Sammler, Physiker, Unternehmer: Tomasz Niewodniczański
Die Einkünfte aus seiner beruflichen Tätigkeit erlaubten es Niewodniczański, eine kartographische Sammlung aufzubauen, die heute als eine der größten und wertvollsten Privatsammlungen in Europa gilt. Für den Kauf der Exponate setzte Tomasz Niewodniczański sein gesamtes Geld und seine gesamte verfügbare Zeit ein, wobei der Geldwert der Kollektion nur schwer zu schätzen ist. Fachkreise sprachen von vielen Millionen Euro, wobei sogar 100 Millionen Euro taxiert worden sind. Seine Leidenschaft für die Kartographie entdeckte Tomasz Niewodniczański 1967, als er von seiner Frau eine Ansicht von Damaskus aus dem Druckwerk von Braun und Hogenberg aus dem Jahre 1576 geschenkt bekam.[1] Niewodniczański hatte ein Sammlernaturell seit er als Kind Briefmarken für sich entdeckte. Dutzende der in vierzig Jahren zusammengekommenen Objekte bestehen aus Karten und Atlanten mit Abbildungen polnischer Gebiete seit 1815. Mit Ausnahme des Werks von Gerard de Jode mit dem Porträt Stefan Batorys verfügt die Sammlung grundsätzlich über alle bekannten kartographischen Darstellungen Polens.[2] Dieses Ziel der Vollständigkeit hat die Arbeit des Sammlers von Anfang an inspiriert. Erworben wurden die Objekte in renommierten Auktionshäusern und von Privatleuten, vor allem in Westeuropa. Insbesondere aber enthielt der Bestand an Polonica und Karten Werke, die in Polen nicht mehr aufzufinden waren. Zu diesen raren ikonographischen Stücken gehören unter anderem die Warschauer Veduten von Bernardo Belotto Canaletto, P. R. de Tirregaille's Warschauer Stadtplan aus dem Jahre 1762, eine Stadtansicht von Krakau aus der Feder von Matthäus Merian sowie der unter Napoleon entstandene Danziger Stadtplan von 1812.[3] Niewodniczański besaß jedoch auch 1.000 Blätter deutsche Kartenwerke sowie 200 Karten des Herzogtums Luxemburg, zu dem seine Wahlheimat Bitburg gehörte. Das Hauptaugenmerk galt jedoch den Polonica. So schrieb er im Vorwort zum Katalog der Ausstellung „Imago Poloniae. Das polnisch-litauische Reich in Karten, Dokumenten und alten Drucken in der Sammlung von Tomasz Niewodniczański“: „Erst viele Jahre später, nach meiner Emigration aus Polen zu Beginn der siebziger Jahre, entwickelte ich ein ernsteres, „professionelles“ Verhältnis zu meiner Sammlertätigkeit, was sicherlich sowohl mit dem Verlassen der Heimat und der Sehnsucht nach ihr als auch mit meinem früheren Interesse für Geschichte zusammenhing.“
Wenn Niewodniczański Objekte erwarb, konnte es sich auch um ganze Bestände handeln, wie im Fall der Sammlung alter Karten Polens von Halina Malinowska in Genf oder im Fall des Konvoluts von 360 Pergamenthandschriften aus Łańcut, das Alfred Graf Potocki gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ausgeführt hat.[4] In diesem Sinne kam er in London in den Besitz von rund 400 Dokumenten und Briefen der Familie Radziwiłł. In New York kaufte er nach dem Tod Aleksander Janta-Połczyńskis 1976 außer alten Karten auch Mickiewiczs Briefe an Odyniec.[5] Dies war die Initialzündung dafür, dass Niewodniczański fortan auch namhafte alte Autographen gesammelt hat und auf diesem Gebiet Zeugnisse aller polnischen Könige seit Kasimir dem Großen zusammentrug.[6] 1996 kaufte er in New York rund 140 Manuskripte und Typoskripte von Julian Tuwim aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, die im Jahr 2000 veröffentlicht wurden.[7] In diesen Teil der Sammlung fanden außerdem rund 200 Briefe von Jarosław Iwaszkiewicz an Artur Błeszyński Eingang.[8] In Portugal erwarb Niewodniczański über 200 Briefe von Kazimierz Wierzyński.[9] Zu den besonderen Kleinodien der Handschriften zählen der Brief von Zarin Katharina II. an Stanisław Poniatowski, in dem sie dem Truchsess von Litauen den polnischen Thron verspricht, interessante Dokumente aus der Hand von Tadeusz Kościuszko, zahlreiche Schreiben Napoleon Bonapartes und der Brief von Capitaine Charles de Gaulle mit der Schilderung seiner Teilnahme an der Schlacht um Warschau am 15. August 1920. Außerdem enthält die Sammlung Bücher mit Widmungen von Schriftstellern und berühmten Persönlichkeiten sowie über 1.500 Briefe von Gefangenen in deutschen Konzentrationslagern.
Ein wertvolles Exponat aus Tomasz Niewodniczańskis Sammlung ist das „Album Moszyńskiego“ (Moszyński-Album), ein Notizbuch mit 99 Seiten, in das Adam Mickiewicz während seines Aufenthaltes auf der Krim und in Odessa 42 Gedichte niedergeschrieben hat. Anlässlich von Niewodniczańskis Besuch in Polen wurde ihm das „Album“ 1993 gestohlen, wobei das eigentliche Objekt der Begierde der Diebe sein Auto und nicht das äußerst kostbare Notizbuch in dessen Kofferraum gewesen ist. Die Verhandlungen mit den Dieben dauerten drei Jahre, bis das Album zurückgekauft werden konnte.
[1] Der Theologe Georg Braun (1541–1622) und der Kupferstecher Frans Hogenberg (1535–1590) gaben das umfassende Werk „Civitates Orbis Terrarum“ heraus.
[2] Gerard de Jode (1509–1591), niederländischer Kartograph, Graveur und Verleger; Stefan Batory (1533–1586), Großfürst von Litauen und polnischer König von 1576 bis 1586.
[3] Bernardo Belotto, genannt Canaletto (1722–1780), venezianischer Maler, wirkte seit 1767 bis zu seinem Tod in Warschau; Pierre Ricaud de Tirregaille (um 1725 – nach 1772), französischer Architekt und Ingenieur, wirkte von 1752 bis 1772 in Polen; Matthäus Merian der Älterer (1593–1650), schweizerisch-deutscher Kupferstecher und Verleger.
[4] Alfred Graf Potocki (1822–1889), polnischer Aristokrat, Ministerpräsident Cisleithaniens in Österreich-Ungarn.
[5] Aleksander Stanisław Janta-Połczyński (1908–1974), polnischer Dichter, Publizist, Übersetzer, Sammler und Bibliophiler; Adam Mickiewicz (1798–1855), einer der bedeutendsten Dichter der Polnischen Romantik; Antoni Edward Odyniec (1804–1885), polnischer Lyriker, Dramatiker und Übersetzer.
[6] Kasimir der Große (1310–1370), polnischer König von 1333 bis 1370.
[7] Julian Tuwim (1894–1953), polnischer Lyriker.
[8] Jarosław Iwaszkiewicz (1894–1980), polnischer Schriftsteller, Publizist, Kritiker und Übersetzer.
[9] Kazimierz Wierzyński (1894–1969), polnischer Schrifsteller.