Der Polnische Pavillon der NordArt 2022
Die NordArt im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf unweit von Rendsburg wird 2022 zum 23. Mal auf dem Gelände der historischen Eisengießerei gezeigt, die heute unter dem Namen Kunstwerk Carlshütte für Kulturevents aller Art dient. Die jurierte Kunstausstellung, als deren Chefkurator der Initiator und Mitbegründer von 1999, Wolfgang Gramm, fungiert, zieht jährlich über 100.000 Menschen an. In jedem Jahr gibt es einen Länderschwerpunkt, der von auswärts kuratiert wird. Kurator des Polnischen Pavillons ist Professor Jan Wiktor Sienkiewicz, Leiter des Instituts für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa und in der Diaspora (Katedra Historii Sztuki XX w. w Europie Środkowej in na Emigracji) an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń und Mitglied des Programmrats des Nationalen Instituts für Polnisches Kulturerbe im Ausland in Warschau. Dieser spezielle Teil der NordArt steht unter der Schirmherrschaft des Generalkonsuls der Republik Polen in Hamburg, Paweł Jaworski.
Plastik und Bildhauerei
Auffällige Fixpunkte der Ausstellung werden von der Bildhauerei und der plastischen Kunst besetzt. Schon im Bereich vor und am Eingang zum Polnischen Pavillon überrascht Sylwester Ambroziak (*1964 Łowicz), Absolvent der Fakultät für Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste Warschau bei Prof. Grzegorz Kowalski, mit der monumentalen Figurengruppe „Kneeling“ (2011, Abb. 1) aus Epoxidharz und der neueren zweiteiligen Gruppe „Innocence“ (2020, Abb. 2). Seine kindlich wirkenden Puppenfiguren sind von Comic und Science Fiction inspiriert und befinden sich meist im Kampf mit der Wirklichkeit.
In allen Bereichen der Ausstellung sowie in einem eigenen Kabinett zeigt Michał Jackowski (*1978 Białystok), der die Warschauer Kunstakademie mit einem Magisterdiplom abschloss und in Białystok lebt und arbeitet, 14 Marmorskulpturen und Bronzeplastiken. In Arbeiten von hoher bildhauerischer Qualität, die in antiken Traditionen wurzeln, verbindet er klassisches Formrepertoire mit modernen Elementen der Pop Art. Auf diese Weise regt er an, über klassische Werte und Konsum, gesellschaftliche Verwerfungen, menschliche und materielle Beziehungen sowie Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken. (Abb. 3, 4)
Der Konkreten Kunst, die ihre Wurzeln vom Konstruktivismus herleitet, sind zwei Künstler zuzurechnen. Jan de Weryha-Wysoczański, der 1950 in Danzig geboren wurde und nach einer handwerklichen Ausbildung auch dort studierte, gehört sowohl in Polen als auch im Hamburger Raum, wo er seit 1981 lebt und ein inzwischen museal zugängliches Atelier betreibt, zu den arrivierten und geschätzten Bildhauern. Mit seinen geometrisch strukturierten Arbeiten in Holz fügt er dem strengen System der Konkreten Kunst neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und sinnlichen Erfahrung des natürlichen Materials hinzu, das er Ende der 1990er-Jahre für seine Arbeit entdeckte. (Abb. 5, 6)
Janusz Kapusta, der 1951 unweit von Warschau geboren wurde und dort Architektur und Philosophie studierte, arbeitet in zahlreichen grafischen Techniken, schafft Gemälde und entwirft Filmsets. 1981 wanderte er nach New York aus, wo seine Arbeiten in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht wurden. Seine Entdeckung eines elfseitigen Polyeders mit dem Namen „K-dron“, das in Polen zu einem staatlich verwendeten Logo avancierte, und neue Erkenntnisse zum Goldenen Schnitt verschafften dem Künstler Weltgeltung. Die von ihm gezeigten Acrylreliefs (Abb. 7) in strenger Geometrie beziehen sich auf geografische Situationen in New York.
