Paderewski in Breslau
„Musik allein ist in der Tat eine lebendige Kunst. Ihre Elemente, ihre Vibrationen, ihre Schwingungen sind Elemente des Lebens. Leise, aber hörbar, gewaltig, aber unerkannt ist sie überall dort, wo das Leben ist”
Aus der Ansprache von Ignacy J. Paderewski anlässlich der Chopin-Festlichkeiten am 23. Oktober 1910 in Lemberg.
Ignacy J. Paderewski (1860 – 1941) ist ein „Pole von einzigartigem Rang”[1], weltbekannter Pianist, Komponist, Staatsmann und Sozialaktivist. Er ist eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche, wenn auch ein wenig in Vergessenheit geratene Persönlichkeit.[2] „Als Fürsten der Pianisten hat ein Pariser Musikkritiker Paderewski bezeichnet. Doch kein einziger Fürst weltweit, nicht einmal ein regierender, genoss eine so große Popularität wie die, derer sich der Schöpfer der „Manru” in seiner größten Zeit jeden Tag erfreute.”[3] Der Musiker und Komponist Krzesimir Dębski rief erst unlängst in einer Fernsehsendung die Erinnerung an das gesellschaftliche Phänomen des Künstlers Paderewski zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten wach und verglich ihn dabei mit den heutigen Superstars der Pop-Musik wie Michael Jackson![4]
1890 feierte Ignacy J. Paderewski nach seinen ersten Auftritten in Wien seinen Erfolg in Paris, wo seine Chopin-Interpretationen begeistert aufgenommen wurden. Wojciech Kossak erinnerte sich in einem Brief an seine Gattin an ein Recital des Künstlers in Paris und schrieb: „Heute gab es ein Konzert zum Tag des hl. Kasimir, zu dem ich gegangen bin. Paderewski spielte wie ein Engel, das gesamte polnische ‚high life‘ war dort […]”[5]. Dieser Vergleich spiegelt wunderbar die Anziehungskraft des Pianisten wider, der sich bei seinen Musikinterpretationen gleichzeitig in einen „Engel” verwandelte. Dieser „Engel” verlieh den Tönen eine metaphysische Dimension und entführte die Zuhörer in eine unsichtbare, übersinnliche Welt; „(…) man verfiel einem extatischen Eindruck, eine immaterielle Verbindung mit der KUNST eingegangen zu sein, eine Kommunion mit der überirdischen Schönheit”.[6] Zudem war Paderewskis Spiel die Quintessenz des Polentums, nicht nur des äußerlich verstandenen, das im tänzerischen Elan der Polonaisen oder Mazurkas zum Ausdruck kam, sondern auch des wahren Polentums, das von der Nation tief erlebt und tief empfunden wurde. Denn selbst wenn der Künstler den größten Teil seines Lebens im Ausland verbrachte, fühlte er sich stets als Pole, was er oft unterstrich und worauf er sehr stolz war.
[1] Im Paderewski-Jahr 2001 hat das Ignacy-Jan Paderewski-Museum der Polnischen Emigration - Abteilung des Nationalmuseums in Warschau [Muzeum Ignacego J. Paderewskiego i Wychodźstwa Polskiego – Oddział Muzeum Narodowego w Warszawie] eine Ausstellung unter dem Titel „Paderewski-Jahr” organisiert und das Begleitheft „Polak miary niepospolitej. Ignacemu Janowi Paderewskiemu w 140.rocznicę urodzin” [Ein Polen von außergewöhnlichen Größe. Ignacy Jan Paderewski zum 140. Geburtstag] herausgegeben.
[2] In Wrocław wurde 2001 von der Ignacy Paderewski-Stiftung für den Wiederaufbau der Demokratie [Fundacja Odbudowy Demokracji im. Ignacego Paderewskiego] anlässlich einer dem Maestro gewidmeten Ausstellung im Breslauer Rathaus an Paderewski erinnert. Vgl.: C. Kaszewski, Fortepian i polityka, [in:] „Słowo Polskie” vom 2.–3.05. 2001, S. 14.
