Der Polnische Pavillon der NordArt 2022
Ein Klassiker in verschiedenen Bereichen der plastischen Kunst ist auch der 2018 in den USA verstorbene Lubomir Tomaszewski (*1923 Warschau). Nach einer Ausbildung im Atelier für Keramik und Glas am Institut für industrielles Design in Warschau schuf er an einem neu geschaffenen Institut für experimentelle Produktion sowohl Gebrauchskeramik wie Vasen, Schalen und Geschirr als auch keramische Kleinplastiken, darunter Tiere und menschliche Figuren, in herausragend modernem Design, das auf polnischen Messen und internationalen Ausstellungen höchste Anerkennung fand. 1966 emigrierte er in die USA und unterrichtete seitdem in der Abteilung für Angewandte Kunst und Inneneinrichtung der Bridgeport University in Connecticut. Außerdem wandte er sich der Bildhauerei zu. Die ausgestellten überlebensgroßen Figuren aus Stein und Metall, die menschliche Bewegungen und körperlichen Ausdruck festhalten, dokumentieren seine ausgeprägte Beobachtungsgabe und Liebe zu allen Erscheinungen der Natur. (Abb. 9)
Eine ähnliche Entwicklung nahm die sehr viel jüngere, 1987 im ukrainischen Donezk geborene Janina Myronova, die in Lwiw und Wrocław Keramikkunst studierte und seit 2017 der in Genf ansässigen Internationalen Akademie für Keramik IAC angehört. Zu ihren Arbeitsbereichen gehören sowohl Design-Serien wie Geschirr und Dosen als auch nach menschlichem Vorbild geschaffene Keramikfiguren in allen Formaten. Ihr Figurenpaar „Jan-Ivan-John“ und „Piotr-Petro-Peter“ (Abb. 10), Comic-Figuren ähnelnd, erzählt mit den auf die Körper aufgemalten Bildern in Form einer Graphic Novel deren persönliche, international verständliche Geschichten. Die in Schamotte-Ton gefertigten und in Unterglasur bemalten Keramiken stellen mit ihren knapp unterlebensgroßen Formaten technisch eine außergewöhnliche Leistung dar.
Wojciech Sobczyński (*1944) studierte Bildhauerei an der Kunstakademie in Krakau und ging dann 1968 mit einem Stipendium nach London, wo er an der City and Guild's of London Art School und an der Slade School of Art weiterstudierte. Seitdem lebt und arbeitet er in London. In seinen zumeist abstrakten plastischen Arbeiten, die aber auch figürlichen Charakter annehmen können, verbindet er einfache oder sogar primitive und gefundene Materialien mit malerischen Elementen. Ihn interessieren Zufälle, Willkürliches, Farben und Klänge in einer experimentellen, kompilatorischen Arbeitsweise. Sobczyński ist auch als Journalist und Kunstkritiker für polnischsprachige Kunstzeitschriften tätig, die in London, Krakau und Wrocław erscheinen. (Abb. 11-13)
Sicherlich ausgeklügelter, weniger spontan und auf mehrere Bedeutungsebenen gerichtet ist die 2019 geschaffene plastische Installation „Justice“ (Abb. 14) von Maciej Aleksandrowicz (*1973). Benzinkanister halten die Waage der Gerechtigkeit und ein möglicherweise die Weltkugel symbolisierendes Wurzelwerk im Gleichgewicht. Der Künstler ist Professor an der Warschauer Kunstakademie, Direktor des Polnischen Skulpturenzentrums in Orońsko und Vorstandsmitglied im Verband der Polnischen Bildenden Künstler (ZPAP).
Besondere Aufmerksamkeit beim Publikum erregt sicher die Neuinterpretation der antiken Kapitolinischen Wölfin von dem in Warschau ansässigen Künstlerduo Paweł Wocial / Kamila Tuszyńska unter dem Titel „Look at me“ von 2011, das dieses Werk erstmals auf der Paris Fashion Week im selben Jahr präsentierte. (Abb. 15) Mit Mitteln der Übertreibung in Materialien und Farbauswahl, wie wir sie aus der amerikanischen Pop Art kennen, gestalteten sie die Wölfin als überschminktes Mager-Model und kleideten sie aufreizend, um die Auswüchse gegenwärtiger Populärkultur aufs Korn zu nehmen. Wocial, Bildhauer, Designer und Szenograf, und Tuszyńska, promovierte Medienwissenschaftlerin und Kunstpublizistin, arbeiten seit 2016 zusammen. Sie produzieren Plastiken, Objekte, Installationen, Bühnenbilder, Zeichnungen und Videos zwischen Camp und Hyperrealismus, die als Märchen für Erwachsene fungieren, aber nicht ohne kritischen Kommentar auskommen.