Zu den Highlights der polnischen Kunst gehören die Werke der 2017 verstorbenen und seit langem als Klassikerin zu bewertenden Bildhauerin, Textil- und Installationskünstlerin Magdalena Abakanowicz (*1930 Falenty), die mit einem textilen Objekt, einem frühen aus Sisal gefertigten Wandbehang aus Privatbesitz, vertreten ist. Berühmt wurde die Künstlerin seit den 1960er-Jahren mit riesigen, amorphen, frei hängenden Textilplastiken und seit dem folgenden Jahrzehnt entstandenen großen Gruppen aus kopflosen Figuren, die Abakanowicz aus Bronze oder Sackleinen mit Kunstharz fertigte. Die Künstlerin lehrte von 1965 bis 1990 an der 2021 nach ihr benannten Universität der Künste in Poznań sowie als Gastprofessorin in den USA. Ihre Arbeiten werden weltweit von bedeutenden Museen gesammelt und ausgestellt. (Abb. 8)
Ein Klassiker in verschiedenen Bereichen der plastischen Kunst ist auch der 2018 in den USA verstorbene Lubomir Tomaszewski (*1923 Warschau). Nach einer Ausbildung im Atelier für Keramik und Glas am Institut für industrielles Design in Warschau schuf er an einem neu geschaffenen Institut für experimentelle Produktion sowohl Gebrauchskeramik wie Vasen, Schalen und Geschirr als auch keramische Kleinplastiken, darunter Tiere und menschliche Figuren, in herausragend modernem Design, das auf polnischen Messen und internationalen Ausstellungen höchste Anerkennung fand. 1966 emigrierte er in die USA und unterrichtete seitdem in der Abteilung für Angewandte Kunst und Inneneinrichtung der Bridgeport University in Connecticut. Außerdem wandte er sich der Bildhauerei zu. Die ausgestellten überlebensgroßen Figuren aus Stein und Metall, die menschliche Bewegungen und körperlichen Ausdruck festhalten, dokumentieren seine ausgeprägte Beobachtungsgabe und Liebe zu allen Erscheinungen der Natur. (Abb. 9)
Eine ähnliche Entwicklung nahm die sehr viel jüngere, 1987 im ukrainischen Donezk geborene Janina Myronova, die in Lwiw und Wrocław Keramikkunst studierte und seit 2017 der in Genf ansässigen Internationalen Akademie für Keramik IAC angehört. Zu ihren Arbeitsbereichen gehören sowohl Design-Serien wie Geschirr und Dosen als auch nach menschlichem Vorbild geschaffene Keramikfiguren in allen Formaten. Ihr Figurenpaar „Jan-Ivan-John“ und „Piotr-Petro-Peter“ (Abb. 10), Comic-Figuren ähnelnd, erzählt mit den auf die Körper aufgemalten Bildern in Form einer Graphic Novel deren persönliche, international verständliche Geschichten. Die in Schamotte-Ton gefertigten und in Unterglasur bemalten Keramiken stellen mit ihren knapp unterlebensgroßen Formaten technisch eine außergewöhnliche Leistung dar.
Wojciech Sobczyński (*1944) studierte Bildhauerei an der Kunstakademie in Krakau und ging dann 1968 mit einem Stipendium nach London, wo er an der City and Guild's of London Art School und an der Slade School of Art weiterstudierte. Seitdem lebt und arbeitet er in London. In seinen zumeist abstrakten plastischen Arbeiten, die aber auch figürlichen Charakter annehmen können, verbindet er einfache oder sogar primitive und gefundene Materialien mit malerischen Elementen. Ihn interessieren Zufälle, Willkürliches, Farben und Klänge in einer experimentellen, kompilatorischen Arbeitsweise. Sobczyński ist auch als Journalist und Kunstkritiker für polnischsprachige Kunstzeitschriften tätig, die in London, Krakau und Wrocław erscheinen. (Abb. 11-13)
Sicherlich ausgeklügelter, weniger spontan und auf mehrere Bedeutungsebenen gerichtet ist die 2019 geschaffene plastische Installation „Justice“ (Abb. 14) von Maciej Aleksandrowicz (*1973). Benzinkanister halten die Waage der Gerechtigkeit und ein möglicherweise die Weltkugel symbolisierendes Wurzelwerk im Gleichgewicht. Der Künstler ist Professor an der Warschauer Kunstakademie, Direktor des Polnischen Skulpturenzentrums in Orońsko und Vorstandsmitglied im Verband der Polnischen Bildenden Künstler (ZPAP).