[3] A. Grzymała-Siedlecki, Fundator Pomnika Grunwaldzkiego [ein Bericht über das künstlerische und private Leben von Jan Paderewski], [in]: Ignacy Jan Paderewski – artysta, społecznik, polityk – w opiniach jemu współczesnych. Antologia tekstów historycznych i literackich dla uczczenia 150. rocznicy urodzin wielkiego Polaka, hg. von M. M. Drozdowski und X. Pilch- Nowakowska, Warszawa 2012, Bd. 2 , S. 381.
[4] „Magazyn kulturalny - drugie śniadanie mistrzów”, eine Sendung des TV-Senders TVN24 am 11.05. 2013.
[5] W. Kossak, Listy do żony i przyjaciół ( 1883 – 1942), hg. von K. Olszański, Kraków, Wrocław 1985, Bd. I , S. 176.
[6] J. Waldorff, Wygrał Polskę na fortepianie, [in:] Ignacy Jan Paderewski – artysta, społecznik, polityk – w opiniach jemu współczesnych. Antologia tekstów historycznych i literackich dla uczczenia 150. rocznicy urodzin wielkiego Polaka, hg. von M. M. Drozdowski und X. Pilch-Nowakowska, Warszawa 2012, Bd. 1, S. 294.
Im selben Jahr unternahm Paderewski seine erste Tournee durch Großbritannien. Mit seinen temperamentvollen Konzerten verzauberte er das anfänglich kühle englische Publikum.[7]
Auf besondere Einladung der Königin Victoria gastierte er auf Schloss Windsor, wo er die Gastgeberin mit der Kraft und Tiefe seines künstlerischen Ausdrucks entzückte.[8]
In London erregte Paderewski auch mit seinem sehr originellen Äußeren, schlanke Gestalt mit blassem Gesicht, das von hellroten buschigen Haaren umrahmt war, großes Interesse. Adam Zamoyski bemerkte zutreffend, „(…) angesichts der Haarfarbe war das ein Kopf, von dem die Maler der Gruppe der sogenannten Präraffaeliten nur träumen konnten”.[9] Hier ist noch zu ergänzen, was Edward Burne-Jones (1833-1898) nach seinem Treffen mit Paderewski gesagt haben soll: „Zur Zeit hält sich in London ein gewisser schöner Jüngling mit dem Namen Paderewski auf und ich hätte gern ein solches Gesicht und würde gern so aussehen wie er (…)”. [10] Auch der Pianist Harold Bauer war von dem Äußeren des Maestros verzaubert: „Ich sah seinen Kopf als er auf die Bühne der St. James Hall trat und ich werde ihn niemals vergessen”.[11]
[7] Die Zeitung „Gazeta Lwowska” (Nr. 121, vom 30.05.1894) veröffentlichte die Anekdote „Paderewski i angielska „lady” [Paderewski und die englische „Lady”], die Paderewskis Erfolg bei den Frauen anlässlich eines Besuchs auf den Britischen Inseln thematisiert. Ich zitiere den vollen Text: „Der ausgezeichnete Pianist muss viel Unerquickliches erdulden, die ihm die außer sich geratenen Damen der hohen Londoner Gesellschaft bieten. Schüchtern, mit gesenkten Blicken, entbrennen die schlanken englischen „Damen” bei Paderewskis Spiel und töten ihn mit ihren Gefühlsausbrüchen. Die leidenschaftlichen Töchter Albions geben dem armen Künstler keine Ruhe, magnetisieren ihn durch ihre Blicke, elektrisieren ihn durch den Druck ihrer langfingrigen Hände. Wie eine Londoner Zeitung berichtet, spielte Paderewski vor ein paar Tagen in einem der großen Kunstsalons. Plötzlich nähert sich eine gewisse Frau dem Flügel, greift nach der Hand des Künstlers und drückt ihren Mund auf sie. Der Künstler reißt seine Hand aus ihrer und streift sie dabei unabsichtlich im Gesicht. Diese vermutet eine Ohrfeige und sinkt in Ohnmacht. Erst später klärt sich die Situation auf, woraufhin sich die Gesellschaft beruhigt”.
