„Geopfertes Volk“ von Mieczysław Chersztein

Abbildung aus dem Buch „Geopfertes Volk. Der Untergang des polnischen Judentums“, Mieczysław Chersztein, Stuttgart 1946
Erschießung von Juden in Litauen, Abbildung aus dem Buch „Geopfertes Volk. Der Untergang des polnischen Judentums“, Mieczysław Chersztein, Stuttgart 1946

Das erschütternde Buch „Ofiary Nikczemności“ von Mieczysław Chersztein ist vermutlich noch im April 1945 im DP-Lager Mosbach in polnischer Sprache entstanden. Nur wenige Wochen später erschien es in deutscher Sprache.

Im Vorwort zur deutschen Übersetzung schrieb Moses Moskowitz, Offizier der amerikanischen Streitkräfte und Leiter deren Abteilung für Historische und Politische Information für Baden-Württemberg am 31. Oktober 1945: „Als ich es durchlas, wurde mir zum ersten Mal die volle Bedeutung von dem klar, was ich in den Konzentrationslagern gesehen hatte, die während unseres Durchmarsches durch Süddeutschland von uns [...] befreit wurden“.

Der Bericht basiert auf Augenzeugenberichten und ist eine 122 Seiten starke Anklage des von den Nationalsozialisten begangenen Völkermords an den Juden. Er wurde als Beweismaterial beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess anerkannt.

Über den Autor Mieczysław Chersztein ist wenig bekannt. Aus seinen eigenen Erzählungen, die in seinem Buch enthalten sind, geht hervor, dass er im DP-Lager Mosbach mehrere ehemalige KZ-Häftlinge als Zeitzeugen befragt und deren Aussagen zur Grundlage seines Berichtes gemacht hatte. Da ihm selbst laut eigener Angaben seine jüdische Herkunft nicht auf Anhieb anzumerken war, bekam er zuverlässige Informationen sowohl von den jüdischen wie auch von nicht jüdischen Häftlingen.

Nach der Flucht aus dem jüdischen Ghetto in Wilna (Wilno) 1941 hatte Mieczysław Chersztein zuerst in verschiedenen polnischen Dörfern Schutz gesucht. Noch im Ghetto hatte er seinen ursprünglichen Vornamen Moses auf Mieczysław und seinen Nachnamen auf Cherszteinski geändert und in einen gefälschten Pass eintragen lassen. Nach mehreren erfolgreich überstandenen Razzien der Deutschen, die nach potenziellen Zwangsarbeitern für das Deutsche Reich suchten, verließ ihn 1942 das Glück. Er wurde inhaftiert und über Minsk nach Ulm zu einer Sammelstelle für das Südwestdeutsche Arbeitsamt gebracht. Von hier aus kam er nach Mannheim, wo er zwei Jahre lang als Zwangsarbeiter für die Firma Lanz und dann für die Isolation AG Neckarau-Mannheim tätig war. Bei der Evakuierung des Zwangsarbeiterlagers auf dem Rückmarsch wurde er von amerikanischen Truppen im Ort Dallau (heute Elztal) befreit.

Die von Chersztein in Form von Sachberichten zusammengestellte Darstellung bezeugt den Umgang der Deutschen mit den Juden in den jüdischen Ghettos in Krakau (Kraków), Litzmannstadt (Łódź), Warschau (Warzawa), Sandomir (Sandomież), Stanislau (Stanisławów) und Lemberg (Lwów). In weiteren Kapiteln wird das Schicksal der Juden in Sowjetrussland unter deutscher Besatzung dargestellt, die Ereignisse in den Konzentrationslager in Bełżec, Treblinka sowie Majdanek werden geschildert und von der Lage in den Konzentrationslagern für die Juden aus Polen in Stutthof, Unterrixingen, Auschwitz, Vaihingen/Enz, Natzweiler, Budsin (Budzyń), Sachsenhausen, Groß-Rosen, Wasseralfingen, Mauthausen, Wiesenhof, Hambühren, Bergen-Belsen, Dachau, Buchenwald, Neckarelz, und Pawiak in Warschau wird berichtet.

 

Jacek Barski, November 2016

 

Mediathek