Besondere Aufmerksamkeit beim Publikum erregt sicher die Neuinterpretation der antiken Kapitolinischen Wölfin von dem in Warschau ansässigen Künstlerduo Paweł Wocial / Kamila Tuszyńska unter dem Titel „Look at me“ von 2011, das dieses Werk erstmals auf der Paris Fashion Week im selben Jahr präsentierte. (Abb. 15) Mit Mitteln der Übertreibung in Materialien und Farbauswahl, wie wir sie aus der amerikanischen Pop Art kennen, gestalteten sie die Wölfin als überschminktes Mager-Model und kleideten sie aufreizend, um die Auswüchse gegenwärtiger Populärkultur aufs Korn zu nehmen. Wocial, Bildhauer, Designer und Szenograf, und Tuszyńska, promovierte Medienwissenschaftlerin und Kunstpublizistin, arbeiten seit 2016 zusammen. Sie produzieren Plastiken, Objekte, Installationen, Bühnenbilder, Zeichnungen und Videos zwischen Camp und Hyperrealismus, die als Märchen für Erwachsene fungieren, aber nicht ohne kritischen Kommentar auskommen.
Foto- und Videokunst
Tadeusz Rolke (*1929 Warschau) ist einer der bedeutendsten polnischen Fotografen der Gegenwart. Bereits vor dem Warschauer Aufstand fotografierte er zum ersten Mal. 1944 wurde er als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Nach dem Krieg arbeitete er in Polen als Fotojournalist für verschiedene Zeitschriften. Von 1970 bis 1980 lebte er in Hamburg und fotografierte für die Zeitschriften Stern, Der Spiegel und Die Zeit. Vorwiegend in der Schwarzweiß-Fotografie machte er Reportagen, fotografierte Mode und arbeitete als freier Fotograf. Er gilt in Polen als führender Vertreter einer „humanistischen Fotografie“. Während seiner Zeit in Deutschland fotografierte unter anderem typische Szenen auf dem Hamburger Fischmarkt, aber auch bedeutende Kunst-Events und Kunstschaffende wie etwa den Aktionskünstler Joseph Beuys. Sein Archiv umfasst über 50.000 Fotografien, von denen das Warschauer Museum für moderne Kunst rund 6.000 in einem Online-Archiv veröffentlichte. (Abb. 16, 17)
Die wichtigste polnische Protagonistin der Feministischen Kunst war Natalia LL (eigentlich Natalia Lach-Lachowicz, *1937 Zabłocie bei Żywiec), die während der Laufzeit der Ausstellung am 12. August 2022 in Wrocław verstarb. Die intermedial arbeitende Konzeptkünstlerin betätigte sich mit Fotokunst, Body-Art und Performance, Video und Experimentalfilm, Grafik, Malerei und Skulptur. Nach einem Studium an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Wrocław wurde sie seit Anfang der 1970er-Jahre erst in Polen und dann international mit erotisch determinierten Fotos und Videos unter anderem von essenden Personen bekannt. Ihre Arbeiten wurden in Polen umgehend zensiert und erregten anschließend im Westen in internationalen Magazinen und Ausstellungen Aufsehen. Nach einer schweren Operation und einer Nahtoderfahrung wandte sie sich mit Beginn der Achtzigerjahre übernatürlichen, mystischen und sogar satanischen Themen zu. In verschiedenen Serien von Selbstporträts in einer Mischtechnik aus Fotografie auf lichtempfindlichem Stoff und Malerei (Abb. 18) störte oder verhüllte sie ihr eigenes Gesicht oder verwandelte es zu Totenmasken. Noch 2019 wurde eine ihrer frühen Videoinstallationen auf Anweisung des Kulturministeriums aus dem Warschauer Nationalmuseum entfernt, konnte aber nach öffentlichen Protesten wieder dorthin zurückkehren.
