Vom Sokół-Verein zu Dariusz Wosz – Polnischer Sport in Bochum

Im Bochumer Ruhrstadion springt der Berliner Niko Kovac während der Fußball-Zweitliga-Begegnung VFL Bochum gegen Hertha BSC Berlin über den Bochumer Andrzej Rudy, rechts der Bochumer Kapitän Dariusz Wosz, 1996.
Für den VfL Bochum auf dem Platz: Andrzej Rudy und Kapitän Dariusz Wosz, 1996

In Bochum firmierten nationalpolnische Aktivisten wie der genannte Jan Brejski und der Redakteur des „Wiarus“ Stanisław Kunca als Mitglieder des Sokół-Vereins. Seit 1899 sind die Turnvereinigungen im Ruhrgebiet aktiv. Eine zunehmende „Konfliktdisposition“ zwischen den polnischen Bergleuten und der Administration, die in diesem Jahr zu den blutigen „Herner Krawallen“ geführt hatte, motivierte die polnische Community zur Schließung einer Lücke in ihrem Organisationsgefüge.[9] Sie wurden Teil des Verbandes, der in Westpreußen und Schlesien, in Berlin und im Ruhrgebiet, bis hin nach Norddeutschland Vereine organisierte und im nationalpolnischen Sinne mobilisierte. Fünf Gaue waren in Rheinland-Westfalen angesiedelt. Die Klubs in Bochum gehörten zum rheinisch-westfälischen Gau, die Wattenscheider Vereine zum rheinischen Gau, der seinen Sitz in Wattenscheid hatte, Langendreer und Gerthe zum westfälischen Gau. In den heutigen Bochumer Stadtgrenzen befanden sich um 1910 damit 12 polnische Sokół-Vereine: Bochum, Altbochum, Wiemelhausen, Riemke, Bochum-Grumme, Bochum IV, Bochum VII[10], Wattenscheid, Linden-Dahlhausen, Weitmar, Langendreer, Gerthe. Neben einem Turnbetrieb, der an den Prinzipien des deutschen Turnens orientiert war, intendierten die polnischen Turner, Aktivitäten im Sinne polnisch-nationalkultureller Bildung zu fördern. Ungefähr 450 Mitglieder waren in den 12 Klubs gemeldet, wobei die Zahl der Aktiven zwischen 50 % und 70 % niedriger war. Das Bekenntnis zur Organisation war wie bei den deutschen Turnern des Vormärz und der 48er-Revolution häufig ein Ausweis nationalpolitischer Gesinnung, nicht immer unbedingt des Willens zur körperlichen Ertüchtigung. Weibliche Mitglieder waren in keinem der Vereine organisiert und nur der Wattenscheider Sokół-Verein turnte in einer Turnhalle.[11] Ähnlich wie die sozialistischen Arbeitersportler hatten die polnischsprachigen Einwanderer im Wilhelminischen Klassenstaat wenig Zugang zu städtischen Ressourcen. Die Zugewanderten waren in der großen Mehrheit männlich. Das preußische Vereinsgesetz von 1850, das erst 1908 vom Reichsvereinsgesetz abgelöst wurde, verbot Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen und als solche galten die Sokół-Organisationen. Nach 1908 war die Mitgliedschaft von Frauen prinzipiell erlaubt, aber die nationalkatholische, konservative Struktur der polnischen Community behinderte weiter ihre Aktivitäten. Hier beförderten sich preußische Repression, demographische Struktur der Wanderung und konservativer Katholizismus beim Konstruieren frauenfreier Räume.[12] Da die Organisationen als „politisch“ auch im Sinne des Reichsvereinsgesetzes von 1908 galten, war ihnen die Organisierung des Jugendturnens verboten. Ein Hindernis, das die Mobilisierungs- und Rekrutierungsmöglichkeiten der Sokół-Vereine stark einschränkte.

Der sportliche Betrieb der Sokół-Organisationen war auf das genannte deutsche Turnen, selten Leichtathletik und Gruppengymnastik beschränkt. Die Gruppenübungen wurden von der Zentrale vorgegeben und häufig mit patriotischer Musik unterlegt, was wichtig für die Organisierung von Festen und Umzügen war. Spielerische Aktivitäten, wie z. B. Fußball fanden praktisch nicht statt. Wettbewerbe mit deutschen Vereinen waren ausgeschlossen. Die Sokół-Vereine waren sozialpsychologisch Rückzugsraum und gleichzeitig Mobilisierungsmittel für die von Akkulturationsproblemen und Desintegrationstendenzen betroffene Community der Migranten.

