ZWEI BIOGRAPHIEN – EIN SCHICKSAL: Irena Bobowska – Bronisława Czubakowska
Was geschah am 12. Juli 1941 und an den folgenden Tagen?
In Vernehmungsprotokollen, die im Archiv der Gestapo aufgefundenen wurden, steht, dass Czubakowska am 12. Juli 1941 auf der Toilette für deutsche Mitarbeiter mit Zeitungsfetzen, die dort in einer Holzkiste als Toilettenpapier vorgehalten wurden, Feuer gelegt habe. Das Petroleum und die Streichhölzer soll sie von einer polnischen Arbeitskollegin bekommen haben. Eine Arbeiterin habe kurz darauf in der Toilette für die Zwangsarbeiterinnen Brandgeruch bemerkt und das Feuer dann zusammen mit Bronisława Czubakowska gelöscht. Diese hatte ihre Aussage mehrfach geändert, bis sie in der Vernehmung vom 25. Juli schließlich erklärte, den Brand selbst gelegt zu haben, ohne dass ihr jemand dabei geholfen oder sie dazu angestiftet hätte.[12]
Für die Gestapo war die Sache damit abgeschlossen. Die Akte wurde an die Staatsanwaltschaft am Landgericht Potsdam weitergeleitet, das schon am 10. September 1941 in einem ersten Urteil sieben Jahre Haft verhängt. Daraufhin wird der leitende Staatsanwalt beim Landgericht Potsdam, Karl Tetzlaff, noch im selben Monat auf Antrag des Justizministeriums des Dritten Reichs damit beauftragt zu prüfen, ob eine schärfere Strafe in Frage komme. Tetzlaff, der die Anklage bereits im ersten Verfahren gegen Czubakowska vertrat, gab dem politischen Druck nach und legte Revision ein, die er dann im Oktober 1941 erfolglos zurückzunehmen versuchte. Zudem musste er sich verpflichten, dem Justizminister regelmäßig über das Verfahren zu berichten.
Die Zweifel, die sich aus den widersprüchlichen Zeugenaussagen ergaben, sowie die Gründe, warum Czubakowska ihre Aussage mehrmals geändert hat, wurden weder im ersten noch im zweiten Prozess, der mit dem Todesurteil endete, geklärt. Zudem haben beide Gerichte keine plausiblen Ausführungen zum Motiv der Angeklagten gemacht. Stattdessen nahmen sie die Erklärung von Staatsanwalt Tetzlaff, die Polin hätte aus Hass auf Deutschland und die Deutschen gehandelt, unwidersprochen hin. Der juristische Grundsatz in dubio pro reo, der sich auf das Strafmaß hätte auswirken können, wurde nicht angewandt. Insofern steht außer Frage, dass die Herkunft der Angeklagten stärker ins Gewicht fiel als der von ihr verursachte Schaden. Dieser Prozess gegen Czubakowska und das Revisionsverfahren sind im Lichte der „Polen-Erlasse“ sowie der später in Kraft getretenen „Polenstrafrechtsverordnung“ Lehrbeispiele dafür, wie schmal der Grat zwischen Recht und Unrecht damals gewesen war.[13] Mehr noch: wie sich die damaligen politischen Auffassungen auf das Strafrecht ausgewirkt haben. Sie sollten Einfluss auf die Justiz nehmen und sie letztlich nach dem Willen und im Interesse der Machthaber verformen.
Das Todesurteil gegen Bronisława Czubakowska wurde am 29. April 2005 durch den Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg aufgehoben, wofür das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ (NS-Aufhebungsgesetz) vom 25. August 1998 als Rechtsgrundlage diente.[14]
Möge die Geschichte vom Tod der beiden polnischen Frauen uns allen eine Warnung sein, uns, die wir glaubten, dass die faschistische Barbarei in Nürnberg oder spätestens vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ihr Ende gefunden hat.
Wojciech Drozdek, Mai 2022
Danksagung:
Ich bedanke mich bei Ewa Maria Slaska und Anna Krenz für ihre sachdienliche Unterstützung sowie bei Ela Kargol für die kostenlose Bereitstellung von Bildermaterial. Klaus Leutner danke ich für die Einsichtnahme in das Archiv.
[12] Ein polnisches Menschenschicksal. Das Leben und Sterben von Bronisława Czubakowska aus Zgierz, Ausstellungskatalog (im Rahmen eines deutsch-polnischen Schülerprojekts), zweisprachig: deutsch/polnisch, Potsdam 2006.
[13] Mit den Polen-Erlassen vom 8. März 1940 regulierten die Nationalsozialisten die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter:innen aus Polen im DrittenReich, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Polen-Erlasse. Die Polenstrafrechtsverordnung siehe unter https://de.wikipedia.org/wiki/Polenstrafrechtsverordnung