Agata Zbylut (*1974 Zgorzelec), seit 2013 Professorin und Leiterin des Studios für Fotografie und postkünstlerische Aktivitäten an der Kunstakademie in Stettin, seit 2018 dort auch Leiterin der Abteilung Fotografie, promovierte im Bereich Angewandter Kunst und habilitierte an der Filmschule Łódź. Sie vertritt mit ihren Arbeiten gesellschaftspolitische und vor allem feministische Positionen. Ihr künstlerisches Statement betrifft, wie sie selbst schreibt, das „obsessive Beobachten anderer Frauen, wie sie leben, welche Entscheidungen sie treffen, ihre Emotionen, kulturellen, soziologischen und rechtlichen Rahmenbedingungen“. Sie befasst sich unter anderem mit den Themen Altersdiskriminierung, Body-Shaming, der öffentlichen Bewertung von Frauen hinsichtlich ihrer körperlichen Attraktivität sowie mit der Schönheits- und Fitness-Industrie. In ihren fotografischen Selbstporträts, die eine zentrale Stellung in ihrem Werk einnehmen und von denen sechs Arbeiten in einem Seitenkabinett zusammen mit dem Selbstbildnis von Natalia LL gezeigt werden, dokumentiert sie unter anderem experimentelle kosmetische Behandlungen und deren Auswirkungen auf den eigenen Körper. (Abb. 19, 20)
Das Künstlerduo Leszek Golec & Tatiana Czekalska zeigt eine von 2009 bis 2012 entstandene 26teilige Serie von Fotografien mit dem Titel „Catwalk“ (Abb. 21, 22), die 2015 zu einer gleichnamigen Buchpublikation führte. Hatte sich Czekalska (*1966 Łódź) seit ihrem Studium an der Kunstakademie in Łódź mit feministischen Themen beschäftigt, so befasste sich das Ehepaar seit dem Beginn seiner Zusammenarbeit 1996 mit Porträts von Katzen, die eine vom Zen-Buddhismus her rührende Idee der Harmonie mit der Natur verkörpern. Die Fotoserie zeigt streunende Katzen in dunklen öffentlichen Räumen wie Kirchen oder Kinos und in der nächtlichen Landschaft. Golec (*1959 Świebodzice), der an der Hochschule für Fotografie in Warschau studierte, beschäftigte sich zunächst mit ökologischen Projekten. Gemeinsam widmet sich das Ehepaar außerdem spirituellen Themen, indem es verwaiste religiöse Artefakte wie Bücher, Stolen, Ikonen oder Altarsilber für ein zweites Leben in der Kunst transformiert. (Abb. 23)
Die 3-Kanal-Videoinstallation „Sexinsitu“ (Abb. 24, 25) der Multimediakünstlerin, Performerin und Filmautorin Martyna Miller (*1988 Kętrzyn) – ihr 2021/22 entstandenes Promotionsprojekt an der Universität der Künste in Poznań – basiert auf Videodokumentationen von Menschen, die ihre sexuellen Erinnerungen rekonstruieren. Das Projekt ist als soziale Praxis erfahrbar und wird fortlaufend künstlerisch erweitert. Miller studierte Anthropologie am Institut für polnische Kultur der Universität Warschau, Regie an der Akademie der darstellenden Künste in Sarajewo und nahm anschließend ein interdisziplinäres Studium in Poznań auf. Sie erforschte, wie Heilung und Entspannung in Gruppen und nach Traumata funktionieren. Ihr wichtigstes Medium sind Videocollagen, die nach intensiver Bearbeitung malerischen Charakter annehmen.
Grafikdesign
Der 1959 in Łódź geborene und in Paris ansässige Grafikdesigner und Plakatkünstler Michał Batory studierte in Łódź an der Nationalen Hochschule für Bildende Künste und spezialisierte sich bei Professor Bogusław Balicki auf Plakatkunst. Von 1988 bis 1993 arbeitete er in Paris für Grafikdesign-Agenturen. Seit 1994 ist er freiberuflich tätig. Seine fotorealistisch gestalteten Plakate wirken durch einen hintergründigen Humor, indem er Einzelmotive in ungewöhnlicher Weise kombiniert. So zeigt er eine als Stuhl geformte Besteckgabel und spielt auf Design und Typografie des Bauhauses an oder er verfremdet eine Geschosshülse zu einem Lippenstift. (Abb. 26, 27)
Malerei