[8] W. Dulęba, Z. Sokołowska, Ignacy Jan Paderewski. Mała kronika życia pianisty i kompozytora, Kraków 1960, S. 56.
[9] A. Zamoyski, Paderewski, Warszawa 2010, S. 62.
[10] Zamoyski, op. cit., S. 62.
[11] Zamoyski, op. cit., S. 61.
Paderewskis exzentrisches Erscheinungsbild machte ihn zum idealen Modell, das viele Maler seiner Zeit für ihre Arbeit nutzten. So fertigte der bereits erwähnte Burne-Jones eine Bleistiftzeichnung des Kopfes des Pianisten[12], während Lawrence Alma-Tadema (1836-1912) das in der Kunstgeschichte bekannte Ölporträt des Künstlers schuf.[13] An dieses Gemälde erinnerte sich Paderewski in seinen diktierten Tagebüchern: „(…) Alma-Tademas Porträt ist aus Sicht der Kunst ein wahres Meisterstück”.[14] Der Maler stellt den Künstler vor einem Hintergrund dar, der aus zwei farbigen Flächen besteht: einer orange-gelben Textiltapete und einer dunklen, olivengrünen Wandvertäfelung. Die Tonalität des Bildes basiert auf der kontrastreichen Zusammenstellung der Farben, wobei der Hell-Dunkel Kontrast augenfällig ist: Das helle Gesicht und das weiße Hemd stechen von dem dunklen Frack ab. Diese Farbübergänge werden von den verwischten Konturen gemildert. Dieses wunderbare akademische Porträt gehört in den Porträtzyklus berühmter Musiker der viktorianischen und der edwardianischen Epoche, den Alma-Tadema geschaffen hat.[15] Es befindet sich heute in den Sammlungen des Nationalmuseums Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie.
Am Rande sei noch erwähnt, dass sich Paderewski mit Alma-Tadema sehr befreundet hat. Der Maler nahm aufgrund seiner Einladung an den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Frédéric Chopin im Oktober 1910 in Lemberg teil, anlässlich dessen auch das erste Treffen Polnischer Musiker stattgefunden hat.[16]
[12] D. Walawender-Musz (Hg.), Śladami prerafaelitów. Artyści polscy i sztuka brytyjska na przełomie XIX i XX w., [Ausstellungskatalog], Muzeum Pałac w Wilanowie, Warszawa 2006, S. 32.
[13] R. Ash, Sir Lawrence Alma- Tadema, London 1995, [S. 4].
[14] I. J. Paderewski, Pamiętniki, transkribiert von M. Lawton, Kraków 1972, Bd. 1, S. 238.
[15] I. Danielewicz (Hg.), Akademizm w XIX w. Sztuka europejska ze zbiorów Muzeum Narodowego w Warszawie i innych kolekcji polskich, [Ausstellungskatalog], Muzeum Narodowe w Warszawie, Warszawa 1998, S. 46.
[16] „Kurjer Lwowski”, Nr. 493, vom 24.10.1910.