Die Furcht vor antideutschen, nationalpolitischen Aktivitäten der Sokół-Turner, die die Behörden umtrieben, führten immer wieder zu Verboten von öffentlichen Aktivitäten, sodass die Gaue zeitweilig ihre Gau-Treffen, den sogenannten „zlot“, der den Zusammenflug der Falken semantisch markierte, im holländischen Winterswijk abhielten. Trotz einiger verbalradikaler Statements von Sokół-Funktionären in amerikanischen Zeitungen, erwiesen sich jedoch diese Befürchtungen der Illoyalität als haltlos. Der Ernstfall trat mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges ein. Im Februar 1917, drei Jahre nach Kriegsausbruch fasste der rheinisch-westfälische Gau, zu dem die Mehrzahl der Bochumer Vereine gehörte, in einer Eingabe an den Bochumer Polizeipräsidenten die Lage wie folgt zusammen: „Der X. Gau der poln. Turnvereine hierselbst zählten zu Anfang des Krieges etwa 1.800 Mitglieder. Sofort zu Anfang des Krieges wurden nach den uns vorliegenden statistischen Zusammenstellungen 1.152 Mitglieder zu den Fahnen gerufen.“ Und weiter über den Preis für diese Loyalität gegenüber Preußen und dem Deutschen Reich: „Bis dahin (also bis 1917, D.B.) starben 142 den Heldentod und 91 polnische Turner unseres Gaues besitzen das Eiserne Kreuz. Alle haben ihre militärischen Pflichten mit Hingabe und treu erfüllt, wovon auch die vielen Beförderungen zu Unteroffizieren zeugen. Die turnerische Vorbereitung in unseren Vereinen kam ihnen bei der Ertragung der Kriegsstrapazen sehr zu statten.“[13]

 

[9] Blecking, 2001, S. 43-44.

[10] Die merkwürdige Zählung ist wohl der Tatsache geschuldet, dass sich gerade in der ersten Phase der Etablierung des Sokół im Revier Vereine schnell wieder auflösten.

[11] Statistische Daten zu den Sokół-Vereinen in Bochum bei Blecking, 1990, S. 231-233.

[12] Hier muss daran erinnert werden, dass auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bis 1970 ein frauenfreier Raum war.

[13] Zitiert nach Blecking, 1990, S. 176-177.

Mediathek
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    Mitglieder des polnischen Turnvereins „Sokół”, 1920-1939.
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    Die Bochumer Ikone Dariusz Wosz beim Derby VfL Bochum gegen SG Wattenscheid 09.
  • Marek Leśniak, 1993

    Marek Leśniak, ehemaliger Spieler und Goalgetter der Jahre 1992-1995 bei der SG Wattenscheid 09.
  • Marek Leśniak, 1993

    Marek Leśniak, ehemaliger Spieler und Goalgetter der Jahre 1992-1995 bei der SG Wattenscheid 09.
  • Der legendäre Torschütze Marek Leśniak am Ball für die SG Wattenscheid 09

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    Mirosław Giruc, ehemaliger Spieler der SG Wattenscheid 09.
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    Der ehemalige Spieler des VfL Bochum Henryk Baluszynski lässt sich von Spielmacher Wosz feiern.
  • Andrzej Rudy und Dariusz Wosz, 1996

    Im Bochumer Ruhrstadion springt der Berliner Niko Kovac über den VfL Bochumer Andrzej Rudy, rechts der Bochumer Kapitän Dariusz Wosz, 1996.
  • Michał Probierz, 1996

    Michał Probierz, ehemaliger Spieler der SG Wattenscheid 09.
  • Krzysztof Kasak, 2013

    Krzysztof Kasak, ehemaliger Spieler der SG Wattenscheid 09.
  • Michał Probierz, 2016

    Michał Probierz, ehemaliger Spieler der SG Wattenscheid 09, machte sich nach seiner aktiven Fußballlaufbahn auch als Trainer in Polen einen Namen.
  • Thomas Eisfeld, Nils Quaschner, Piotr Ćwielong und Johannes Wurtz, 2017

    Torjubel auf Seiten des VfL Bochum bei der Begegnung gegen Greuther Fürth.
  • Marek Leśniak, Bayer Leverkusen

    Torjubel nach dem erzielten Siegtreffer am 21.10.1989 (FC Bayern - Bayer Leverkusen 0:1), Autogrammkarte
  • Marek Leśniak, Bayer Leverkusen

    Marek Leśniak, Bayer Leverkusen, Torjubel nach dem erzielten Siegtreffer am 21.10.1989 (FC Bayern - Bayer Leverkusen 0:1), Autogrammkarte - Rückseitte
  • Dariusz Wosz, VfL Bochum

    Dariusz Wosz, VfL Bochum, Autogrammkarte 1992
  • Tomasz Waldoch, VfL Bochum 1998/99

    Tomasz Waldoch, VfL Bochum 1998/99, Autogrammkarte
  • Tomasz Waldoch, VfL Bochum 1998/99

    Tomasz Waldoch, VfL Bochum 1998/99, Autogrammkarte - Rückseite
  • Henryk Baluszynski VfL Bochum

    Henryk Baluszynski VfL Bochum
  • Jacek Ratajczak VfL Bochum 1999/2000

    Jacek Ratajczak VfL Bochum 1999/2000, Autogrammkarte 
  • Jacek Ratajczak VfL Bochum 1999/2000 Rückseite

    Jacek Ratajczak VfL Bochum 1999/2000 Rückseite, Autogrammkarte
  • Miroslaw Giruc SG Wattenscheid 09

    Miroslaw Giruc SG Wattenscheid 09, Autogrammkarte 14.4.1998
  • Miroslaw Giruc SG Wattenscheid 09 Rückseite

    Miroslaw Giruc SG Wattenscheid 09 Rückseite, Autogrammkarte 14.4.1998