In einer umfangreichen Auswahl von 22 zumeist großformatigen Gemälden, die zwischen 2001 und 2019 entstanden sind, zeigt der 1970 in Vilnius geborene und auch dort ansässige Maler Robert Bluj Studien ruhender und bewegter menschlicher Körper. Sie sind mit fotorealistischem Anspruch gemalt, jedoch durch eine prägnante, von der Pop Art her kommende Farbigkeit vor allem der Hintergründe und einzelner Details wie der Haare und der Lippen verfremdet. Bluj studierte an der Kunstakademie in Warschau, wo er auch promovierte und 2020 im Bereich Restaurierung plastischer Kunst habilitierte. In Vilnius unterhält er ein Atelier für die malerische Ausbildung von nicht professionellen Kunstschaffenden aller Altersstufen. (Abb. 28, 29)
Julia Curyło (*1986 Warschau) zeigt Gemälde und Objekte, die der Pop Art nahestehen und in der ungewöhnlichen Kombination der Einzelmotive surrealistisch wirken. Die Künstlerin, die an der Warschauer Kunstakademie studierte und promovierte, interessiert sich für die Gleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit von Popkultur, Frömmigkeit, Wissenschaft, Moral, Schönheit und Kitsch in der modernen Welt. Aus diesen Bereichen bildet sie Motivfelder von Inhalten und Symbolen. (Abb. 30, 31)
Die Welt der Pop Art bietet auch die Inspiration für Justyna Kisielewicz (*1983 Polen), die an der Warschauer Kunstakademie studierte und 1918 in die USA wechselte. Sie lebt heute in Miami, Florida. Die Zeitschrift Elle nannte sie „Princess of Pop Culture“, andere tauften sie die „von der Pop-Kultur besessene Rebellin aus Polen“ und nannten ihre Bildwelt „exzentrisch, frech und zuckersüß“. Mit Glamour und Humor schildert sie Szenen aus der amerikanischen und europäischen Bildwelt des Pop, natürlich in knalligen Farben und gekonnter Modellierung der Körper. Sie nimmt damit die westliche Kultur, den Konsum und den Kapitalismus kritisch aufs Korn. Ihre Arbeiten erscheinen in internationalen Journalen und sind weltweit auf Ausstellungen zu sehen. (Abb. 32, 33)
Grzegorz Kozera (*1983 Warschau) malt Alltagsimpressionen, häufig in anderen Ländern in Europa und Amerika. Dabei geraten nur Fragmente einzelner Motive in den Blick oder tauchen aus der Erinnerung auf. Nahezu folgerichtig wirkt auch die Maltechnik impressionistisch. Aber auch Kozera kommt nicht ohne die plakative Farbigkeit der Pop Art aus, die seine flüchtigen Eindrücke in der Wirklichkeit lokalisiert. Der Künstler studierte Kunstgeschichte und Malerei in Warschau. Bei Grzegorz Sztwiertnia an der Krakauer Kunstakademie promovierte er und arbeitet zurzeit als Assistent an der Fakultät für Malerei der Akademie der Bildenden Künste in Warschau. (Abb. 34, 35)
Die Kunst von Sebastian Krok (*1985 Radom) steht der Street Art und der Graffiti-Szene nahe. Seine Arbeiten, meist in Form von Bildzeichen und Symbolen, sprayt oder schabloniert er auf Bettlaken, Automobile oder Teile davon wie zum Beispiel auf die in der Ausstellung gezeigten BMW-Motorhauben. „Krok richtet in seiner Arbeit sein Hauptaugenmerk auf soziale Mechanismen. Seine Absicht besteht darin, mithilfe von Farbe aufzuzeigen, dass institutionelle Gewalt die Grundlage westlicher Kultur bildet.“ (Katalog) Der Künstler studierte Medienkunst an der Kunstakademie in Warschau, wo er auch lebt und arbeitet. (Abb. 36, 37)
An den Kritischen Realismus der 1970er-Jahre erinnern die Strandszenen von Julita Malinowska (*1979), die in Warschau lebt und arbeitet. Ihre sparsamen Kompositionen mit scharf umrissenen Figuren in unwirklicher Landschaft dokumentieren den hintergründigen Schrecken in der vermeintlichen Idylle. Die Künstlerin studierte an der Kunstfakultät der Universität in Lublin, an der Universität in Wolverhampton und an der Krakauer Kunstakademie, wo sie 2012 promovierte. (Abb. 38, 39)