Das Paderewski-Porträt von Lawrence Alma-Tadema entstand im Sommer 1891.[17] Daher ist anzunehmen, dass der Künstler genauso ausgesehen hat, als er Breslau ein paar Monate zuvor, im Februar 1891, erstmals besuchte. Berühmt war er damals noch nicht. Seine lebhafte Künstlerkarriere hatte gerade begonnen und einer der wichtigsten Momente in dieser Karriere, das amerikanische Debüt in der New Yorker Music Hall (der heutigen Carnegie Hall) am 17. November 1891, stand noch bevor.[18]
Die Breslauer Melomanen haben Paderewski als Komponisten des beliebten, gern gespielten „Menuetts in g-dur” gewiss gekannt. Umso größer war die Neugier auf die persönliche Begegnung des Publikums mit dem Klaviervirtuosen. Ignacy J. Paderewski trat in der Hauptstadt Niederschlesien am 6. Februar 1891 im Saal der Neuen Börse an der Graupenstraße (heute ul. Krupnicza) auf.[19] Das Konzert begann um halb acht Uhr abends und umfasste Werke von Beethoven, Schumann, Chopin und Liszt sowie drei eigene Kompositionen des Pianisten. Der Künstler trug auf einem Bechstein-Flügel vor und eroberte die Herzen der Zuhörer mit seinem expressiven Spiel. Dieser Auftritt wurde mit sehr wohlwollender Kritik bedacht. Der bekannte Breslauer Musiker und Musikwissenschaftler Emil Bohnen drückte seine Bewunderung für die meisterhafte Technik und die vorzüglichen Interpretationen des Künstlers in einer sehr umfangreichen Besprechung auf der ersten Seite der „Breslauer Zeitung” aus.[20] Ähnlich in der Tonalität äußerte sich Ernst Flügel, ein anerkannter Musikkritiker, der für die „Schlesische Zeitung” schrieb, indem er resümierte: „Hr. Paderewski ist der brillanteste Klavierspieler, den ich jemals und wo auch immer zu hören bekam”.[21]
[17] D. Walawender-Musz (Hg.), Śladami prerafaelitów ….., S. 31.
[18] M. Perkowska, Diariusz koncertowy Ignacego Jana Paderewskiego, Kraków 1990, S. 45.
[19] A. Zieliński, Koncert Paderewskiego we Wrocławiu, [in:] Kalendarz Wrocławski 1979, S. 215.
[20] „Breslauer Zeitung“, Nr. 97, vom 8.02.1891.
[21] „Schlesische Zeitung“, Nr. 97, vom 8.02.1891.
Berichtenswert ist auch die Rezension des „Dziennik Poznański” (Posener Zeitung), in der das Konzert als „wahres Fest für die Seele” bezeichnet und seine außergewöhnliche künstlerische Bedeutung unterstrichen wird: „Berechtigt sind auch die Freude und der Stolz, die wir Polen als Zeugen des Triumphs unseres herausragenden Landsmanns empfinden; dieser Triumph ist umso größer, als er inmitten eines fremden, uns voreingenommenen Elements stattgefunden hat.”[22]
Zu betonen ist, dass Paderewski eine außergewöhnliche charismatische Persönlichkeit war. Dabei besaß er die seltene Fähigkeit, seinen Konzerten eine einmalige Aura zu verleihen, sodass das Publikum von dem Zauber seines Spiels hingerissen war. Tadeusz Szeligowski erklärte dies so: „Paderewski spielt nicht für Pianisten, nicht für Musiker – er spielt schlicht und einfach für die Menschen. Er trifft jeden Nerv in ihnen und erfasst jeden Winkel ihrer Seelen. Er zwingt ihnen seine Konzeptionen auf, die in diesem Augenblick als die einzig mögliche Lösung anzunehmen sind. Die Komposition, die Paderewski spielt, ist nur ein Vorwand für die Manifestation der Magie des großartigen Künstlers.”[23]
Die Vorzüge des Erscheinungsbildes des Künstlers hinterließen bei den Zuhörern einen suggestiven Eindruck. Außerdem war man von der Anmut, der Gelehrtheit und den äußerst gepflegten Umgangsformen des Maestros zutiefst eingenommen. All dies führte dazu, dass er kurz nach seinem Pariser Debüt zu einem Idol der Massen in Europa und Amerika werden konnte.
In den Jahren 1891 bis 1901 feierte Paderewski ununterbrochen Erfolge. Seine Auftritte in den Vereinigten Staaten trafen auf große Begeisterung des Publikums. Der Fall Paderewski war dort, wie schon eingangs erwähnt, ein ungewöhnliches gesellschaftliches Phänomen. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass der Künstler der erste Pianist auf der Welt war, der so viele und so weite Tourneen unternahm und der einen so großen Verehrerkreis für sich gewann. Mit Ausnahme Asiens konzertierte er auf allen Kontinenten. Sein Klavier-Repertoire umfasste vor allem Werke der Romantik, vornehmlich von Chopin und Liszt, sowie eigene Kompositionen. Fast jedes Konzert aber eröffnete er mit einer Sonate Beethovens, meist mit der „f-moll-Sonate” (der sogenannten Appassionata) oder der „cis-moll-Sonate” (auch als Mondscheinsonate bekannt).
