Das polnisch-jüdische Bethaus in Remscheid 1928–1933
Seit Beginn der 1880er Jahre zwangen antijüdische Pogrome und zunehmende Verarmung tausende Juden ihre Heimat in Osteuropa zu verlassen. Hauptziel dieser Emigration waren die USA, Deutschland blieb für viele nur ein Transitland. Dennoch siedelten sich bis 1910 etwa 70 000 aus Osteuropa stammende Juden im Deutschen Reich an. Als die Kämpfe des Ersten Weltkrieges besonders in den Siedlungsgebieten der Juden im historischen Polen, zu jener Zeit Staatsgebiet Russlands, Österreichs und Deutschlands, wüteten, flohen viele vor den Kämpfen, gerieten in Kriegsgefangenschaft oder wurden als Arbeiter für kriegswichtige Industrien vom deutschen Militär angeworben. Im Zuge der Neuordnung Osteuropas nach dem Ersten Weltkrieg fiel der Großteil der jüdischen Siedlungsgebiete an den wieder entstandenen polnischen Staat. Als dieser Gesetze und Verordnungen erließ, die die wirtschaftliche Tätigkeit von Juden erschwerten und ihren Zugang zum polnischen Staatsdienst begrenzten, löste dies eine weitere Migrationsbewegung aus. Bis 1933 ließen sich rund 88 000 aus Osteuropa eingewanderte Juden im Deutschen Reich nieder.[2]
Auch nach Remscheid waren seit Beginn des 20. Jahrhunderts jüdische Familien aus Osteuropa gezogen. Viele dieser orthodox geprägten Familien lehnten den assimilierten Gottesdienst der alteingesessenen jüdischen Gemeinde ab und trafen sich zum Gottesdienst zunächst in Beträumen in Privathäusern. Da durch den weiteren Zuzug orthodoxer Juden diese Beträume bald nicht mehr ausreichten, gründete sich während der Weimarer Republik der Verein „Beth HaMidrasch“ (Lern- und Bethaus). Diesem gelang es 1928 ein kleines Haus im Hof des gewerkschaftseigenen Volkshauses in der Bismarckstraße Nr. 59/61 anzumieten und, wie es im Bericht des „Israelitischen Familienblattes“ heißt, „unter größter Opferwilligkeit, die bis zur Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit der Mitglieder ging“ herzurichten. Heinrich Mandelbaum, ein Vereinsmitglied, bemalte den Innenraum des Bethauses mit volkstümlichen Motiven, die er aus den kleinen Holzsynagogen seiner polnischen Heimat kannte. Viele der gewählten Motive und Zitate waren in den jahrhundertealten Landsynagogen Polens weit verbreitet.[3] Heinrich Mandelbaum, 1881 in Slomniki[4] im russisch annektierten Teil Polens geboren, war 1914 mit seiner Familie nach Remscheid gekommen.[5]
[2] Maurer, Ostjuden, S. 46-81. Zahlen ebd., S. 72. Backhaus, Gruppe der Ostjuden, S. 177-180.
[3] Zur bildlichen Gestaltung von polnischen Landsynagogen siehe: Grunwald, Beschreibung der Malereien, und Ders., Ikonographie.
[4] Zur Jüdischen Gemeinde in Slomniki siehe: Świętokrzyski Sztetl Ośrodek Edukacyjno-Muzealny unter http://swietokrzyskisztetl.pl/asp/en_start.asp?typ=14&menu=248&sub=173#strona (bitte das Datum des letzten Zugruffs einfügen!)
[5] Brief von Shlomo Shaked (Felix Mandelbaum) vom 4. März 1993 (Privatbesitz J. Bilstein, Remscheid). Bilstein, Ostjuden in Remscheid. Ders., Ostjüdische Volkskunst. Pracht-Jörns, Remscheid, S. 256-257.