Auch Tomek Kopcewicz (*1974 Kamień Pomorski) dokumentiert in gewisser Weise die Schrecken der Gegenwart. Sein Ausgangspunkt sind banale Details urbaner Landschaften wie Zäune, Schranken, Labyrinthe von Großstadtbüros oder Betonkonglomerate, in denen die Geometrie dominiert und die menschliches Verhalten wesentlich determinieren. Der Künstler absolvierte die Danziger Kunstakademie bei Prof. Włodzimierz Łajming (Malerei) und Prof. Witosław Czerwonka (Intermedia). Seit 2002 residiert er in der Künstlerkolonie auf dem Gelände der ehemaligen Danziger Werft, wo er sich auch an Künstlerprojekten auf dem Wasser beteiligt. (Abb. 40, 41)
Auch der jüngere Łukasz Patelczyk (*1986 Wejherowo) studierte an der Kunstakademie in Danzig, bei Prof. Teresa Miszkin und Prof. Witosław Czerwonka, und beschäftigt sich mit Landschaft und Meer. Klassische Landschaften und Seestücke überblendet er mit geometrischen Abstraktionen und schafft so neue ästhetische Wirklichkeiten. Bei der zurzeit entstehenden Serie „Glas“ verwendet er für die getönten quadratischen Durchblicke farbige Lasuren. Der Künstler arbeitet heute in Warschau und Bydgoszcz. (Abb. 42, 43)
Aus dem weiten Feld des Abstrakten Expressionismus, des Nouveau Réalisme und der Gestischen Abstraktion schöpft Carolina Khouri (*1971), libanesisch-polnischer Abstammung und in London ansässig, ihre Gemälde. Sie studierte Polnische Literatur an der Warschauer Universität und Innenraum-Design an der Londoner University of Arts. In ihren Bildern verbinden sich Experiment und Erfahrung auf minimalistische Weise zu essenzieller Form. Die Beziehungen zwischen Material, Farbe und Raum werden sinnlich erfahrbar. (Abb. 44, 45)
Wacław Kuczma (*1956 Bydgoszcz) verbindet Landschaftsmalerei mit einem starken Hang zum Zeichenhaften und zur Abstraktion, denn er sucht die Form und die Ästhetik hinter den offensichtlichen Erscheinungen der Natur. Sein Interesse gilt dem Geistigen, den „inneren Sphären und einer Existenz jenseits der physischen Realität“ (Katalog). In der Folge entstehen hoch ästhetische Bildtafeln von geradezu meditativer Qualität. Der Künstler, der sich auch mit Performance beschäftigt, studierte von 1977 bis 1982 Grafik und Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Danzig bei Prof. Kazimierz Śramkiewicz. Beruflich tätig war er von 2002 bis 2016 als Direktor der Kommunalgalerie in Bydgoszcz, 2015 bis 2020 als Leiter des Zentrums für Zeitgenössische Kunst in Toruń und ist heute Direktor des Regionalmuseums in Bydgoszcz. Außerdem gibt er Kurse in Malerei an der Designfakultät der dortigen Universität für Wissenschaft und Technik. (Abb. 46, 47)
Axel Feuß, August 2022
Wir danken Jan de Weryha, Hamburg, für die freundliche Überlassung von Fotografien einzelner Werke.
Alphabetische Liste der Beteiligten:
Abakanowicz, Magdalena – Polen
Aleksandrowicz, Maciej – Polen
Ambroziak, Sylwester – Polen
Batory, Michał – Polen/Frankreich
Bluj, Robert – Polen/Litauen
Curyło, Julia – Polen
de Weryha-Wysoczański, Jan – Polen/Deutschland
Golec, Leszek & Czekalska, Tatiana – Polen
Jackowski, Michał – Polen
Kapusta, Janusz – Polen/USA
Khouri, Carolina – Polen/Libanon/Großbritannien
Kisielewicz, Justyna – Polen/USA
Kopcewicz, Tomek – Polen
Kozera, Grzegorz – Polen
Krok, Sebastian – Polen
Kuczma, Wacław – Polen
Malinowska, Julita – Polen
Miller, Martyna – Polen
Myronova, Janina – Polen/Ukraine
Natalia LL – Polen
Patelczyk, Łukasz – Polen
Rolke, Tadeusz – Polen/Deutschland
Sobczyński, Wojciech – Polen/Großbritannien
Tomaszewski, Lubomir – Polen/USA
Wocial, Paweł & Tuszyńska, Kamila – Polen
Zbylut, Agata – Polen
Die Künstlerseiten des Ausstellungs-Katalogs sind auf der Webseite der NordArt einzeln abrufbar. Dort sind in der Regel auch die Webseiten der Kunstschaffenden vermerkt, https://www.nordart.de/die-kuenstler (zuletzt aufgerufen im August 2022).
Ein kurzes Video über den Polnischen Pavillon ist auf Youtube zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=69RS-FmRVuE&t=2s