Bevor der Stern des genialen Virtuosen Paderewski hoch und höher stieg, war der Künstler bereits als Komponist bekannt. Außer dem erwähnten „Menuett in g-dur” komponierte er unter anderem das „Mai-Album” (Album Majowe) op. 10, den Satz-Zyklus unter dem Titel „Tatra-Album” (Album Tatrzańskie) op. 12, der aufgrund aufgezeichneter Melodien der Goralen entstand, sowie Lieder zu Gedichten von Adam Mickiewicz und Adam Asnyk. Für seine beste Komposition hielt er selbst die „Variationen und Fuge auf ein Originalthema” (Wariacja i fuga na temat własny) op. 11.
Im Mai 1901 fand am Königlichen Hoftheater Dresden [der heutigen Semperoper] die Uraufführung von Paderewski Oper „Manru” statt. Das Libretto schrieb Alfred Nossig. Die literarische Vorlage lieferte der Roman „Chata za wsią” (Eine Hütte hinter dem Dorf) von Józef Ignacy Kraszewski. Die polnische Premiere der Oper fand am 8. Juni 1901 in Lemberg statt. Die Titelarie sang der bekannte Tenor Aleksander Bandrowski. Der Komponist wurde vom Publikum enthusiastisch empfangen.[24] Das Gebäude des Stadttheaters Lemberg wurde eigens für diese Premiere dekoriert und mit der Leuchtschrift MANRU versehen.[25] Die Oper erfreute sich eines nennenswerten Erfolgs und wurde daraufhin von vielen Opernhäusern in Europa und Amerika aufgeführt.
Im Herbst 1901 kam der nun vom Glanz des Ruhms umstrahlter Paderewski abermals nach Breslau. Das Konzert des Maestros fand am 26. Oktober im hoch herrschaftlichen Großen Saal des Breslauer Konzerthauses an der Gartenstraße (heute ul. Piłsudskiego) statt.[26] Diesmal spielte der Künstler auf einem Flügel des Klavierbauers Steinway, für den er warb und dem er durch einen langfristigen Vertrag verbunden war.[27] Sein Auftritt wurde vom Publikum und von den Musikkritikern begeistert aufgenommen. Der entzückte Emil Bohn teilte in der „Breslauer Zeitung” mit, dass der Pianist das Auditorium mit seinem packendem Spiel fest im Griff hatte. Er unterstrich, dass der Künstler bei seinem ersten Auftritt in Breslau im Jahre 1891 noch am Anfang seiner faszinierenden Karriere stand, während er nun vom Erfolg und vom Ruhm eines genialen Virtuosen umfangen wurde.[28] Deshalb überstieg das Interesse des Publikums an dem Konzert alle kühnsten Erwartungen, was der zum Bersten gefüllte Saal mit damals 1.478 Sitzplätzen bewies![29]
Der Korrespondent der Zeitung „Dziennik Poznański” (Posener Zeitung) hat dieses Konzert, wie schon zehn Jahre zuvor, ebenfalls nicht ignoriert: „Der Auftritt unseres großen Landsmanns Paderewski am letzten Samstag war ein Triumph polnischer Kunst. Das Publikum hat den Großen Saal des Konzerthauses bis auf den letzten Platz okkupiert. Als der Künstler auf der Bühne erschien, wurde er mit einem Beifallssturm begrüßt. Mit jedem dargebotenen Stück von Bach, Beethoven, Chopin, Liszt und der eigens komponierten „Nocturne” nahm der Applaus immer mehr zu. Einen vergleichbaren Enthusiasmus des Publikums hat man hier noch nicht erlebt. Paderewski wurde zig Mal auf die Bühne gerufen. Das begeisterte Publikum forderte Zugaben und hörte gleich vier davon, darunter auch das laut verlangte „Menuett” des Künstlers, das fast in jedem hiesigen musikalischen Haushalt gehört werden kann”.[30]
Auch hier in Schlesien, wie schon einige Jahre zuvor in London, weckte der Künstler mit seinem Erscheinungsbild Interesse. „Er war keine Schönheit im wahrsten Sinne des Wortes, doch seine Gesichtszüge verströmten eine Harmonie, die von den Anwesenden aufgenommen wurde, als hätten sie eine lange ersehnte Vollkommenheit und Schönheit angetroffen”.[31]
Bei seinem zweiten Aufenthalt in Breslau wurde Paderewski von Max Wislicenus (1861-1957), Professor der städtischen Kunst- und Gewerbeakademie, porträtiert.[32] Hier ist hervorzuheben, dass Wislicenus 1901 einen Superstar der damaligen Klavierkunst, einen genialen Virtuosen und charismatischen Künstler verewigte.
