“ Hamburg, 15.11.1928.
  • Die Ostseite des Bethauses

    Rechts der Thoraschrein, links Zitate aus den Tehillim. In: „Aus alter und neuer Zeit“.
  • Südwand links mit Illustrationen zum Mischnatraktat „Pirkei Avot“ [Sprüche der Väter]

    In: „Aus alter und neuer Zeit“.
  • Südwand rechts mit Illustration zum Mischnatraktat „Pirkei Avot“ (Sprüche der Väter)

    In: „Aus alter und neuer Zeit“.
  • Westwand links mit Illustrationen zur „Vätergeschichte", Zitat aus Genesis 9,13

    In: „Aus alter und neuer Zeit“.
  • Westwand rechts mit Illustrationen zum Buch Jona und Nordwand links mit der Höhle „Machpela"

    In: „Aus alter und neuer Zeit“.
  • Familie Mandelbaum

    Rechts Heinrich, Mitte Max, links Riva.
  • Familie Mandelbaum

    Hinten Anna und Hans, vorne Riva und Heinrich, im Garten des Hauses Freiheitsstr. 3, Remscheid. Mit handschriftlicher, hebräischer Notiz.