[26] M. Perkowska, op. cit., S. 91.
[27] D.Taylor, Paderewski’s Piano, [in:] Smithsonian Magazine, Vol. 29, March 1999, S. 32-34.
[28] „Breslauer Zeitung“, Nr. 760, vom 29.10.1901.
[29] J. Subel, Działalność Schlesische Philharmonie, [in:] H. Okólska und H. Górska (Hg.), Przedmieście Świdnickie we Wrocławiu, Wrocław 2012, S. 247.
[30] „Dziennik Poznański”, Nr. 250, vom 30.101901.
[31] A. Zamoyski, op.cit., S. 11.
[32] P. Łukaszewicz, Malarstwo niemieckie. Od klasycyzmu do symbolizmu, [Bestandskatalog], Muzeum Narodowe we Wrocławiu, Wrocław 2012, S. 229.
Paderewskis Brustbild wurde im Rechtsprofil (Ausmaße: 40 x 40 cm) auf dunkelgrauem Hintergrund dargestellt. Die Form des Kopfes holt der Maler mit sichtbaren Pinselstrichen und mit Hilfe des Lichts von links hervor. Das Gesicht wird von Rosatönen dominiert, während die Haare und der Schnurrbart durch Farbflecke, die in verschiedenen Orange- und Rostbrauntönen gehalten sind, hervorgehoben werden.
Als Wislicenus Paderewski malte, stand er sicher so wie der bereits erwähnte Harold Bauer unter dem Eindruck des einzigartigen Äußeren sowie der einnehmenden Persönlichkeit seines Modells.
Dieses Porträt befand sich lange Jahre in der Privatsammlung der Familie von Max Wislicenus und war der Öffentlichkeit völlig unbekannt. Im Jahre 1993 hat die Enkelin des Malers, Claudia Sprengell, das Bild dem Breslauer Nationalmuseum/Muzeum Narodowe we Wrocławiu geschenkt.[33]
Ebenso interessant scheint das Paderewski-Porträt zu sein, das in einer Breslauer Privatsammlung aufgefunden wurde und das sich heute glücklicherweise in den Beständen der Ossoliński-Nationalbibliothek Breslau/Zakład Narodowy im. Ossolińskich we Wrocławiu befindet. Es wurde von dem Lemberger Maler Włodzimierz Błocki (1885-1920) gemalt[34], einem bedeutenden Porträtisten, zu dessen Werk auch Genreszenen und graphische Arbeiten gehörten. Er nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen teil und wurde anlässlich ihrer Würdigungen als „überdurchschnittliches, interessantes und sehr vielseitiges Talent” gefeiert. Dabei wir betont, dass ihm „eine größere Aufmerksamkeit gebührt”.[35] 1918 schrieb ein Kritiker wie folgt über seine Arbeiten: „Die wunderschön subtilen Aquarelle des Włodzimierz Błocki und seine Ölbilder weisen all die Vorzüge seines Pinsels auf, seine Feinsinnigkeit, die sehr gute Qualität seiner Zeichnungen sowie die originäre Art und Weise der Bewältigung der Themen”.[36]
[33] Ibidem, S. 231.
[34] Słownik artystów polskich i obcych w Polsce działających. Malarze, rzeźbiarze, graficy, Bd. I (A-C), Wrocław, Warszawa, Kraków, Gdańsk 1971, S. 184.
[35] „Gazeta Lwowska”, Nr. 226, vom 5.10.1909.
[36] „Gazeta Lwowska”, Nr. 272, vom 18.12.1918.
Błocki lebte und arbeitete in Lemberg und verbrachte nur seine beiden letzten Lebensjahre wegen seiner Tuberkulose-Erkrankung in Zakopane.[37] Das Konterfei eines gut aussehenden Mannes mit dem charismatischen Äußeren, das sicher Ignacy J. Paderewski darstellt, schuf er noch in Lemberg. Das in Pastell gemalte Bildnis (Ausmaße: 52,5 x 63 cm) ist eins der spannendsten Porträts des Künstlers. Es zeigt das Brustbild des Maestros en face. Das voll konzentrierte Gesicht, die geschlossenen Augen und das wuschelige Haar rufen die Atmosphäre auf, die seine Konzerte prägte und die sein Schüler, der Pianist Henryk Sztompka, so überzeugend beschrieb: „Jedes Konzert von Paderewski wurde durch seine außergewöhnliche Varsammeltheit, durch die Atmosphäre, durch die Wirkung seiner enormen Individualität, die unwiderstehliche Suggestion und seine unangefochtene Beherrschung der Masse zu einem kollektiven Gottesdienst, zu einem Mysterium.”[38] Man hat den Eindruck, dass es Błocki wunderbar gelungen ist, die Stimmung dieses Mysteriums einzufangen und durch die geschmackvolle kühle Farbgebung auch noch zu unterstreichen.
Neben der Signatur in der unteren rechten Ecke steht das Jahr 1912. Im Mai dieses Jahres wurde in Lemberg der 250. Jahrestag der Gründung der Lemberger Universität feierlich begangen. Zu den mit dem Ehrendoktor der Philosophie ausgezeichneten Persönlichkeiten zählte auch Ignacy J. Paderewski.[39] Einen Besuch des Pianisten in der Hauptstadt Galiziens meldet die damalige Presse jedoch nicht.[40] Demnach hat der Künstler die Auszeichnung der Lemberger Alma Mater höchstwahrscheinlich nicht persönlich entgegengenommen, wobei er vermutlich deshalb nicht zu diesen Feierlichkeiten angereist ist, da er erst kurz zuvor von seiner strapazenreichen Tournee durch Süd-Afrika zurückkehrt war.[41] Demnach könnte Błocki den Maestro zwei Jahre früher, also im Oktober 1910, getroffen haben, als er in Lemberg bei den Chopin-Festlichkeiten zugegen war, allerdings ohne damals ein Konzert gegeben zu haben.[42] Daraus wäre zu schließen, dass der Künstler sein Paderewski-Porträt nach dem Bild des Pianisten malte, das er in Erinnerung behielt, und sich dabei darauf konzentrierte, die Stimmung einzufangen, in der der Maestro seine musikalische Kunst zum Besten gab. Dafür spricht auch ein Detail des Bildnisses, nämlich der Schnurrbart des Virtuosen, der auf Błockis Porträt länger ausfällt, als ihn Paderewski üblicherweise trug. Das hier besprochene Porträt aus Błockis Hand gelangte 1945 mit den aus den ehemaligen polnischen Gebieten im Osten des Landes ausgesiedelten Polen nach Niederschlesien. Dabei handelt es sich mutmaßlich um das einzige Bildnis des Pianisten, das in Pastell gehalten ist.
An dieser Stelle ist noch an eine weniger bekannte Darstellung des Maestros zu erinnern, eine Porträtstudie von Charles Giron (1850-1914)[43], die 1911, also zur selben Zeit wie Błockis Arbeit, entstand und die sich heute in den Beständen des Musée des Beaux-Arts in Lausanne befindet. Eine Abbildung der Studie findet sich in der Paderewski-Biographie des schweizerischen Diplomaten und Musikkenners Werner Fuchss.[44]
[37] „Goniec Krakowski”, Nr. 180, vom 4.07.1920.
[38] H. Szompka, Pamięci Mistrza, [in:] Ignacy Jan Paderewski – artysta, społecznik, polityk – w opiniach jemu współczesnych. Antologia tekstów historycznych i literackich dla uczczenia 150. rocznicy urodzin wielkiego Polaka, hg. von M. M. Drozdowski und X. Pilch- Nowakowska, Warszawa 2012, S. 126.
[39] „Kurjer Lwowski”, Nr. 243, vom 29.05.1912.
[40] Die Zeitung „Gazeta Lwowska” enthielt damals die Rubrik „Przyjechali do Lwowa” [Zu Besuch in Lemberg], in der die Visiten wichtiger Persönlichkeiten in Lemberg mit größter Sorgfalt aufgeführt wurden. Da in einigen Nummern Ende Mai 1912 der Name Ignacy J. Paderewski nicht zu finden war, wurde der Schluss gezogen, dass dieser bei den Feierlichkeiten zum Gründungstag der Lemberger Universität nicht gekommen war.
[41] M. Perkowska, op. cit., S. 130.
[42] I. J. Paderewski, op. cit. Bd. 2, S. 223.
[43] Allgemeines Künstler Lexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Vőlker, Bd. 55, München, Leipzig 2007, S. 280-281.
[44] W. Fuchss, Paderewski. Une vie, une œuvre, o. Ortsangabe, 1999.
Ein weiteres Porträt des Maestros (Ausmaße: 38,3 x 30,5 cm) befindet sich im Besitz der Breslauer Ossoliński-Nationalbibliothek ((Zakład Narodowy im. Ossolińskich we Wrocławiu). Es stammt von einem unbekannten Künstler, wird auf Anfang des 20. Jahrhunderts datiert und ist Teil der Privatsammlung der Eheleute Jan und Jadwiga Nowak-Jeziorański, die dem Ossolineum [andere Bezeichnung der Ossoliński-Nationalbibliothek] 2005 geschenkt wurde. Fest steht, dass dieses Porträt auf Grund einer Fotografie entstand, die zwischen 1890 und 1892 in London gemacht wurde.[45] Neben dem Bildnis von Alma-Tadema ist dies eine weitere Paderewski-Darstellung, die auf die Zeit seines ersten Besuchs in Breslau datiert. Die Fotografien, die der Künstler als Vorlagen für seine Arbeiten nutze, stellten einen jungen, interessanten Künstler dar und wurden von Paderewski als Handreichungen für die Freunde seines Talents verwendet.
Die beiden in diesem Text ausführlich beschriebenen Porträts Ignacy J. Paderewskis von Wislicenus und Błocki haben hohes künstlerisches Niveau und sind dennoch in der Kunstgeschichte kaum bekannt. Besonders das bisher unveröffentlichte Porträt von Włodzimierz Błocki zeichnet sich durch eine unkonventionelle Darstellungsweise aus. Zu wünschen ist, dass diese Bildnisse in der umfangreichen Werkgeschichte des Maestros fest verankert bleiben und Gegenstand detaillierter Untersuchungen werden. Nicht auszuschließen ist, dass weitere unbekannte Ebenbilder des Künstlers ans Licht der Öffentlichkeit kommen, denn er galt ja schließlich als ideales Modell.
Beata Stragierowicz, Januar 2017
[45] L. Machnik, B. Długajczyk, Kolekcja Jana i Jadwigi Nowak - Jeziorańskich w Zakładzie Narodowym im. Ossolińskich. Obrazy – miniatury – akwarele – rysunki, Teil I, Wrocław 2012, S. 201.